Blick auf die Stadt Horta auf der Insel Faial

Meine ersten Wochen

Wie es sich lebt, auf einer Insel mitten im Atlantik 
Blick auf die Stadt Horta auf der Insel Faial
Foto: GretaK
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Meine Reise hierher war eigentlich der perfekte Auftakt für ein Abenteuer und ist der Tatsache, dass ich mich in die Mitte des stürmischen atlantischen Ozeans bewege, vollkommen gerecht geworden. Die reine Flugstrecke an sich ist nicht lang (2,5 h von München - Lissabon und dann 2h Lissabon - Azoren), aber mit 10h Aufenthalt über Nacht am Lissaboner Flughafen und einem Flug, der vergessen wurde zu buchen, hat sich alles ein bisschen gezogen und ich war super erschöpft, erleichert und nervös 24h später endlich angekommen zu sein. Nachdem ich nicht ein Wort mit der Taxifahrerin wechseln konnte, wurde ich an der sogenannten Student Accomodation rausgeschmissen. Ein Reihenhaus. Ich war sehr verwirrt, denn vor meinem Auge bestand das Student Housing aus einem großen Gebäude mit vielen Zimmern, Gemeinschaftsküchen, geteilten Appartments, vielen Menschen die herkommen würden, mich begrüßen, mir den Koffer abnehmen, mir das Haus zeigen und mir etwas zum Essen kochen würden. Ich habe dann schließlich den Schlüssel aus dem Briefkasten gefischt und die Türe zu einem definitiv unbewohnten Reihenhaus geöffnet mit Oma-Muff und Spinnenweben.

Und so verbrachte ich die ersten Wochen allein in Casa 3. Später habe ich herausgefunden, dass all diese Häuser dem Institut, also dem DOP (Departamento do Oceonografia e Pescas) gehörten. Es waren sechs insgesamt und anscheinend waren alle meine Nachbarn auch beim DOP angestellt. Ich konnte das alles, mit dem Reihenhaus allein und dieser traumhaft schönen Insel noch nicht so ganz einsortieren und hab mich bisschen so gefühlt, als wäre ich in ein Paralleluniversum verfrachtet worden. An meinem ersten Tag habe ich also erstmal die Stadt erkundet, hab einen Kaffee getrunken und öffentliches Wlan gesucht. Das bekannteste Café der Insel, das Segler-Café Peters wurde unbedacht auserwählt, im Anschluss die Touristeninfo aufgesucht und mit einer Karte bewaffnet und einem Flyer für einen Fahrradverleih bin ich dann losgestapft, nichtsahnend, dass die beste Entscheidung, die ich je hätte machen können, bevorstand.

Meinem geliebten Fahrrad würde ich hier am liebsten ein eigenes Kapitel, bzw. ein Liebesgedicht und eine Lobeshymne widmen. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich mal Besitzerin eines fancy Gravel Bikes werden würde, aber vor einem Jahr wusste ich auch noch nicht, wer und was die Azoren sind. Ich habe also einfach ein Fahrrad gekauft. Nach intensiver Beratung und keiner Auswahl (es gab genau eins) habe ich meine Energiepauschale September 2022 so sinnvoll investiert. Und ich war mit einem Schlag frei wie ein Vogel und gewappnet für jegliche Unebenheit, jeden Auf- und Abstieg und jede Distanz, an die ich seit Jena nicht mehr gewohnt war.

Am nächsten Tag war mein erster Arbeitstag bzw. eher ein Kennenlernens-Tag und mir wurde schnell bewusst, dass ich Gott sei Dank nicht ganz allein auf dieser Insel war. Das DOP ist ein sehr schönes Gebäude und ist früher wohl mal ein Krankenhaus gewesen. Jetzt ist es ein zweiflügeliges Institut, hauptsächlich für Büros und Computer und teilweise Labore. Es wird hier von den Leuten aus Scherz DOP Terra genannt und unten am Hafen gibt es noch ein anderes Gebäude des Instituts: das DOP Mar, welches ein bisschen weniger Büro-lastig und mehr Aquarien, Labore und Meereskontakt hat. Mein Arbeitsplatz ist in DOP Terra in einem Raum, der ein bisschen wie ein kleiner Seminarraum aussieht. Eine Art shabby Open-Space für temporäre Praktikanten, da sonst kaum Platz ist in den anderen Büros bzw. richtigen Open-Spaces ist. Hier bin ich zusammen mit ca. acht anderen Praktikanten, die alle spanisch sprechen. Ein Teil von ihnen ist hier wegen ihres Pflicht-Praktikums im Master und der andere Teil mit einem Förderungs-Programm für Praktika namens Eurodissey.

Ich bin logischerweise mit der Einstellung hierhergekommen, mich dem Portugiesisch zu stellen und auf meinem kaum vorhandenen Basiswissen aufzubauen. Nach meinen ersten Tagen habe ich folgende Sachen festgestellt: ich werde hier hauptsächlich Spanisch sprechen & mein Spanisch auffrischen, und: mit Spanisch kann man ziemlich gut Portugiesisch verstehen und mit Spangiesisch kann man ziemlich gut mit PortugiesInnen kommunizieren. Das ist natürlich nicht der Idealfall, aber der Plan ist, step by step zum Portugiesisch zu switchen. Mit Welchem ich am Anfang generell ein bisschen überfordert war. Portugiesisch kam mir vor als hätte man Spanisch zusammen mit Französisch, Italienisch und Russisch durch den Fleischwolf gezwirbelt und gefühlt jede Person, mit der man sprach, hatte einen anderen Akzent, eine andere Klangfarbe und Phonetik. Manchmal bin ich erfreut, wie gut ich die Portugiesen verstehe und dann kommt eine Person und gibt einen Vortrag und ich kann absolut nichts davon mitnehmen, weil mir die Aussprache komplett unterschiedlich scheint (keine Ahnung, ob ich das irgendwann mit Portugiesisch-Skills bestätigen kann). Das Ganze braucht auf jeden Fall Zeit, aber ich bin guter Dinge und hoffe auch, dass irgendwann ein Portugiesisch-Kurs auf der Insel angeboten wird (bisher gibt es leider noch keine Infos dazu).

Als ich mich dann ein bisschen eingelebt habe, bin ich relativ schnell in einen guten Trott gekommen, habe Leute kennen gelernt, die Stadt, Insel & Co erkundet und mich im Institut eingegrooved. Ich bin sehr überrascht, wie schnell man sich wo daheim fühlen kann. Und trotzdem die ersten Wochen waren tatsächlich gar nicht so einfach. Ich war noch sehr gestresst von der Zeit vor der Abreise und überhaupt, ich konnte gar nicht so richtig realisieren, wo ich jetzt auf einmal bin und was das bedeutet. Ich hatte ein bisschen vergessen, dass es einem nicht in den Schoß fällt, irgendwo in einem anderen Land sich neu einzuleben und vor allem im wissenschaftlichen Kontext, unter all den Phd- und Master-Studenten und Leuten, die Ahnung haben, habe ich mich ein wenig fehl am Platz gefühlt. Letztendlich habe ich mir immer gedacht, was auch immer passiert, ich bin auf einer verdammt schönen Insel und das reicht mir schon, außerdem muss man den Dingen ein bisschen Zeit geben und sie flowen lassen.

Mittlerweile habe ich in meiner Open Space Crew sehr, sehr gute Freunde gefunden und wir verbringen viel Zeit miteinander und unternehmen alles Mögliche. Die Zeit im Büro und der gemeinsame Spirit haben uns sehr zusammen geschweißt. Leider fliegen alle im Dezember wieder nach Hause, aber die Welt ist hier sehr klein und man ist wahnsinnig schnell connected. Ein Abend in Porto Pim an der Bar und man begegnet dem ganzen DOP und noch vielen anderen. Auch für alle möglichen Hobbies findet man eine Nische, der man sich bedienen kann. So gibt es hier einen Cineclub, der im Theater regelmäßig Filme zeigt, eine Klettergruppe, Freediver-Begeisterte, Basketball-Treffen, Ecstatic Dance, Yoga und vieles mehr. Nur für’s Acro-Yoga habe ich noch niemanden gefunden, aber dafür gibt es genug andere Sachen, die ich hier machen kann. :) Die Zeit reicht sowieso nicht, für all die Pläne und aktuell taumel ich sowieso ziemlich glücklich von einem Tag in den nächsten.

 

 

Helicolenus dactylopterus in unserer Spüle
Forschungsfische
Hin und Wieder bleiben von Expeditionen (als Beifang) oder von Probenentnahmen diverse Fische im Institut übrig, die wir dann mit nach Hause nehmen dürfen. Leider esse ich keinen Fisch, aber es ist trotzdem immer ein Happening.