Eine starke nationale Identifikation motiviert, sich für öffentliche Gesundheit zu engagieren.

Nationale Identifikation fördert Einhaltung von Corona-Regeln

Psychologie-Team der Uni Jena untersucht im Rahmen eines internationalen Netzwerks die Akzeptanz von Corona-Maßnahmen
Eine starke nationale Identifikation motiviert, sich für öffentliche Gesundheit zu engagieren.
Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)
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Meldung vom: | Verfasser/in: Sebastian Hollstein

Nahezu jedes Land auf der Welt ist von der Covid-19-Pandemie betroffen. Dem­ent­sprechend haben Regierungen weltweit weitreichende Maßnahmen veranlasst, die tiefgreifende kollektive Verhaltensänderungen der Bürgerinnen und Bürger erforderten und erfordern. Vor allem im ersten Jahr der Pandemie, als Impfstoffe noch nicht zur Verfügung standen, war es von beson­ders großer Bedeutung, dass Menschen den Anweisungen folgten und beispielsweise physische Kontakte einschränkten, auf Reisen verzichteten sowie Masken trugen.

Ein Netzwerk aus mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – unter ihnen Psycho­logen und Psychologinnen der Friedrich-Schiller-Universität Jena – ging bereits zu Beginn der Pandemie der Frage nach, was die Akzeptanz solcher Maßnahmen besonders fördert. Nun liegt ein erstes Ergebnis vor: Die nationale Identifikation motiviert Menschen besonders, sich stärker für die öffentliche Gesundheit zu engagieren. Wer ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl besitzt, unterstützt die gesund­heits­politischen Vorgaben stärker. Über ihre Forschungsergebnisse berichten die Forschenden im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“.

Eine nationale Identität ist der stärkste Prädiktor, also eine Vorhersagevariable, für die Unterstützung gesundheitspolitischer Maßnahmen während der Pandemie“, sagt Flavio Azevedo von der Universität Jena. „Personen, die sich stärker mit ihrer Nation identifizieren, sind am meisten bereit, die hohen Belastungen in Kauf zu nehmen, die sich aus schützenden Verhaltensweisen und der Unterstützung der öffentlichen Gesundheitspolitik ergeben.“ Wichtig dabei: Der Wert der nationalen Identität gibt den Grad der Identifikation mit der eigenen Nation wieder, der anhand eines wissenschaftlichen Fragenkatalogs erhoben wurde, etwa durch die Selbsteinschätzung der Befragten in einer vorgegebenen Skala. Er ist nicht gleichzusetzen mit Nationalismus.

50.000 Befragte in 67 Ländern

Die Erkenntnisse gehen aus einer einzigartigen Studie hervor. Um zu erforschen, wie Menschen welt­weit mit der Ausnahmesituation einer Pandemie und den entsprechenden Schutzmaßnahmen in den jeweiligen Staaten umgehen, rief eine Gruppe von Psychologinnen und Psychologen um den US-Amerikaner Jay van Bavel während der ersten Welle der Pandemie über Twitter Kolleginnen und Kollegen auf, Daten in den jeweiligen Ländern zusammenzutragen. Daraufhin beteiligten sich mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie befragten im April und Mai 2020 rund 50.000 Personen in 67 Staaten darüber, wie stark sie die Einschränkungen physischer Kontakte und Hygienevorgaben befolgten sowie die politischen Maßnahmen unterstützten.

Ihre Ergebnisse verifizierten die Forschenden durch eine weitere Studie. Hierfür verglichen sie Daten zur nationalen Identifikation aus dem World Values Survey – einer regelmäßigen inter­nationalen Umfrage zu menschlichen Werten – aus einem Zeitraum vor der Pandemie mit von Google erhobenen Mobilitätsdaten aus dem Frühjahr 2020. Die Untersuchung bestätigte das Ergebnis der ersten Studie: In Ländern mit einer durchschnittlich höheren nationalen Identifikation schränkten die Bürgerinnen und Bürger während der Monate April und Mai 2020 ihre Mobilität stärker ein.

Durch Gemeinschaftsgefühl Gefahrensituation bewältigen

Wir wissen, dass bereits vor 100 Jahren drei psychologische Faktoren die Ausbreitung der Spanischen Grippe unterstützt haben: eine falsche Risikobewertung, Widerstand gegen soziale Isolation und die Unfähigkeit, Präventivmaßnahmen gegen eine unsichtbare Bedrohung einzu­halten“, sagt Flavio Azeve­do. „Deshalb ist es für uns Verhaltenswissenschaftlerinnen und -wis­senschaftler besonders wichtig, eine solche Ausnahmesituation intensiv zu beobachten, in der Menschen kollektiv dazu aufgerufen sind, ihre Gewohnheiten zu ändern“, erklärt der Psychologe der Uni Jena. „Sie liefert grundlegende Einblicke in die Verhaltensweisen sowie in die Entschei­dungsfindung der Menschen und kann so dabei helfen, die Schutzmaßnahmen vor und während einer Pandemie zu gestalten.“ Aus den aktuellen Forschungsergebnissen lässt sich beispielsweise ablesen, wie wichtig die Förderung eines Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühls für die Bewältigung einer solchen globalen Gefahrensituation ist.

Die gesammelten Daten wird das Netzwerk weiterhin auswerten und weitere Forschungsergeb­nisse vorlegen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler informieren darüber auf ihrer WebsiteExterner Link.

Über die besondere Forschungskooperation und die Studienergebnisse berichtet Flavio Azevedo zudem gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen auf einem Nature-BlogExterner Link.

Information

Original-Publikation:
J. v. Bavel et al.: National identity predicts public health support during a global pandemicExterner Link, Nature Communications, 2022, DOI: 10.1038/s41467-021-27668-9