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Meldung vom: | Verfasser/in: Ute Schönfelder/Katja Bär
In einer Zeremonie an der Universität Jena wurden am 10. Februar 2022 die Gebeine von drei Vorfahren (iwi kūpuna in der Sprache der indigenen Bevölkerung Hawaiis) an eine Delegation des Office of Hawaiian Affairs (OHA) übergeben (hier das Programm der Zeremoniepdf, 2 mb). Die iwi kūpuna kamen im 19. Jahrhundert an die Universität Jena und sollen in Hawaii beigesetzt werden. Neben Jena reist die hawaiianische Delegation auch zu drei weiteren Einrichtungen in Deutschland und einer in Österreich, um insgesamt 58 iwi kūpuna, die unrechtmäßig nach Europa gebracht wurden, in ihre Heimat zurückzubringen.
Die Jenaer iwi kūpuna, die der hawaiianischen Delegation übergeben wurden, stammen aus der Sammlung des Evolutionsforschers Ernst Haeckel. Haeckel hatte sie 1860 auf einer Reise nach Messina von dem Arzt Edmund von Bartels geschenkt bekommen und mit nach Jena gebracht. Wie sie in den Besitz von Bartels gelangten, ist bis heute unklar. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sie während der Kolonialzeit von den Europäern illegal aus Hawaii entführt wurden.
Historisches Unrecht heilen
„Die Rückkehr der iwi kūpuna in ihre Heimat kann dieses historische Unrecht nicht ungeschehen machen, aber sie kann ein erster Schritt sein, es zu heilen“, sagte der Präsident der Universität Jena, Prof. Walter Rosenthal. Unmittelbar nachdem die Herkunft der im Besitz der Universität befindlichen iwi kūpuna geklärt war, nahm die Universität Kontakt mit der OHA auf, die sich für die Rückführung der iwi kūpuna nach Hawaii einsetzt, und veranlasste deren Rückgabe.
Der Schutz der iwi kūpuna ist ein zentraler Aspekt der hawaiianischen Identität
Für die hawaiianischen Ureinwohner sind die iwi kūpuna ein zentraler Aspekt ihrer Identität. Es ist von großer Bedeutung, sie in ihrem Heimatland zu pflegen und feierlich zu bestatten, denn dort ruhen die iwi kūpuna der Vorfahren und irgendwann auch ihrer Nachkommen. Der Schutz der iwi kūpuna ist entscheidend dafür, dass der Geist der Verstorbenen in Frieden ruht und die Nachkommen weiterleben können.
„Diese iwi kūpuna wurden zu einer Zeit entwendet, als die menschlichen Überreste und die heiligen Gegenstände der indigenen Völker nicht respektiert wurden, als ihre Familien und ihre Nachkommen der Meinung waren, dass solche Handlungen moralisch verwerflich waren und ignoriert wurden, und als die Kolonialregierungen ein Recht darauf hatten, dass solche Handlungen nicht infrage gestellt wurden. Die Rückgabe dieser iwi kūpuna an die Delegation der hawaiianischen Ureinwohner, damit sie zu ihrer letzten Ruhestätte zurückkehren können, ist ein längst überfälliger und dringend notwendiger Akt des Mitgefühls und des Verständnisses, der, wie wir wissen, Mut und Selbstreflexion seitens dieser Institution erforderte, um sich dem zu stellen und zu ändern. Die heutigen Maßnahmen markieren ein neues Kapitel in unserer Beziehung, die von Respekt, Mitgefühl und gegenseitigem Verständnis geprägt ist und in der wir unsere gegenseitige und gemeinsame Menschlichkeit anerkennen“, sagte die OHA-Verwaltungsratsvorsitzende Carmen „Hulu“ Lindsey.
Übergabe-Zeremonie
Die Übergabe der iwi kūpuna fand im Rahmen einer Zeremonie in der Aula der Universität statt. Die hawaiianische Delegation, bestehend aus Edward Halealoha Ayau, dem Leiter der Rückführungsbemühungen der OHA, und den Kulturschaffenden Kalehua Caceres und Mana Caceres, eröffnete die Zeremonie mit Gebeten.
„Aus tiefstem Herzen bitten wir die Nachkommen der kūpuna, uns das kaumaha – das Trauma — zu verzeihen, das unsere Vorfahren ihren Vorfahren und ihnen selbst zugefügt haben. Bei ihrem Versuch, die Abstammung des Menschen zu verstehen, haben es die Evolutionisten nicht verstanden, die Würde des Menschen zu achten. Der heutige Tag — zu Ehren der iwi kūpuna — ist ein Tag des Respekts für Tradition und kulturelles Erbe, Familie und Menschlichkeit“, erklärte Prof. Rosenthal in seiner Eröffnungsrede.
Neben dem Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena drückte auch die Thüringer Kulturstaatssekretärin Tina Beer ihr Bedauern über den lange unterbrochenen Frieden der iwi aus: „Bereits seit vielen Jahren setzt sich der Freistaat Thüringen aktiv, mit Vehemenz und in unzähligen Projekten unablässig dafür ein, dass Sammlungen erforscht, Herkunftswissen recherchiert und daraus Handlungsoptionen abgeleitet werden können. Transparenz ermöglicht weltweite Teilhabe und ist Ausgangspunkt für den Dialog mit den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften. Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit und der in ihr begangenen Verbrechen als Teil unserer gesellschaftlichen Erinnerungskultur gehört zum Grundkonsens in Deutschland für alle Bereiche der Gesellschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der Freistaat Thüringen hat kein ethnologisches Museum, gleichwohl kommt er seiner umfassenden ethischen Verantwortung zur Aufarbeitung der Herkunft von Sammlungsgut im kolonialen Kontext nach.“
„Im Namen des US-Konsulats in Leipzig möchte ich allen Beteiligten dafür danken, dass sie so eng zusammengearbeitet haben, um diese Vorfahren, deren sterbliche Überreste vor so langer Zeit aus dem Königreich Hawaii entführt wurden, in ihre Heimat zurückzubringen. Ich fühle mich geehrt, heute hier zu sein, um sie auf ihren Weg nach Hause zu schicken“, sagte Lachlyn Soper, Konsulin für öffentliche Angelegenheiten am US-Generalkonsulat in Leipzig.
„Endlich können diese iwi kūpuna nach Hause zurückkehren, nachdem sie von ihren Familien getrennt und illegal aus Hawaii verschleppt wurden. Heute erfahren sie ein wenig Gerechtigkeit für die begangenen Verbrechen und Heilung durch diesen Akt der Rückführung. Es bleibt noch viel zu tun, denn wir wissen, dass es noch andere iwi gibt, aber die aktuellen Bemühungen ermutigen uns, weiterzumachen und durchzuhalten, auch wenn wir mit Schwierigkeiten konfrontiert sind. Wir können keine andere Lösung als ihre Rückkehr akzeptieren“, so Mana und Kalehua Caceres.
„Alle iwi kūpuna, die außerhalb von Hawaii von Museen, Institutionen, Regierungsbehörden oder Einzelpersonen aufbewahrt werden, befinden sich unrechtmäßig dort“, fügte Ayau hinzu. „Sie wurden von ihren Familien nicht zeremoniell begraben, um als Verkaufs-, Forschungs- oder Tauschobjekte mitgenommen zu werden. Unsere Vorfahren haben sich nicht vermählt, um osteologisches Material zu erschaffen, sondern um eine liebevolle 'ohana (Familie) zu gründen. Nur durch die Rückführung der iwi kūpuna in ihre Heimat und ihre Wiederbestattung können die verstorbenen und lebenden Familien von diesem besonders schrecklichen Kapitel des Kolonialismus geheilt werden.“
Universität arbeitet koloniales Erbe umfassend auf
„Seit einigen Jahren werden in den Sammlungen der Friedrich-Schiller-Universität Artefakte mit kolonialem Hintergrund aufgearbeitet“, sagt Prof. Rosenthal. „Die Universität ist sich der Verantwortung für ihre Sammlungen sehr bewusst und bemüht sich um eine sorgfältige und umfassende Klärung der Herkunft. Gerade menschliche Überreste gehören nicht in eine Ausstellung, sondern in die Obhut der Nachkommen.“
Um die Provenienzforschung an der Universität Jena zu koordinieren, hat sich im vergangenen Jahr die Arbeitsgruppe „Koloniales Erbe und antirassistische Bildung“ gegründet. Gerade wurde ein interdisziplinäres Pilotprojekt abgeschlossen, das die Grundlagen für die Aufarbeitung der Sammlungsstücke aus kolonialen Kontexten an der Universität Jena legte. Durch den Vergleich von Inventarbüchern und Sammlungsunterlagen mit Universitätsarchiven konnten die Forscher die Herkunft mehrerer menschlicher Überreste klären. Wie die iwi kūpuna werden auch diese menschlichen Überreste an ihre Herkunftsländer zurückgegeben: Namibia, Tansania und Papua (Indonesien). Neben der Arbeitsgruppe haben die Universitäten Jena und Erfurt eine Koordinierungsstelle zum Umgang mit dem kolonialen Erbe in Thüringen eingerichtet, die vom Thüringer Wissenschaftsministerium gefördert wird. Die Koordinierungsstelle vernetzt die vielfältigen Aktivitäten von Wissenschaft und Zivilgesellschaft in diesem Bereich, initiiert neue Projekte und trägt zu einer kritischen gesellschaftlichen Debatte über das koloniale Erbe bei.