Gefüllter Hörsaal mit zwei Studierenden im Vordergrund

Lehre NACHGEFRAGT

Newsletter Lehre 04 2021
Gefüllter Hörsaal mit zwei Studierenden im Vordergrund
Foto: Christoph Worsch (Universität Jena)

Fünf Fragen an Prof. Dr. Iris Winkler und Prof. Dr. Sebastian Henn zum Thema Prinzipien guter Lehre

Prof. Dr. Iris Winkler und Prof. Dr. Sebastian Henn
Prof. Dr. Iris Winkler und Prof. Dr. Sebastian Henn
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Prof. Dr. Iris Winkler und Prof. Dr. Sebastian Henn waren als Mitglieder des Expertengremiums der Akademie für Lehrentwicklung (ALe) maßgeblich an der Entwicklung der Prinzipien guter Lehre für die Universität Jena beteiligt. Die Prinzipien wurden in einem universitätsweiten Verständigungsprozess erarbeitet und beziehen alle ein, die in unterschiedlichen Rollen (z.B. als Lehrende, Studierenden, Gremienmitglieder) für Studium und Lehre an der Universität Jena Verantwortung tragen.

Warum ist es wichtig, der Lehre an der Universität Jena Prinzipien voranzustellen und woher kam der Impuls für die Entwicklung der Prinzipien guter Lehre?

Prof. Dr. Iris Winkler:

Strategiepapiere haben heutzutage Konjunktur, kaum eine Organisation(seinheit) scheint ohne auszukommen. Man muss aufpassen, dass man im Bestreben, Ziel-Mittel-Relationen auszubuchstabieren, nicht voreilig ist und das normative Fundament aus den Augen verliert. In Bezug auf die Lehre an unserer Universität heißt das konkret: Welche Überzeugungen verbinden uns als Universitätsmitglieder, wenn wir über ‚gute‘ Lehre sprechen? Worauf stützen wir unsere Aussagen darüber, was in der Lehre mehr oder weniger erwünscht ist? Bei der Entwicklung der Prinzipien guter Lehre haben wir genau an diesen Fragen angesetzt.

Prof. Dr. Sebastian Henn:

Mit der Entwicklung der Prinzipien guter Lehre waren in meinen Augen im Wesentlichen zwei Ziele verbunden: Erstens ging es darum, bei aller Unterschiedlichkeit von Fachkulturen und Einstellungen etwas Verbindendes in der Lehre unserer Universität herauszuarbeiten, das einerseits identitätsstiftend nach innen wirkt, das andererseits aber auch die Kommunikation über Fachgrenzen hinweg ermöglicht. Ein zweites wesentliches Ziel der Prinzipien guter Lehre ist, dass diese in Entscheidungssituationen in Bezug auf die Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Lehre als Orientierungsrahmen dienen sollen. Zwar verlangen sie aufgrund ihrer bewusst allgemein gehaltenen Formulierungen in konkreten Entscheidungszusammenhängen nach einer entsprechenden Auslegung; gleichzeitig kann aber eine Konsistenz der vielfältigen Entwicklungen im Bereich Lehre sichergestellt werden, wenn man die Umsetzung der Prinzipien nur systematisch in den Blick nimmt. Auf diese Weise bleiben wir also auch künftig unseren Werten treu, ohne dabei aber aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu vernachlässigen.

Hier spiegelt sich eine wichtige Wirkungsrichtung der Prinzipien: Nachdem die Akademie für Lehrentwicklung über eine Erhebung bei den Fakultäten und Instituten der Universität ein Bild von den sich in der Lehre seinerzeit bietenden Herausforderungen gewonnen hatte, stellte sich die Frage, auf welcher Grundlage die ALe ihre Förderlinien ausrichten sollte. Mit den Prinzipien guter Lehre konnte ein universeller Rahmen geschaffen werden, der eine solche Orientierung zulässt. Dieser Rahmen entfaltet dabei Wirkung für ganz unterschiedliche Bereiche – von der Curriculumsentwicklung bis hin zur universitätsinternen Förderung vielversprechender Lehrkonzepte.

Die Prinzipien guter Lehre wurden in einem partizipativen und universitätsöffentlichen Prozess unter Beteiligung verschiedener Statusgruppen aller Fakultäten formuliert. Wie ist Ihre Einschätzung zu der Frage, inwieweit allein der Entstehungs- und Entwicklungsprozess den Diskurs über Lehre angeregt hat?

Prof. Dr. Sebastian Henn:

Sicherlich hat die Entwicklung der Prinzipien guter Lehre den Diskurs angeregt – auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Ich erinnere mich selbst sehr gerne zurück an sehr lebhafte Diskussionen in der Akademie für Lehrentwicklung über Inhalte und Formulierungen der Prinzipien. Gleichzeitig habe ich noch sehr gut einen Dies Legendi vor Augen, auf dem die Überlegungen erstmals universitätsweit zur Diskussion gestellt und kritisch hinterfragt wurden. Die Prinzipien guter Lehre waren weiterhin Gegenstand diverser Beratungen in Fakultäten und im Senat; aktuell spielen sie eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Reakkreditierung von Studiengängen. Insofern haben sie gleich auf ganz unterschiedliche Weise den Diskurs über Lehre geprägt.

Prof. Dr. Iris Winkler:

Die Diskussionen im Entstehungsprozess der Prinzipien habe ich als sehr engagiert und lebendig erlebt, und zwar auf allen Ebenen. Auch ich erinnere mich an den Dies Legendi, bei dem wir die erste Fassung der Prinzipien zur Diskussion gestellt haben. Besonders spannend fand ich, dass sich Dekane zu Wort gemeldet und mitdiskutiert haben, die sonst Fragen der Lehre vermutlich nicht zu ihrer ersten Aufgabe gezählt haben. Im Expertengremium fand ich besonders die Debatten unter Angehörigen verschiedener Fachkulturen anregend, den es so und in dieser Breite vermutlich vorher noch nicht gegeben hatte.

Zusammen mit den Prinzipien wurde auch eine Zukunftsstrategie für die Lehre an der Universität Jena entwickelt. Wie sind die Prinzipien guter Lehre mit der Strategie 2025 – Lehre verknüpft?

Prof. Dr. Iris Winkler:

Die Prinzipien bilden quasi das Fundament, das in den Herausforderungen, Zielen und Maßnahmen der Strategie konkretisiert wird. Wichtig ist, dass diese Konkretisierung nicht beliebig ist, sondern auf gemeinsamen Überzeugungen von ‚guter‘ Lehre aufbaut.

Prof. Dr. Sebastian Henn:

Darin drückt sich das grundsätzliche Verständnis davon aus, dass die Prinzipien gesellschaftlich stabilisierte, d. h. mittelfristig mehr oder weniger unveränderliche Einstellungen und Werte reflektieren, die auch der universitären Lehre an der Friedrich-Schiller-Universität zugrunde liegen und daher auch Eingang in alle weiterführenden Überlegungen zum Thema Lehre finden sollten. Die Prinzipien bilden mit anderen Worten die zentrale Grundlage, auf denen alle künftigen Diskussionen, Entscheidungen und Papiere aufbauen sollten, um diese Prinzipien weiter auszuformulieren, zu interpretieren, Fördermaßnahmen zu deren Umsetzung abzuleiten etc.

Welches der Prinzipien hat für Sie besondere Bedeutung? Und warum?

Prof. Dr. Sebastian Henn:

Ich glaube nicht, dass man ein Prinzip als besonders bedeutsam herausheben kann. Die besondere Bedeutung der Prinzipien insgesamt leitet sich meines Erachtens nach vielmehr aus zwei Aspekten ab:

Erstens birgt das Hervorheben bestimmter Prinzipien ganz grundsätzlich das große Risiko, dass andere Prinzipien lediglich als zweitrangig angesehen werden. Dies aber scheint wenig sinnvoll – denn auf welcher Grundlage ließe sich beispielsweise feststellen, dass es wichtiger ist, interdisziplinäre Perspektiven in der Lehre zuzulassen als forschungsorientierte Lehre zu machen? Ganz bewusst sind die Prinzipien vor diesem Hintergrund auch nicht in eine Reihenfolge gebracht worden, sondern stehen als universell gültige Leitlinien nebeneinander.

Zweitens sind alle Prinzipien sehr bewusst aus der „Wir“-Perspektive formuliert worden. Dies soll einerseits identitätsstiftend nach innen wirken; andererseits geht es darum, mit dem „Wir“ an die Verantwortung aller Universitätsangehörigen zu appellieren: Es soll also ganz bewusst zum Ausdruck gebracht werden, dass die Prinzipien nicht für einzelne ausgewählte Gruppen – beispielsweise nur für die Lehrenden gelten. „Wir“ bedeutet vielmehr, dass sich alle Universitätsangehörigen – unabhängig von ihrem Status und ihrer Position – zu den Prinzipien bekennen sollten, und erfolgreiche universitäre Lehre nur gemeinsam von allen Seiten gestaltet werden kann.

Prof. Dr. Iris Winkler:

Mir fällt es ebenfalls schwer, eines der Prinzipien über die anderen zu stellen. Als Deutschdidaktikerin und Unterrichtsforscherin ist mir zunächst wichtig, dass der Beitrag von Lehrenden wie Studierenden zum Gelingen von Lehre hervorgehoben wird. Außerdem finde ich bemerkenswert, dass wir fächerübergreifende Bildungsziele festhalten konnten. Diese Ziele rahmen fachspezifische Wissens- und Könnensziele, und ohne Lehr-/Lernziele kann man keine sinnvollen didaktischen Entscheidungen treffen. Als Hochschullehrerin finde ich bedeutsam, dass Lehre und Forschung in den „Prinzipien guter Lehre“ als zwei Seiten derselben Medaille hervorgehoben werden. Das mündet in das Bekenntnis dazu, besondere Leistungen in der Lehre (und nicht nur in der Forschung) zu würdigen und zu fördern.

Wie geht es jetzt weiter mit den Prinzipien guter Lehre? Welche Vorschläge haben Sie, wie die Prinzipien „mit Leben gefüllt“ werden können? Wie kann es gelingen, dass sich die Prinzipien in den Curricula der Studiengänge wiederfinden?

Prof. Dr. Iris Winkler:

Damit die Prinzipien noch bekannter werden, ist es nötig, dass wir immer wieder gezielt in verschiedenen Formaten den Austausch darüber anregen. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Weiterentwicklung. Dass sich die Prinzipien als solche irgendwann in allen Curricula eindeutig ‚dingfest‘ machen lassen, halte ich für eine irrige Erwartung. Denn wie schon gesagt handelt es sich um eher abstrakte, normative Überzeugungen, an denen sich Konkretisierungen orientieren, ohne dass sich die Prinzipien 1:1 in Modullisten oder Lehrinhalte übersetzen lassen. Die Prinzipien explizieren die normative Basis, auf der die Diskussionen über Curricula und curriculare Auswahl- und Anordnungsentscheidungen stattfinden und die dabei zu beachten ist.

Prof. Dr. Sebastian Henn:

Ich denke, dass viele der Prinzipien guter Lehre bereits heute an vielen Stellen in unserer Universität sehr erfolgreich gelebt werden. Es war ja auch keineswegs die Absicht der Akademie für Lehrentwicklung, mit den Leitlinien den Universitätsangehörigen etwas völlig Neues zu oktroyieren; vielmehr ging es uns darum, universelle Werte, die guter Lehre bereits heute zugrunde liegen, zu identifizieren und systematisch zu reflektieren, um auch in Zukunft bewährte Praktiken leben bzw. mit Augenmaß weiterzuentwickeln zu können. Um ein Beispiel zu geben: Wenn ein Prinzip darauf abstellt, die Lehre in unserer Universität kontinuierlich weiterzuentwickeln, dann wird hiermit im Wesentlichen ein Bekenntnis zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der bisherigen Qualitätssicherungskultur zum Ausdruck gebracht. Lehre wird schon heute beständig - auch im Austausch mit Studierenden - weiterentwickelt.

Ebenso gibt es beeindruckende Beispiele für die Verwirklichung eines anderen Prinzips: in diversen Curricula der unterschiedlichsten Fakultäten werden interdisziplinäre Perspektiven in die Lehre eingebunden - sei es dadurch, dass man mit Professuren aus demselben Institut zusammenarbeitet, dass man fakultätsübergreifende Lehrveranstaltungen organisiert oder sei es dadurch, dass man mit einer anderen Hochschule zusammenarbeitet.

Sicherlich darf es in Zukunft nicht nur bürokratisch darum gehen, für jedes einzelne Prinzip en detail darlegen zu müssen, wie es sich wo abbildet. Wichtig scheint mir aber, dass durchaus bewusst reflektiert werden sollte, dass die Entwicklung von Studiengängen im Geiste der Prinzipien guter Lehre erfolgt und damit den Werten unserer Universität im Bereich Lehre Rechnung getragen wird.

Leseempfehlungen:

Strategie Lehre 2025 und Prinzipien guter Lehre

Prof. Dr. Annika Boentert: Leitbilder für die Lehre an deutschen Hochschulen 2020Externer Link