Die Hornfarn-Art "Ceratopteris richardii" ist ein Modellorganismus in der Pflanzengenetik.

„Schrott“ im Erbgut: Woher Farne ihr riesiges Genom haben

Ein internationales Forschungsteam hat eines der ersten Farngenome in voller Länge veröffentlicht.
Die Hornfarn-Art "Ceratopteris richardii" ist ein Modellorganismus in der Pflanzengenetik.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)
  • Forschung

Meldung vom: | Verfasser/in: Ute Schönfelder

Farne gehören zu den Organismen mit dem umfangreichsten Erbgut, bis zu 720 Chromosomenpaare kann das Genom einer Farnpflanze aufweisen. Diese überbordende Größe und Komplexität der meisten Farngenome hat es Forschenden bislang erschwert, grundlegende Aspekte der Farnbiologie und der Evolution der Landpflanzen durch genomgestützte Forschung zu klären. In der Fachzeitschrift „Nature Plants“Externer Link hat jetzt jedoch ein internationales Forschungsteam eines der ersten Farngenome in voller Länge veröffentlicht. Unter den Autoren sind auch Forschende der Universität Jena.

Die Sequenzierung des Genoms von „Ceratopteris richardii“ war eine wahre Mammutaufgabe: Über acht Jahre haben Forschende von insgesamt 28 Institutionen auf der ganzen Welt gebraucht, um das riesige Genom des Farns zu entschlüsseln, das mit 7,46 Gigabasenpaaren mehr als doppelt so groß wie das des Menschen ist. „Ceratopteris richardii“ gehört als Farn zu den Monilophyten, den nächsten lebenden Verwandten aller Samenpflanzen, zu denen neben den Farnen insbesondere auch die Schachtelhalme gehören. „Die kleine Pflanze lässt sich leicht kultivieren und wächst sehr schnell, so dass sich innerhalb weniger Wochen an ihr der gesamte Lebenszyklus einer Farnpflanze untersuchen lässt“, sagt Prof. Dr. Günter Theißen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Das mache diesen Farn zum idealen Modellorganismus für die Forschung, erklärt Theißen die Bedeutung des für Laien eher unscheinbaren, aber fast jedem Aquarianer als „Hornfarn“ bekannten Gewächses. Der Professor für Genetik ist ebenso wie seine Kollegin Dr. Lydia Gramzow Teil des Autorenteams der Publikation.

Die Analyse des „Ceratopteris“-Genoms liefert den Forschenden nun erste Hinweise darauf, warum Farne so viel DNA enthalten. Seit den 1960er Jahren ging man davon aus, dass dies durch mehrfache Verdoppelung des Genoms passiert ist, bei der versehentlich ein zusätzlicher Chromosomensatz an die Nachkommen weitergegeben wird. Solche Verdopplungen des gesamten Genoms sind von vielen Pflanzen und sogar Tieren bekannt – für die Größe des Genoms von „Ceratopteris“ sind sie aber nicht allein verantwortlich, wie sich jetzt zeigt. Denn hätte „Ceratopteris“ seine DNA durch wiederholte Genomverdopplungen angehäuft, hätten große Teile seines Erbguts charakteristische Ähnlichkeiten zeigen müssen. Das ist nicht der Fall. Stattdessen fanden die Forschenden ein Sammelsurium von sich wiederholenden Sequenzen und Millionen kurzer Genschnipsel, die zusammen 85 Prozent der DNA des Farns ausmachten. Statt mehrerer Genomkopien enthält „Ceratopteris“ also vor allem genetischen „Schrott“, der sich über Millionen von Jahren angesammelt hat. Dieser „Schrott“ ist insbesondere das Ergebnis der Aktivität von Transposons und Retrotransposons, das sind sogenannte „springende Gene“, die in allen höheren Lebewesen vorkommen, sich aber in Farngenomen offenbar besonders wohl fühlen.

Prof. Dr. Günter Theißen ist einer der Autoren der aktuellen Publikation in "Nature Plants". Das internationale Forschungsteam hat die vollständige Sequenz des Genoms von "Ceratopteris richardii" (Pflänzchen in der Box) entschlüsselt und analysiert.
Prof. Dr. Günter Theißen ist einer der Autoren der aktuellen Publikation in "Nature Plants". Das internationale Forschungsteam hat die vollständige Sequenz des Genoms von "Ceratopteris richardii" (Pflänzchen in der Box) entschlüsselt und analysiert.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Einblicke in die Evolutionsgeschichte von Blüten, Früchten und Samen

Das Jenaer Team um Günter Theißen interessiert sich weniger für den nutzlosen Schrott im Genom, sondern hat im Rahmen der Studie die sogenannten MADS-Box-Gene des Farns identifiziert und analysiert. Mitglieder dieser Genfamilie kontrollieren wichtige Entwicklungsprozesse in Blütenpflanzen, insbesondere die Blüten- und Fruchtentwicklung. „Um herauszufinden, wie Blüten und Früchte im Verlauf der Evolution entstanden sind, studieren wir in meiner Arbeitsgruppe seit langem die Evolutionsgeschichte dieser Gene“, so Theißen. Als eine der ersten Gruppen überhaupt, haben er und seine Kolleginnen und Kollegen schon vor rund 25 Jahren auch einige MADS-Box-Gene aus dem Farn „Ceratopteris richardii“ isoliert. Doch erst die Analyse der jetzt vorliegenden Gesamtsequenz des Farngenoms erlaubt erstmals einen vollständigen Überblick über sämtliche im Farn vorhandenen MADS-Box-Gene.

Die Ergebnisse zeigen uns, dass wir schon vor 25 Jahren einen durchaus repräsentativen Überblick, aber keine vollständige Kollektion der uns interessierenden Gene erhalten hatten“, sagt Genetiker Theißen. Es bestätigte sich nun, dass die spezifischen Unterfamilien an MADS-Box-Genen, die in Blütenpflanzen die Blütenentwicklung steuern, bereits vor 300–400 Millionen Jahren in der Evolutionslinie entstanden sind, die zu den heutigen Samenpflanzen führte, nachdem sich die Linie, die zu den heute lebenden Farnen führte, bereits abgespalten hatte.

Die jetzt vorliegende Sequenz des Farngenoms bietet auch die Grundlagen für ganz neue Forschungsfragen der Arbeitsgruppe um Theißen. „Wir wollen die Hypothese testen, dass Veränderungen in bestimmten MADS-Box-Genen eine Rolle bei der Entstehung des Samens, einer der wichtigsten Innovationen der Landpflanzen und eine wesentliche Grundlage der menschlichen Ernährung, gespielt haben.“ Die dazu notwendigen Funktionsstudien mit „Ceratopteris richardii“ sind technisch anspruchsvoll, aber durch die jetzt publizierte Genomsequenz wesentlich leichter geworden.

Information

Original-Publikation:

Marchant, D.B., Chen, G., Cai, S. et al. (2022) Dynamic genome evolution in a model fern. Nat. Plants (2022). https://doi.org/10.1038/s41477-022-01226-7Externer Link

Kontakt:

Günter Theißen, Univ.-Prof. Dr.
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Günter Theißen
Foto: privat