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Meldung vom: | Verfasser/in: Axel Burchardt
Ein großes kariertes Blatt Papier, Lineal, Radiergummi und unterschiedliche Bleistifte – das reichte Ernst Schmutzer, um in Weiten der Theoretischen Physik zu gelangen, die vor ihm kaum jemand durchdacht und berechnet hatte. Gleichwohl war er stets daran interessiert, inwieweit seine theoretischen Ergebnisse in der Lage waren, physikalische Experimente und astronomische Beobachtungen zu erklären – und auch welche philosophischen Implikationen sich daraus ergeben.
Ernst Schmutzer, am 26. Februar 1930 in Labant im Böhmerwald geboren, studierte von 1949-1953 an der Universität Rostock Physik und promovierte dort über die Theorie starker Elektrolyte. 1957 kam er an die Universität Jena, wo er sich 1958 auf dem Gebiet der Relativistischen Physik habilitierte. Hier wurde der kreative Physiker bereits 1960, als 30-Jähriger, Professor für Theoretische Physik und leitete ab 1968 den Wissenschaftsbereich „Relativistische Physik", in dem er sich vor allem der Relativitäts- und Gravitationstheorie zuwandte. Seine im selben Jahr unter dem gleichen Titel erschienene Monographie und die zweibändige Gesamtdarstellung der Theoretischen Physik von 1989 sind zu Standardwerken geworden.
Sein scharfer Geist und seine Forschungsergebnisse machten ihn zu einem der führenden Theoretischen Physiker der DDR, was ihm Türen öffnete, die den meisten DDR-Bürgern verschlossen waren. So konnte Schmutzer ins westliche Ausland reisen und nahm beispielsweise 1967 eine Gastprofessur am Queens College der Universität London an. Es war dem Renommee von Ernst Schmutzer und seiner Arbeitsgruppe zu verdanken, dass aus Anlass des hundertsten Geburtstags von Albert Einstein 1980 die „9. International Conference on General Relativity and Gravitation“ nach Jena geholt werden konnte. Eine Konferenz, an der die wichtigsten Fachvertreter aus aller Welt, wie der später weltbekannte Stephen Hawking, teilnahmen, die aber – nach den Regeln der DDR-Politik – nur in engem Kontakt mit dem Staatsapparat ausgerichtet werden konnte.
Schmutzer war Dekan und Mitglied der Leopoldina, Träger u. a. der Carus-Medaille und des Nationalpreises sowie Vorsitzender des Unabhängigen Wissenschaftlerkomitees für politische Rehabilitierung in akademischen Angelegenheiten – ein renommierter Wissenschaftler mit Leitungserfahrung, dem viele Menschen vertrauten. Er wurde 1990 von demokratischen Kräften an der Universität aufgefordert, als Rektor zu kandidieren, um die Entwicklung der Friedrich-Schiller-Universität unter der neuen gesamtdeutschen Ausrichtung in demokratischer Form voranzutreiben. Dies schien vielen an der Universität umso dringlicher, da eine erste Wahl am 23. Februar 1990 wegen Fehlern beim Wahlverfahren annulliert werden musste.
Der 314. Rektor der Universität
Schmutzer trat an und gewann die Wahl am 2. April 1990 mit deutlicher Mehrheit (75 Ja-Stimmen von 112 anwesenden Mitgliedern). Er wurde am 19. April 1990 als 314. Rektor der Universität Jena ins Amt eingeführt. Bereits in seiner Antrittsrede wies er auf die Herausforderungen hin, die seine Amtszeit prägen sollten: Die Universität stabilisieren und ihre Demokratisierung und Internationalisierung sowie eine Entbürokratisierung vorantreiben. Die freie Entfaltung der Wissenschaft und aller Persönlichkeiten an der Universität jenseits von politisch ideologischen Vorgaben garantieren. „Ich rufe alle Universitätsangehörigen guten Willens und hinreichender Eignung und Qualifizierung für die neuen Aufgaben dazu auf, ihre Kräfte nicht zu schonen und mitzuhelfen, das heruntergewirtschaftete Land und unsere gesellschaftlich deformierte Universität neu zu gestalten“, sagte der neue Rektor und nahm Studierende wie Beschäftigte mit auf diesen steinigen Weg. Denn in der Realität hieß dies, die ab Oktober 1990 geltenden bundesdeutschen Gesetze und Vorgaben für die Hochschulen an der Jenaer Universität umzusetzen; mitzuentscheiden, wer weiter an der Universität arbeiten durfte und wer sie zu verlassen hatte; neue Strukturen zu etablieren; Wettbewerbsfähigkeit der Jenaer Wissenschaft und den stetig zahlreicher werdenden Studierenden eine angemessene Ausbildung zu garantieren.
Die bei vielen – darunter Schmutzer zu Beginn selber – aufkommende Hoffnung, einen „dritten Weg“ der Universitätsentwicklung aus Teilen des bundesdeutschen und des DDR-Systems gehen zu können, blieb im alltäglichen Handeln auf der Strecke. Dafür wurden der Demokratisierungsprozess und eine Struktur- und Verwaltungsreform umgesetzt. Ordnungen wurden diskutiert und verabschiedet, Gremien, Fakultäten und Institute gegründet, anderes wurde abgewickelt. Die Universität wurde modernisiert, in die nationale und internationale Wissenschaftsszene eingebunden, öffnete ihre Türen für die Wirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger und für immer mehr Studierende aus Nah und Fern. Bald galt die Jenaer Universität als eine der führenden und demokratisch umgestalteten Hochschulen in den neuen Bundesländern. Der „Jenaer Spirit“ des Aufbruchs ist auch dem Wirken des ganzen Leitungsteams der Universität zu verdanken.
Doch diese Aufbauarbeit kostete Kraft und so stellte sich Ernst Schmutzer nicht zur Wiederwahl. Am 28. Juni 1993 endete seine Amtszeit und die Investitur von Prof. Dr. Georg Machnik als neuem Rektor fand statt.
Rückkehr in die Wissenschaft
Ernst Schmutzer hingegen zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und nahm sich wieder Zeit für seine Wissenschaft, der er sich bis zu seinem Lebensende widmete – längst ergänzte moderne Technik das große Blatt Papier. Er untersuchte Erweiterungen zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, die er in einer zusätzlichen Raumdimension fand. In seiner „Projektiven Einheitlichen Feldtheorie" entstand – um ein Beispiel zu nennen – nach Schmutzers Vorstellung das Universum nicht mit einem Urknall, sondern mit einem sanften „Urstart“. Seine Theorie der fünf Raum-Zeit-Dimensionen erschien 2009 in seinem Buch „Fünfdimensionale Physik".
Seine Ideen und Theorien werden nun von anderen weitergedacht werden müssen. Ernst Schmutzer starb am 20. Februar 2022, kurz vor seinem 92. Geburtstag.
Die Friedrich-Schiller-Universität Jena trauert.