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Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
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Märchen und Sagen kreisen häufig um Schätze, deren Besitz jedoch nicht selten Unglück bringt. Ein Motiv, das in der Fantasy-Literatur wiederkehrt, etwa bei der Suche Gollums nach seinem Schatz in Tolkiens „Der Herr der Ringe“. Auch Prof. Dr. Sophie Marshall forscht aktuell über Schätze. Die Mediävistin von der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht hierbei mittelalterliche Texte wie den „Waltharius“, den „Beowulf“ oder das „Nibelungenlied“. „Es geht um die Frage, welche Rolle Geld in dieser Dichtung spielt und woraus die Schätze überhaupt bestehen“, sagt Sophie Marshall. Gleichzeitig möchte sie untersuchen, inwieweit das Motiv des Schatzes und der Schatzsuche mit dem Begriff der „Gabe“ zusammenhängt. Denn über Gaben, auch Geschenke von Schatzgegenständen, habe der Zusammenhalt der mittelalterlichen Gesellschaft funktioniert – wenn man der bisherigen mediävistischen Forschung folgt.
Blicke über das eigene Forschungsgebiet hinaus
Sophie Marshall hat bereits als Juniorprofessorin in Jena gearbeitet, nun ist sie auf die Professur für Germanistische Mediävistik berufen worden. Bei ihrer Forschung an mittelalterlichen Texten schaue sie über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus, sagt die 39-Jährige. „In die Untersuchung zu den Schätzen fließen archäologische Befunde ebenso ein wie Erkenntnisse der Numismatik“, sagt Sophie Marshall. Bemerkenswert sei beispielsweise, dass es im skandinavischen Raum zuweilen eine höhere Funddichte gebe als im Raum westlich der Elbe. Interessant deshalb, weil die gefundenen Münzen oftmals im Gebiet des Fränkischen bzw. Heiligen Römischen Reiches geprägt worden waren. Eine mögliche Ursache für die andere Fundsituation im Reich könnten die Wechselzwänge und die zahlreichen „Verrufungen“ gewesen sein. Dabei wurden die Münzen auf Weisung des Münzherren eingesammelt, überprägt und neu ausgegeben. Zudem habe es vielleicht unterschiedliche Hortungspraktiken gegeben, konstatiert Sophie Marshall. In einer anderen Arbeit geht es um die Beziehungen des Menschen zu Dingen, gespiegelt in der Literatur des Mittelalters. „Wie wird der Mensch-Ding-Bezug in mittelalterlichen Texten gestaltet, so lautet die Frage“, so Prof. Marshall. Konkret gehe es um Gegenstände wie Steine, Schwerter oder Messer. Dinge, die oft sehr begehrt waren, weit über ihren materiellen Wert hinaus. Das konnte so weit gehen, dass sie Eigennamen erhielten. Die Forschungsergebnisse dazu werden in einen Sammelband einfließen.
Für das Studium des Altenglischen nach Berkeley
Sophie Marshall kommt aus Bielefeld. Sie hat in Tübingen studiert, kam dabei über Umwege zur Mediävistik. Zunächst hatte sie mit Ur- und Frühgeschichte und Klassischer Archäologie begonnen, dann wechselte sie ins Fach Ältere deutsche Sprache und Literatur. Das Interesse für die Sprachen der Vorfahren kam schon in ihrer Kindheit auf und schlug sich etwa in den Leistungskursen Altgriechisch und Latein am Gymnasium nieder. Ihr Bruder habe sie immer als „Totsprachlerin“ tituliert, sagt Sophie Marshall. Tatsächlich faszinierten sie nicht nur die antiken Sprachen, während des Studiums lernte sie Gotisch, Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch und ging im Rahmen ihres Promotionsstudiums nach Berkeley an die University of California, um dort Altenglisch zu studieren. Ihre Dissertation schrieb Sophie Marshall in Tübingen über psychoanalytische Lektüren zum höfischen Roman am Beispiel von „Tristan“, „Parzival“ und anderen. Das Buch erschien 2017 unter dem Titel „Unterlaufenes Erzählen“. Nach der Doktorarbeit war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Lyrik des deutschen Mittelalters“ in Stuttgart. Von dort wechselte sie als Juniorprofessorin nach Jena.
Fantasy-Literatur weckt das Interesse für alte Sprachen
In der Lehre schließt sich für Sophie Marshall der Kreis zur Fantasy-Literatur. Nicht weil „Der Herr der Ringe“ oder ähnliche Werke Teil der Vorlesungen wären, sondern weil viele Studierende sagen, ihre Faszination für die alten Sprachen und Erzählungen sei durch Fantasy-Literatur geweckt worden. Die Arbeit mit derart faszinierten Studierenden mache Spaß, sagt Sophie Marshall. Auch wenn Ältere deutsche Literatur wohl nie ein Massenfach werde.