Die Landesfahne von Thüringen im Landtag.

Demokratie in Thüringen unter Druck

Politikwissenschaftler der Universität Jena präsentieren den Thüringen-Monitor 2022
Die Landesfahne von Thüringen im Landtag.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)
  • Forschung

Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien

Die Zufriedenheit mit der Praxis der Demokratie und das Vertrauen in staatliche Institutionen befinden sich in Thüringen auf dem niedrigsten Stand seit 16 Jahren, so lautet eine der Kernaussagen des Thüringen-Monitors 2022. Dennoch stimmen statistisch gesehen noch immer mehr als vier von fünf Personen der Aussage zu, dass die Demokratie die beste aller Staatsideen sei. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Bundesregierung auf 22 Prozent gesunken, ein Rückgang um 15 Prozentpunkte. Der Thüringer Landesregierung vertrauen hingegen noch 40 Prozent der Befragten, 2020 waren es noch 53 Prozent. „Gerade im ländlichen Raum Thüringens befindet sich die Zufriedenheit mit der Demokratie auf einem besorgniserregenden Niveau“, sagt Prof. Dr. Marion Reiser, die wissenschaftliche Leiterin des Thüringen-Monitors. Erstellt wird der Thüringen-Monitor im Auftrag der Thüringer Staatskanzlei von Prof. Dr. Marion Reiser, Dr. Anne Küppers, Volker Brandy, Dr. Jörg Hebenstreit und Dr. Lars Vogel vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Jena und dem KomRex – Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration. Für die aktuelle Ausgabe des Thüringen-Monitors wurden insgesamt 1.885 Bürger und Bürgerinnen in der Zeit vom 19. September bis 6. Dezember 2022 zu ihren Einstellungen zu Demokratie, Rechtsextremismus und Antisemitismus befragt.  Als positiv werten die Forscherinnen und Forscher jedoch, „dass die niedrige Demokratiezufriedenheit und das geringe Vertrauen in staatliche Institutionen nicht zu einem Anstieg der Zustimmung zu alternativen Gesellschaftsordnungen wie Diktatur und Nationalsozialismus geführt haben“ – wie Dr. Anne Küppers, die wissenschaftliche Koordinatorin des Thüringen-Monitors, ergänzt.  

Die Unterschiede zwischen Stadt und Land im Fokus

Wie Marion Reiser erläutert, nimmt der aktuelle Thüringen-Monitor vor allem den Unterschied zwischen Stadt und Land in den Blick. Da Thüringen neben den großen Städten vor allem kleinstädtisch-dörflich geprägt ist, wurden vier Kategorien erstellt: „städtisch“, „etwas ländlich“, „moderat ländlich“ und „sehr ländlich“. Dabei, so das Fazit der Forscherinnen und Forscher, gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen der Einwohner auf ihr Wohnumfeld. So werde auf dem Land die schlechte Infrastruktur- und Daseinsvorsorge und die Abwanderung junger Menschen beklagt, in der Stadt herrschen dagegen Sorgen wegen steigender Mieten. Kaum feststellbar seien hingegen Unterschiede in Bezug auf Zufriedenheit mit Kinderbetreuung, Pflegedienst-Angebote und mobile Datenversorgung. „Dennoch verfestigt sich vielerorts die Ansicht, in Gewinner- oder Verliererregionen zu leben“, sagt Prof. Reiser. Durchweg loben die Thüringerinnen und Thüringer jedoch den sozialen Zusammenhalt in ihren Gemeinden und sehen ihre Gemeinden als einen attraktiven Ort zum Leben.

Populistische Einstellungen sind deutlich gestiegen 

  
Thüringenweit deutlich gestiegen sind populistische Einstellungen, so das Ergebnis der Befragung: Fast 60 Prozent der Bevölkerung sind als populistisch eingestellt zu bezeichnen. Im Vorjahr waren es 48 Prozent. So stimmen 64 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass „die Herrschenden und Mächtigen gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung handeln“. Sogar 81 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass Politiker sich immer einig sind, wenn es gilt, ihre Privilegien zu schützen. Jedoch werden der rechtsextrem-autoritäre Ethnozentrismus und die rechtsextrem motivierte Ablehnung der Demokratie überwiegend nicht geteilt. So könne deshalb der einstellungsmäßige Populismus nicht als rechtspopulistisch angesehen werden, der gegenteilige Befund gilt für nur 13 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer.Der Thüringen-Monitor kommt auch zum Ergebnis, dass rechtsextreme Einstellungen bei zwölf Prozent der Befragten feststellbar sind, damit verharrt dieser Wert seit dem Vorjahr auf dem Tiefstand seit Beginn der Messungen im Jahr 2001.

Insgesamt, so ein Fazit des Monitors, sind populistische, antisemitische und rechtsextreme Einstellungen in ländlichen Regionen ebenso häufiger wie bei Personen, die sich von der Bundes- und Landespolitik „abgehängt“ fühlen. In Bezug auf antisemitische Einstellungen wurde ermittelt, dass sechs Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, „die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“. Damit liegt Thüringen im gesamtdeutschen Trend. Deutlich und signifikant zurückgegangen ist demgegenüber der israelbezogene Antisemitismus. Nur halb so viele Befragte wie 2021 (zwölf Prozent) stimmten der Aussage zu, „bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“.

Der vollständige Thüringen-Monitor 2022 kann auf der Website der Thüringer Staatskanzlei als PDF-Dokument heruntergeladen werden: https://thueringen.de/regierung/th-monitorExterner Link.   

Ein Deutschland-Monitor als Kooperationsprojekt in der Pilotphase    


Die Qualität des Thüringen-Monitors und die Expertise der daran beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind unterdessen nicht unbemerkt geblieben. Im Frühjahr 2023 startete eine dreijährige Pilotphase für einen Deutschland-Monitor, dessen Ziel es ist, durch regelmäßige Datenerhebungen und vergleichende Analysen über die Zeit hinweg Erkenntnisse über kurzfristige Veränderungen der gesellschaftlichen Stimmungslagen sowie deren Konstanz und Wandel zu gewinnen. Das Projekt leiten Prof. Dr. Marion Reiser, Prof. Dr. Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung an der Universität Halle-Wittenberg und Prof. Dr. Reinhard Pollack vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim. Zum Jenaer Team gehören Dr. Jörg Hebenstreit und Pierre Zissel. Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung in Ostdeutschland, Carsten Schneider, soll es jedes Jahr ein Schwerpunktthema geben. Ziel ist es, die breite Öffentlichkeit und die Politik zu informieren und zugleich eine Basis für wissenschaftliche Analysen und Debatten zu bieten. „Ein zentrales innovatives Merkmal des Deutschland-Monitors ist es, dass wir die regionale Ebene in die Erhebung einbeziehen werden“, sagt Marion Reiser. Angesichts der Vielfalt der Regionen und der Bedeutung der kommunalen Autonomie in Deutschland werde die bundesweite repräsentative Befragung durch die systematische Erhebung regionaler Einstellungsdaten auf der Kreisebene erweitert. Ein besonderer Fokus liege in der vergleichenden Untersuchung gesellschaftlicher Dynamiken in strukturstarken und strukturschwachen Regionen Deutschlands. Marion Reiser: „Wir verstehen den Deutschland-Monitor als offenen Beitrag für die Herstellung bundesweit einheitlicher Lebensverhältnisse.“

Kontakt: 

Marion Reiser, Univ.-Prof. Dr.
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