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Lehre NACHGEFRAGT

Newsletter Lehre 01 2023
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Fünf Fragen an Dr. Volker Schwartze und Dr. Martin Kerntopf zum Thema Vermittlung von Datenkompetenz in der Lehre

Dr. Martin Kerntopf (links) und Dr. Volker Schwartze (rechts)

Foto: Cora Assmann

Dr. Volker Schwartze promovierte im Bereich der Mikrobiologie und war anschlißend als PostDoc an der Uni Jena und dem Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie tätig. Im Anschluss war er Mitarbeiter der Kontaktstelle Forschungsdatenmanagement, bevor er im Juni 2020 Koordinator des Projekts zur Lehrentwicklung im Bereich Data Literacy (DaLiJe) an der Universität Jena wurde.

Dr. Martin Kerntopf ist promovierter Politikwissenschaftler und seit dem Wintersemester 2022/23 Mitarbeiter im DaLiJe Projekt des Michael Stifel Centers Jena. Zeitgleich ist er Datenmanager des Ostseeforschungszentrums an der Uni Greifswald.

Was versteht man unter Data Literacy und warum ist es wichtig, dass die Universität ihre Studierenden mit Kompetenzen im Umgang mit Daten ausstattet?

Daten gewinnen in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Dabei sollte man sich bewusst sein, dass der Begriff "Daten" in diesem Zusammenhang wirklich weit gefasst werden kann und neben Datentabellen, an die man meist zuerst bei dem Begriff denkt, auch Bilder, Texte, Audioaufnahmen und viele andere Datenformen umfasst. Daten liegen heutzutage meistens, aber nicht ausschließlich, in digitaler Form vor. Sie bilden nicht nur die Grundlage für wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern helfen auch bei der Identifizierung und Lösung von Problemstellungen in verschiedenen Bereichen unseres alltäglichen Lebens, der Politik oder der Wirtschaft. Also egal, was man studiert, man kommt um das Thema Daten nicht herum.

Umso wichtiger werden auch grundlegende Kompetenzen zum Umgang mit und dem Einsatz dieser Daten. Gerade Hochschulabsolvent*innen müssen in verstärktem Maße auf diese neuen Anforderungen vorbereitet werden. Der Begriff Data Literacy leitet sich von der allgemeinen Lesefähigkeit (engl. Literacy) ab und bezieht sich darauf, dass man in der Lage ist, Daten zu lesen, angemessen mit ihnen umzugehen und in einem gegebenen Kontext mit ihnen zu argumentieren beziehungsweise auch datenbasierte Argumentationen kritisch zu hinterfragen. Dazu sind Kompetenzen aus verschiedenen Bereichen nötig, beispielsweise zum Sammeln und Analysieren von Daten, dem Datenmanagement oder zum Erstellen und Verstehen von Visualisierungen. Da wir heutzutage meist mit digitalen Daten arbeiten, spielen dabei insbesondere digitale Werkzeuge eine wichtige Rolle. Data Literacy beschränkt sich allerdings nicht nur auf das rein technisch-methodische Arbeiten mit Daten, sondern beinhaltet auch das kritische Reflektieren von ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten, die dabei von Bedeutung sind.

Nicht jeder Absolvent und nicht jede Absolventin möchte Data Scientist ("Datenwissenschaftler") werden. Sind Kompetenzen im Umgang mit Daten in allen Disziplinen notwendig?

Das Ziel von Data Literacy ist nicht Data Scientists, also Experten und Expertinnen in Bezug auf die praktische Arbeit mit Daten und dafür notwendige Technologien, auszubilden. So wie die allgemeine Schreib- und Lesefähigkeit einen nicht gleich zum Schriftsteller oder Literaturwissenschaftler macht, sollte man Data Literacy auch als eine Grundkompetenz verstehen. Am Ende ist man noch kein Experte/keine Expertin im Bereich Datenauswertung, aber man ist sich relevanter Aspekte datenbasierter Methoden bewusst und kann sich davon ausgehend kritisch mit Daten sowie den Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren bei deren Verwendung auseinandersetzen. Das beinhaltet zum Beispiel auch Einblicke in das, was sich hinter Begriffen wie "Algorithmus" oder "künstliche Intelligenz (KI)", die häufig als "Buzzwords" verwendet werden, wirklich verbirgt.

Solche Kompetenzen werden immer wichtiger, um Entwicklungen zu verstehen und Entscheidungen zu treffen, ob in der Wissenschaft, im Berufsleben oder auch bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Aufgrund der Art, wie Daten unsere Gesellschaft prägen, gehört Data Literacy heute zur Allgemeinbildung und ist nicht nur für spezielle Personengruppen relevant, sondern auf einem bestimmten Level für jede und jeden unverzichtbar. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang angehenden Lehrer*innen zu, da sie nicht nur selbst Kompetenzen zum Umgang mit Daten benötigen, sondern später auch Schüler*innen an den kritischen und reflektierten Umgang mit Daten heranführen müssen.

Häufig stammen Daten, mit denen man im Alltag konfrontiert wird, nicht aus den eigenen Fach- bzw. Erfahrungsbereichen, mit denen man vertraut ist. Trotzdem muss man in der Lage sein, sich auch mit solchen Daten kritisch auseinanderzusetzen. Das ließ sich insbesondere in der Corona-Pandemie sehr deutlich erkennen. Infografiken und unterschiedlichste Kennzahlen wurden immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert und als Grundlage für Entscheidungen herangezogen. Gerade bei solchen emotionalen und polarisierenden Themen ist es manchmal gar nicht so einfach, einen objektiven Blick auf die Daten zu behalten. Das waren nicht in allen Fällen gezielte Falschmeldungen ("Fake News"), die sich meist schnell identifizieren lassen. Teils gab es, absichtlich oder unabsichtlich, irreführende oder verzerrte Darstellungen beispielsweise durch falsche oder unvollständige Daten beziehungsweise durch starke Vereinfachungen. Gerade in solchen Fällen kann nur mit einem entsprechenden Grundlagenverständnis für Daten und deren Auswertung sowie einer kritischen Haltung hinterfragt werden, welche Informationen zuverlässig sind und welche nicht.

Wie werden Datenkompetenzen bisher vermittelt und welche innovativen Ansätze sehen Sie, um den Studierenden den Umgang mit Daten näher zu bringen?

Die Arbeit mit Daten nimmt in nahezu allen Fachbereichen bereits einen wichtigen Stellenwert ein. Im Grunde ist der kompetente Umgang mit Daten also nichts Neues in der Wissenschaft. Daher sind viele Aspekte von Data Literacy bereits Bestandteil der studentischen Ausbildung, entweder als eigenständige Veranstaltungen mit spezifischem Fokus, z.B. im Bereich Statistik, oder als impliziter Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeitsweise. Zusätzlich werden auch das Thema Digitalisierung und die Nutzung digitaler Werkzeuge zu immer wichtigeren Inhalten der Studienprogramme. Der Schwerpunkt liegt dabei allerdings weitestgehend auf spezifischen Anwendungen von Daten im eigenen Fachbereich. Data Literacy ist dagegen eine stark transdisziplinär geprägte Kompetenz und umfasst Bereiche, die deutlich über die Grenzen der einzelnen Fachbereiche hinausgehen bzw. auch allgemeine Kompetenzen wie kritisches Denken beinhalten, die sich meist schwer explizit thematisieren lassen. Dadurch lässt sie sich momentan oft nur schwer vollumfänglich in die einzelnen Studienprogramme integrieren.

Trotzdem lassen sich viele Aspekte gut in der Fachausbildung thematisieren, da sie implizit bereits enthalten sind. Das muss oft gar nicht mit großen Änderungen verbunden sein. Wir haben beispielsweise Projekte mit Kollegen und Kolleginnen aus der Biologie und Biochemie durchgeführt, bei denen das Thema Datenmanagement im Kontext von Praktikumsveranstaltungen eingebracht wird. Entsprechend den Anforderungen der Module wurden die Grundlagen zu dem Thema über einen Selbstlernkurs bzw. ein Seminar vermittelt und über den Einsatz elektronischer Laborbücher in der Praktikumsveranstaltung angewendet. Da die Studierenden im Rahmen der Praktika ohnehin Daten generieren und ihre Arbeit dokumentieren müssen, werden sie ohne größeren Mehraufwand an moderne Methoden des Datenmanagements herangeführt und wird das Thema besser erfahrbar gemacht.

Data Literacy ist nichts, was man in einer einzelnen Veranstaltung erwirbt, sondern über das gesamte Studium hinweg weiterentwickelt. Daher ist vor allem wichtig, dass Studierende sehr früh für das Thema Daten sensibilisiert und an relevante Grundlagen herangeführt werden. Darauf aufbauend sollten sie die Möglichkeit haben, sich über das Studium hinweg kontinuierlich mit den verschiedenen Aspekten datenbasierter Arbeit zu befassen, ob im Rahmen von regulären Lehrveranstaltungen des Studiengangs oder Zusatzangeboten wie Workshops oder Zertifikatsprogrammen. Das ist eine große Herausforderung, da dafür ein hohes Maß an Abstimmung und interdisziplinärer Zusammenarbeit notwendig ist, um die Inhalte der verschiedenen Angebote zu verknüpfen und auch nicht-fachspezifische Aspekte sinnvoll einzubinden.

Hier können digitale Lernmethoden weiterhelfen, insbesondere bei der Heterogenität von Studierenden in Bezug auf Zeit und Vorwissen. So können asynchrone Onlinekurse Studierenden die Möglichkeit geben, sich mit Themen entsprechend ihren zeitlichen Möglichkeiten und in ihrem eigenen Tempo zu befassen. Solche Ressourcen können auch als Wissensspeicher über das Studium hinweg verfügbar gemacht werden, um eine Wiederholung oder Vertiefung bestimmter Inhalte zu ermöglichen. Lehrende können auf solche digitalen Lernmaterialien auch zur Vorbereitung auf weiterführende Themen in Fachveranstaltungen zurückgreifen. So können Kurse zu Data-Literacy-Grundlagen als "roter Faden" zu entsprechenden Themen genutzt und direkt mit Fachinhalten verknüpft werden. Durch die sichtbare Verknüpfung wird Data Literacy nicht mehr zum gesondert stehenden Zusatzthema, sondern ein sichtbarer Bestandteil der Fachausbildung.

Wichtig ist dabei aus unserer Sicht vor allem, dass Studierende die Möglichkeit bekommen, "über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen" und nicht nur theoretisches Wissen anhäufen, sondern selbstständig mit Daten arbeiten können. Gerade projektbasierte Arbeiten in interdisziplinären Teams, z. B. in Form von Hackathons oder semesterbegleitenden Projekten, haben sich im Bereich Data Literacy als effektive Lehrformate an vielen Hochschulen etabliert. Im Rahmen des Data Literacy Zertifikatsprogramms erarbeiten wir gerade ein entsprechendes Veranstaltungsangebot für Studierende der Universität.

Wie werden Lehrende, die sich mit der Vermittlung von Data Literacy Kompetenzen beschäftigen möchten, an der Friedrich-Schiller-Universität unterstützt?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Unterstützung in diesem Bereich zu bekommen. Eine davon ist unser Data Literacy Projekt (DaLiJe). Wir unterstützen Lehrende je nach deren Bedarfen auf ganz unterschiedlichen Wegen.

Im einfachsten Fall können wir Material zu Themen zur Verfügung stellen, z.B. Inhalte aus unserem interaktiven Data Literacy Selbstlernkurs, den wir seit 2021 anbieten.

Für gemeinsame Neu- oder Weiterentwicklungen von Lehrveranstaltungen, wie sie oben beschrieben sind, arbeiten wir intensiv mit Lehrenden zusammen. Wir suchen gemeinsam passende Data Literacy Themen heraus und erstellen Konzepte für die Einbindung in die jeweilige Lehrveranstaltung des Fachstudiengangs. Wir unterstützen auch gerne bei der Gestaltung anderer Lehrformate, wie Workshops für spezielle Studierendengruppen, um Themen, die sich nicht einfach in bestehende Veranstaltungen integrieren lassen, studienbegleitend aufgreifen zu können. In diesem Rahmen haben wir zusammen mit weiteren Partnern bereits Workshops zu Themen wie den Umgang mit empirischen Daten in geisteswissenschaftlichen Arbeiten, der Erstellung von 3D-Modellen, der Einführung in die Programmierung und Data Literacy für den Schulalltag organisiert.

Da wir nicht zu allen Themen selbst die notwendigen fachlichen und technischen Inputs liefern können, besteht ein Großteil unserer Arbeit aus der Vernetzung von Lehrenden und potentiellen Kooperationspartnern sowie Kooperationspartnerinnen, um einen Austausch zum Thema Datenkompetenz zu ermöglichen. Dies erfolgt in Einzelberatungen oder im Rahmen von Veranstaltungen, die wir beispielsweise in Form von Tagungen oder Workshops organisieren, wie z.B. die Tagung "Digitale Kompetenzen vermitteln - aber wie?" im November 2021.

Daneben gibt es an der Universität viele weitere Stellen, die Lehrende bei der Implementierung von Data Literacy Themen in der eigenen Lehre unterstützen. Wenn es um didaktische Fragen der Einbindung von Inhalten geht, geben die Kolleg*innen der Servicestelle Lehre Lernen hilfreiche Hinweise. Beim Thema Vermittlung von Grundlagen zur Nutzung digitaler Werkzeuge helfen die Angebote des Kompetenzzentrums digitale Forschung (zedif) weiter. Zum einen werden dort Informationen und Einstiegskurse zu Daten und forschungsrelevanter Software angeboten, die den Lehrenden selbst einen besseren Zugang zu digitalen Werkzeugen ermöglichen. Zum anderen bietet das zedif im Rahmen der Carpentries, einer internationalen Non-Profit Organisation zum Thema Vermittlung von Software- und Datenkompetenz, sogenannte Instructor-Trainings an, die Interessierte dazu befähigen, selbstständig Kurse zu den entsprechenden Tools auszurichten.

Was würden Sie Lehrenden raten, die ihren Studierenden gern mehr Kompetenzen zum Umgang mit Daten vermitteln möchten?

Es ist wichtig, einen offenen Blick für die vielen Facetten beim Umgang mit Daten zu haben und zu überlegen, an welchen Stellen entsprechende Themen im eigenen Fachbereich angesprochen werden und wie Studierende noch expliziter auf die Herausforderungen vorbereitet werden können. Ich nehme mich häufig selbst als Ausgangspunkt und sammle Themen, bei denen es mir in meinem Studium, meiner Forschungsarbeit oder auch im Alltag geholfen hätte, wenn ich früher mit ihnen vertraut gewesen wäre.

Ansonsten ist es gerade durch die thematische Breite von Data Literacy und insbesondere bei Themen, die sich auch außerhalb der einzelnen Fachbereiche z.B. auf die Nutzung von Daten im Alltag und deren gesellschaftliche Auswirkungen beziehen, sinnvoll, sich mit Partnern aus unterschiedlichen Bereichen zu vernetzen und gemeinsam Angebote für Studierende zu entwickeln. Die genannten Unterstützungsangebote bieten dafür gute initiale Anlaufstellen und können beratend zur Seite stehen.  

Kontakt

Volker Schwartze, Dr.
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Michael Stifel Center Jena
JenTower, Raum 21S03
Leutragraben 1
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Martin Kerntopf, Dr.
vCard
Michael Stifel Center Jena
JenTower
Leutragraben 1
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