- Wissenstransfer & Innovation
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Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) nimmt in ihrem Jahresgutachten 2022, das heute (9. März) an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben wurde, Stellung zu forschungs- und innovationspolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition. „Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag wichtige Aufgaben der Forschungs- und Innovationspolitik benannt und in den Dienst der Transformationen zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft und Gesellschaft gestellt“, sagt der Vorsitzende der Expertenkommission, Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena. Nun gelte es, eine ganzheitliche Forschungs- und Innovationsstrategie zu entwickeln, die den gesamten Innovationsprozess umfasst und aufeinander abgestimmte Förderprioritäten benennt, so Cantner. Diesbezüglich bleibe der Koalitionsvertrag leider vage.
Technologische Rückstände aufholen
Damit Transformationsprozesse, wie die Energiewende, die Mobilitätswende oder die Digitalisierung erfolgreich verlaufen, müsse sich Deutschland als Innovationsstandort behaupten, so das Expertengremium. Gerade bei den digitalen Schlüsseltechnologien hinke Deutschland hinter den USA und asiatischen Ländern, allen voran China, hinterher. „Die deutsche Politik muss noch aktiver werden, wenn es darum geht, technologische Rückstände aufzuholen“, fordert Cantner. Die von der vorherigen Bundesregierung aufgesetzte KI-Strategie werde bislang eher schleppend umgesetzt. Zwar haben die Regierungsparteien angekündigt, Investitionen in künstliche Intelligenz zu stärken, jedoch im Koalitionsvertrag keine detaillierte Richtung vorgegeben. Die Expertenkommission mahnt an, Innovationen insbesondere in diesem wichtigen Bereich zügig voranzutreiben. Dafür sieht sie die Bundesregierung gefordert, die digitalpolitischen Aktivitäten der verschiedenen Ressorts straffer als in der Vergangenheit zu koordinieren und aufeinander abzustimmen.
Niedriger CO2-Preis bremst Markteinführung von Technologien
Auch bei der Verfolgung der ambitionierten Klimaziele sei eine verstärkte Koordination verschiedener Politikfelder erforderlich. „Es reicht nicht aus, die Entwicklung CO2-armer Technologien mit Hilfe von Förderprogrammen zu unterstützen, sondern es müssen auch die geeigneten Rahmenbedingungen für die Diffusion dieser Technologien geschaffen werden“, erläutert Uwe Cantner. Die Expertenkommission misst hierbei der CO2-Bepreisung eine besondere Bedeutung zu. Einer zügigen Markeinführung vieler bereits marktreifer nachhaltigkeitsorientierter Innovationen, beispielsweise im Mobilitäts- und im Energiebereich, steht ein zu niedriger CO2-Preis entgegen.
EFI begrüßt umfassende Start-up-Strategie
Um die mit dem transformativen Wandel einhergehenden neuen Wertschöpfungspotenziale zu erschließen, sollte die Forschungs- und Innovationspolitik einen möglichst breiten Kreis von Akteuren ansprechen. Die Expertenkommission begrüßt die Absicht der Regierungsparteien, eine umfassende Start-up-Strategie zu entwickeln. Sie spricht sich dafür aus, den von der Vorgängerregierung gestarteten Zukunftsfonds um ein Modul für Impact Investing zu ergänzen, bei dem neben der Renditeerzielung auch langfristig messbare soziale, umwelt- und klimabezogene Ziele verfolgt werden. Zudem unterstützt die Expertenkommission das Vorhaben der Regierungsparteien, ein Modul speziell für Gründerinnen zu entwickeln und regt abschließend an, eine Evaluation der gesamten Förderarchitektur anzustoßen. Hierzu führt Uwe Cantner aus: „Die Forschungs- und Innovationspolitik ist in den letzten Dekaden immer komplexer geworden. Es wäre deshalb sinnvoll, Redundanzen bei der Forschungs- und Innovationsförderung zu ermitteln und Förderlücken zu identifizieren.“
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Digitalisierung des Gesundheitswesens
Die EFI hebt den erheblichen Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hervor. Sie verweist auf die großen Innovations- und Wertschöpfungspotenziale, die mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verbunden sind: Digitale Technologien können die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern. Zudem eröffnet die zunehmende Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten in Verbindung mit modernen digitalen Analyseverfahren neue und weitreichende Möglichkeiten für eine stärker personalisierte Diagnostik und Therapie.
Diese hohen Potenziale werden in Deutschland bisher allerdings verschenkt. So stellt die Expertenkommission fest, dass die Struktur des Gesundheitssystems in Deutschland ein zentrales Hemmnis für die Digitalisierung darstellt. „Die Vielzahl von Akteuren mit verteilten Verantwortlichkeiten behindert die Digitalisierung im Gesundheitswesen ungemein“, so Prof. Dr. Uwe Cantner. Zudem erschwert die bisher noch geringe Akzeptanz die flächendeckende Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen. „Bei Gesundheitsdaten besteht, mehr als in anderen Bereichen, ein Spannungsverhältnis zwischen IT-Sicherheit und Datenschutz auf der einen und den Potenzialen der Datennutzung auf der anderen Seite,“ sagt Uwe Cantner. „Innovationen im Bereich der personalisierten Medizin und weitreichende Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung werden so ausgebremst.“
Aufgrund der angeführten Hemmnisse empfiehlt die Expertenkommission der Bundesregierung, eine Digitalisierungsstrategie rasch zu entwickeln und umzusetzen und dabei alle relevanten Akteursgruppen des Gesundheitswesens einzubeziehen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Hemmnisse bei der Weitergabe und Nutzung von Gesundheitsdaten befürwortet die Expertenkommission ausdrücklich das im Koalitionsvertrag angekündigte Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur besseren wissenschaftlichen Nutzung von Gesundheitsdaten. Damit die Möglichkeiten der Telemedizin stärker genutzt werden, sind nach Ansicht der Expertenkommission ausreichende finanzielle Anreize für die Leistungserbringer erforderlich. So spricht sich Uwe Cantner dafür aus, „telemedizinische Leistungen in der Einführungsphase mit denselben Honoraren wie vergleichbare konventionell erbrachte Leistungen zu vergüten.“ Die Expertenkommission mahnt außerdem einen raschen Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Modernisierung der Ausbildung in den Gesundheitsberufen an. Dies kann die digitale Transformation im Gesundheitswesen maßgeblich unterstützen.
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Alternative Antriebe und autonomes Fahren (nachhaltige Mobilität)
In ihrem Jahresgutachten widmet sich die Expertenkommission auch der Frage, wie der motorisierte Individualverkehr zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen kann. Um die Treibhausgasemissionen bis 2045 auf null zu bringen, sei beim motorisierten Individualverkehr auf absehbare Zeit der batteriebetriebene Pkw das Mittel der Wahl. Alternativen wie Brennstoffzellenfahrzeuge oder Fahrzeuge, die mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, benötigten noch weitere Entwicklung und kämen vorerst nicht in Betracht. Die EFI kommt zu dem Ergebnis, dass batteriebetriebene Fahrzeuge nicht nur die ökologisch wirksamste, sondern auch die volkswirtschaftlich sinnvollste Option zur Einsparung von Treibhausgasen sind, für deren Durchbruch es aber flankierender politischer Maßnahmen bedürfe. Dazu gehört es, die CO2-Preise erheblich zu erhöhen und gleichzeitig die Stromsteuer sowie die EEG-Umlage zu senken oder gar abzuschaffen. Um die Marktdurchdringung mit batteriebetriebenen Fahrzeugen zu forcieren, empfiehlt die Expertenkommission zudem, dass die Bundesregierung den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter fördert und sich für transparente Preisstrukturen an den Ladesäulen stark macht.
Im internationalen Vergleich ist die deutsche Automobilindustrie bei der Forschung und Entwicklung zu alternativen Antriebstechnologien gut aufgestellt, wie das Jahresgutachten der EFI zeigt. So führt Deutschland das Feld bei den Patentanmeldungen gemeinsam mit Japan an. Die Marktdurchdringung von alternativen Antrieben nimmt in Deutschland zwar zu, aber vom Spitzenreiter Norwegen ist man hier noch sehr weit entfernt. Stark steht Deutschland bei Patentanmeldungen im zukunftsträchtigen Bereich der Assistenztechnologien da. Dagegen haben sich beim autonomen Fahren, also dem Fahren ohne fahrzeugführende Person, die USA dank einer hochdynamischen Entwicklung weit von Deutschland abgesetzt. Auch die geteilte Nutzung von Fahrzeugen und Fahrdienstleistungen, etwa durch Carsharing und gebündelten Bedarfsverkehr (Ridepooling), könnte zu einer Mobilitätswende beitragen. In deutschen Großstädten existiert schon ein recht großes Angebot an Carsharing, das derzeit aber nur von sehr wenigen Personen regelmäßig genutzt wird. Ridepooling ist noch weniger verbreitet.
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Potenziale digitaler B2B-Plattformen
Das aktuelle Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) beschäftigt sich auch mit digitalen Plattformen von Unternehmen für Unternehmen, sogenannten Business-to-Business-(B2B-)Plattformen. Diese Plattformen fokussieren sich in der Regel auf spezifische Branchen oder Anwendungen. Sie verändern Wertschöpfungsketten, schaffen neue Geschäftsmodelle und generieren neue Produkte und Dienste. Unternehmen, die digitale B2B-Plattformen nutzen, sehen viele Vorteile für die eigene Innovationsaktivität, beispielsweise durch einen vereinfachten Zugang zu Daten oder die Einbindung von externen Partnern in den Innovationsprozess.
In ihrem Gutachten schätzt die Expertenkommission das Wertschöpfungspotenzial durch die Nutzung von B2B-Plattformen im Allgemeinen und durch die Nutzung datenbasierter Plattformen im industriellen Bereich im Besonderen als hoch ein. Schätzungen zufolge ist im Zeitraum von 2018 bis 2024 mit einer Verdopplung des Beitrags digitaler B2B-Plattformen zur Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes zu rechnen. Diese enormen Innovations- und Wertschöpfungspotenziale gilt es nach Ansicht der Expertenkommission rasch zu heben. Aktuell stehen dem jedoch noch Hemmnisse im Weg, wie etwa Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der IT-Sicherheit sowie mangelndes wechselseitiges Vertrauen zwischen den über die Plattform vernetzten Unternehmen oder die Befürchtung vor einseitigen Abhängigkeiten.
Um günstige Bedingungen für die Entwicklung von B2B-Plattformen in der deutschen und europäischen Wirtschaft zu schaffen, sind Anpassungen bei den regulatorischen Rahmenbedingungen sowie gezielte Impulse der öffentlichen Hand notwendig. Hierzu zählt neben einer EU-weit einheitlichen Plattformregulierung auch der Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur.
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Position Deutschlands und der EU bei Schlüsseltechnologien
Die Stärken und Schwächen Deutschlands im Bereich der Schlüsseltechnologien sind ebenfalls Gegenstand des aktuellen EFI-Gutachtens. Schlüsseltechnologien sind entscheidend für die technologische und ökonomische Entwicklung eines Landes, da sie zur Entstehung neuer dynamischer Märkte beitragen und essenziell für die innovative Weiterentwicklung und Anwendung vieler anderer Technologien sind.
Die Expertenkommission hat 13 Einzeltechnologien untersucht, die sich vier übergeordneten Bereichen von Schlüsseltechnologien zuordnen lassen: Produktion, Material, Bio- und Lebenswissenschaften sowie digitale Technologien. Während Deutschland durchaus Stärken in den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften hat, bewertet die Kommission als „ernsthaft kritisch“, dass Deutschland im Bereich der digitalen Technologien deutliche Schwächen zeigt. Damit riskiert Deutschland mit seinen europäischen Partnern nicht nur den Anschluss an einen ökonomisch immer bedeutsamer werdenden Technologiebereich zu verlieren, sondern gefährdet auch seine bestehenden Stärken in anderen Schlüsseltechnologiebereichen wie bspw. den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften.
Da die strategische Förderung von Schlüsseltechnologien in Deutschland – anders als in China und den USA – erst am Anfang steht, empfiehlt die EFI ein regelmäßiges und systematisches Erfassen von etablierten und potenziellen Schlüsseltechnologien. Ein unabhängiges Beratungsgremium sollte auf Grundlage dieses Monitorings ein kontinuierlich aktualisiertes Technologie-Portfolio erstellen und die Bundesregierung zum Umgang mit diesen Schlüsseltechnologien beraten.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
Das EFI-Jahresgutachten 2022 ist online verfügbar unter: https://www.e-fi.de/publikationen/gutachtenExterner Link