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Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Ein Ehrendoktortitel schmückt beide Seiten: den oder die Geehrte(n) ebenso wie die Fakultät, die die Ehrung vergeben hat. Doch längst nicht immer waren es nur wissenschaftliche Meriten, die mit einem Doctor honoris causa gewürdigt wurden. „Die Ehrendoktortitel wurden manchmal auf politischen Druck hin vergeben oder aus wirtschaftlichen Erwägungen“, sagt PD Dr. Stefan Gerber, der Leiter des Universitätsarchivs der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Nach welchen Kriterien insbesondere die Ehrendoktorwürden während der beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts an der Universität Jena vergeben wurden, wird nach einem Beschluss des Senats der Universität Jena von 2019 derzeit eingehend erforscht. Die beiden Senatsbeauftragten für die Aufarbeitung der Ehrenpromotionen im 20. Jahrhundert, der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Christopher Spehr und der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Achim Seifert, entwickelten in Kooperation mit dem Universitätsarchiv ein Forschungsprojekt, das an der universitätsgeschichtlichen Forschungsstelle des Universitätsarchivs angesiedelt wurde. Mit der Bearbeitung, besonders den umfangreichen Archivrecherchen, wurde der Historiker Dr. Andreas Neumann betraut, der nun erste Ergebnisse vorgelegt hat.
Zeit zwischen Kaiserreich und dem Ende der DDR im Fokus
Die ursprüngliche Idee, sich alle Ehrenpromotionen anzuschauen, sei rasch verworfen worden, sagt Dr. Andreas Neumann. Sei der Doktor ehrenhalber doch seit dem 19. Jahrhundert über 700 Mal von der Universität Jena vergeben worden. So wurde entschieden, speziell die Jahre zwischen 1918 und 1990 in den Fokus zu rücken. Neumanns vorläufiges Fazit: In den Jahrzehnten vom Ende des Kaiserreichs über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zum Ende der DDR finden sich 50 problematische Ehrenpromotionen. In 14 Fällen wurde die Ehrendoktorwürde ohne erkennbare wissenschaftliche Leistung ausschließlich aus politischen Gründen vergeben. Diese 50 Fälle werden derzeit, genauso wie die rechtlichen Rahmenbedingungen der Ehrenpromotionen, genauer erforscht. Dazu, so Andreas Neumann, wurden zunächst Kategorien entwickelt, um die einzelnen Fälle miteinander vergleichen zu können. „Wir schauen beispielsweise, ob die Geehrten Mitglieder der Partei waren, welchen Massenorganisationen sie angehörten und ob sie in den jeweiligen Verbänden eine aktive Rolle spielten“, sagt Dr. Neumann. Untersucht werden auch Biographie und Werdegang der Geehrten sowie ihre akademischen Leistungen. „Unser Ziel ist eine kritische Einordnung der Vergabepraxis durch die Fakultäten“, so Neumann. Ob sich daraus weitere Schritte durch die Universität ergeben, müssten Universitätsleitung und Senat entscheiden.
Tagung zu akademischen Ehrungen im 20. Jahrhundert
Die Archivarbeit hat sich wegen der Corona-Pandemie erheblich verzögert. Dennoch werden erste Ergebnisse auf einer Online-Konferenz am 4. und 5. November der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Unter dem Titel „Verdienste und Belastungen. Akademische Ehrungen im 20. Jahrhundert zwischen Leitbildern und Irrwegen“ diskutieren Expertinnen und Experten aus Deutschland, Finnland und Österreich über akademische Ehrungen im „kurzen 20. Jahrhundert“. Der Fokus weitet sich bei dieser Tagung über Jena hinaus, der Schwerpunkt der Betrachtungen liegt aber im Raum Mitteldeutschland, wie Stefan Gerber betont.
Die Projektergebnisse zu den Jenaer Ehrenpromotionen während der NS-Zeit und in der DDR werden in den Jahren 2022 und 2023 in zwei Veranstaltungen dem interessierten Publikum vorgestellt werden.
Anmeldung zur Tagung
Interessierte, die sich per Zoom zuschalten wollen, können sich unter der E-Mail-Adresse andreas.neumann@uni-jena.de bis zum 1. November anmelden.
Außerdem besteht die Möglichkeit, sich die Übertragung gemeinsam im Konferenzraum im Renaissanceflügel der Rosensäle (Fürstengraben 27) anzuschauen.