Fünf Fragen zu ChatGPT in der Lehre an Evelyn Hochheim, Franziska Teichmann und Daniel Pastuh von der hochschuldidaktischen Servicestelle LehreLernen
Evelyn Hochheim, Franziska Teichmann und Daniel Pastuh sind als hochschuldidaktische Expert:innen in der Servicestelle LehreLernen tätig. Tagtäglich arbeiten sie gemeinsam mit Lehrenden aller Fachdisziplinen daran, die Lehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena voranzubringen. Sie nutzen ihre eigene Lehrerfahrung und die vielseitigen Einblicke aus der Zusammenarbeit mit Lehrenden aller Fakultäten, um aktuelle Erkenntnisse aus der Hochschuldidaktik effektiv und praxisnah für den Universitätsalltag aufzubereiten. In thematischen Workshops, verschiedenen Zertifikatsprogrammen, Beratungen und Lehrcoachings gibt das Team der Servicestelle LehreLernen fundierte Impulse für die Weiterentwicklung von Lehrkonzepten und unterstützt Lehrende, die vielfältigen Herausforderungen zu meistern, die der Lehralltag mit sich bringt. Im Interview beleuchten Evelyn Hochheim, Franziska Teichmann und Daniel Pastuh, wie KI und insbesondere ChatGPT die Lehre verändern kann und welche Potenziale KI für Lehrende wie Studierende mit sich bringt.
ChatGPT ist in aller Munde. Was haben Sie als Hochschuldidaktiker:innen gedacht, als Ende des vergangenen Jahres der auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Chatbot veröffentlicht wurde?
Es war vermutlich für alle sehr schnell klar, dass ChatGPT nicht nur unser Arbeitsleben beeinflussen wird, sondern auch das Potenzial hat, die Lehre an Hochschulen nachhaltig zu verändern. Wenn auch ChatGPT natürlich nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen ist, so war es erst einmal beeindruckend zu sehen, was für einen breiten Denk- und Diskussionsprozess ein einziges Tool anstoßen kann.
Solche Entwicklungsprozesse kompetent mitzugestalten, bindet zunächst natürlich Ressourcen – für die Lehrenden wie auch für uns als Hochschuldidaktiker:innen. Es liegt aber auch eine große Chance in solchen Situationen: Wir alle fangen plötzlich an, Routinen zu hinterfragen, die wir seit Jahren etabliert haben. So hat die Veröffentlichung von ChatGPT etwa dazu geführt, dass Prüfungsformate wie Klausuren und Hausarbeiten einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Dabei fällt auf, dass diese Formate eigentlich immer schon gewisse Probleme hatten, die nun durch die sich bietenden Nutzungsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz besonders augenscheinlich werden.
Und die Auseinandersetzung damit kann die Hochschullehre bereichern, weil wir am Ende dieses Reflexionsprozesses fundierter entscheiden können, wie wir Prüfungsformate (um)gestalten müssen, um ihre Potenziale für studentisches Lernen besser zu nutzen, als wir es bisher getan haben.
Unmittelbar nach Veröffentlichung von ChatGPT wurde diskutiert, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, Studierenden den Gebrauch einfach zu untersagen, um sicherzustellen, dass sie eigenständig arbeiten. Wie sehen Sie das?
In der Frage steckt zunächst die Sorge, dass sich durch die Verfügbarkeit textgenerierender KI Betrugsversuche, insbesondere bei allen Arten unbeaufsichtigter schriftlicher Prüfungsleistungen, mehren. Diesen Gedanken muss man tatsächlich auch erstmal ernst nehmen. Sicherlich kann man – aus einer rein prüfungsrechtlichen Perspektive gesprochen – die Nutzung von KI untersagen. Eine praktische Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass die unerlaubte Nutzung im Nachhinein meist schwer nachgewiesen werden kann. Die Prüfung muss dann also so konzipiert sein, dass die Nutzung von KI von vornherein ausgeschlossen ist.
Die Entscheidung, ob und wann wir Studierende anhalten, ohne Rückgriff auf KI zu arbeiten, ist darüber hinaus letztlich aber auch immer eine didaktische. Natürlich müssen Studierende grundlegende fachliche Fähigkeiten zunächst selbst erwerben, so dass sie grundsätzlich in der Lage sind, auch ohne Rückgriff auf KI fachlich arbeiten zu können. Nur wenn sie über ein fundiertes Fachwissen verfügen und die Arbeitstechniken ihres Faches beherrschen, können sie überhaupt eine KI zielgerichtet einsetzen, beurteilen, ob sie brauchbare Ergebnisse ausgibt, und diese dann sinnvoll in den fachspezifischen Arbeitsprozess einfließen lassen.
KI wird darüber hinaus jedoch als Teil der Arbeitswelt und der Welt der Wissenschaft weiter an Bedeutung gewinnen. Wenn Studierende hier anschlussfähig sein wollen, dann müssen sie also den Umgang mit KI lernen. Das ist letztlich nicht erst seit dem Erscheinen von ChatGPT so. Technologische Entwicklungen haben sich immer schon auf unsere (wissenschaftlichen) Arbeitsprozesse ausgewirkt. Damit verändern sich auch die Kompetenzen, die Studierende erwerben müssen. So haben wir beispielsweise irgendwann Studierendeangehalten, mithilfe von Online-Katalogen zu recherchieren, anstatt in Zettelkatalogen in der Bibliothek nach Literatur zu suchen. Nun gilt es, gemeinsam mit ihnen auszuloten, wie KI-Werkzeuge (z.B. Elicit.org, Connected Papers und Research Rabbit) zielgerichtet genutzt werden können, um das Arbeiten zu erleichtern und Arbeitsergebnisse zu verbessern. Und das wertvolle Potenzial eines wissenschaftlichen Studiums kann vor diesem Hintergrund darin bestehen, Studierende an eine mündige, zielgerichtete, nachvollziehbare und kritische Nutzung von KI heranzuführen.
Wird ChatGPT zukünftig Aufgaben von Lehrenden übernehmen? Macht KI die Lehrenden in Zukunft vielleicht sogar überflüssig?
Sehr wahrscheinlich wird KI zukünftig das Lernen an Hochschulen verändern und Lehrende bei bestimmten Aufgaben entlasten. Dass Lehrende dadurch überflüssig werden, glauben wir allerdings nicht. Mit der Verfügbarkeit neuer Technologien steigt ja auch der Anspruch an wissenschaftliche Tätigkeit. Positiv formuliert: Eine zielgerichtete und kritische Nutzung von KI bereichert Forschungs- und Arbeitsprozesse. Dies setzt aber einen Lernprozess voraus, den Studierende nicht aus sich selbst heraus stemmen können. Wie sollten sie ohne Fachkompetenz und ohne Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten diesen Lernprozess für sich strukturieren? Hier brauchen Sie Orientierung, gezielte Lernimpulse, Feedback, Vorbilder, Ermutigung und vieles andere mehr.
Dafür sind Lehrende unerlässlich, weil sie immer auch Expert:innen für das eigene Fach sind. Sie sind die Wegweiser, die Studierende durch die oftmals unübersichtliche Fülle wissenschaftlicher Erkenntnisse navigieren, ihnen die Fähigkeit vermitteln, fachliche Probleme im Rückgriff auf diese Erkenntnisse zu bearbeiten und dabei kritisch zu hinterfragen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zustande gekommen sind.
Sehr wahrscheinlich entwickeln sich mit zunehmender Entwicklung und Nutzung von KI aber natürlich die Aufgaben Lehrender weiter. Eine ganz aktuelle quantitative Befragung Studierender zur Nutzung von ChatGPT & Co. zeigt zum Beispiel, dass Studierende ChatGPT insbesondere auch dafür nutzen, sich fachspezifische Konzepte erklären zu lassen und Verständnisfragen zu klären (von Garrell/Mayer/Mühlfeld 2023Externer Link). Vielleicht müssen Lehrende also zukünftig weniger Zeit in die Wissensvermittlung und -abfrage stecken und können dafür mehr Zeit investieren, um Studierende zu einer kritischen Überprüfung von und Weiterarbeit mit diesen Wissensbeständen zu führen. Wahrscheinlich werden sie bei der Formulierung von Aufträgen und bei der Konzeption von Prüfungen stärker abwägen, an welchen Stellen KI aktiv im Lernprozess genutzt werden kann oder soll und an welchen Stellen explizit auf die Nutzung zu verzichten ist, um gesteckte Lernziele erreichen zu können. Und Lehrende müssen hier wahrscheinlich zukünftig noch mehr Transparenz darüber herstellen, wann und warum KI im Rahmen einer Lehrveranstaltung eingesetzt wird und wann und aus welchen Gründen auf den Einsatz verzichtet werden soll. Mit Blick auf die Motivation Studierender wird es wichtiger zu erklären, warum es für die eigene Kompetenzentwicklung sinnvoll ist, im Lernprozess zumindest phasenweise auf den Gebrauch von KI zu verzichten. Damit ermöglichen sie Studierenden, ihren Lernprozess selbst gezielter zu gestalten.
Wie können Lehrende Studierende dabei unterstützen, KI sinnvoll einzusetzen?
Indem sie KI dort, wo es sinnvoll und möglich ist, in die Lehre hineinholen. Dabei muss der Anspruch nicht sein, dass Lehrende bereits alles wissen, was die KI an Ergebnissen ausgibt. Die Lehrveranstaltung kann hier zum Labor werden. Wenn Studierende die Möglichkeit haben, im Kontext von Lehrveranstaltungen gezielt mit KI zu arbeiten und Outputs zu generieren, dann können diese dann gemeinsam auf wissenschaftlicher Basis kritisch reflektiert, eingeordnet und schließlich weiterbearbeitet werden.
Studierende lernen damit nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen von KI kennen. Mit Rückgriff auf wissenschaftliche Quellen können oberflächliche, unkritische, stereotype oder – wie man in diesem Zusammenhang so schön sagt – halluzinierte Antworten der KI als solche identifiziert werden. Lehrende bilden hier aufgrund ihrer eigenen wissenschaftlichen Kompetenz ein starkes Korrektiv. Es ist also gut, wenn sie diesen Prozess gezielt begleiten. Sie können Studierende durch Arbeitsaufträge, Fragen, die Entwicklung von Beurteilungskriterien usw. dazu anleiten, KI-generierte Ergebnisse kritisch einzuordnen und wissenschaftlich weiterzuentwickeln. Studierende erfahren auf diese Weise, welche blinden Flecken bspw. KI-generierte Textantworten aufweisen und welche Ergebnisse hingegen brauchbar sind. Sie lernen, wie KI sinnvoll und zielgerichtet in einen (wissenschaftlichen) Arbeitsprozess eingebunden werden kann und inwiefern die Nutzung von KI durch weitere Herangehensweisen ergänzt werden muss, um keine Schieflagen in den Ergebnissen zu erzeugen. Und selbstverständlich üben sie sich darin, wie sie so mit einer KI arbeiten, um ihr bestmögliche Ergebnisse zu entlocken.
Kann ChatGPT nicht auch die Arbeit der Lehrenden selbst erleichtern?
Auf jeden Fall. ChatGPT ist etwa da hilfreich, wo Lehrende Inspiration oder den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus benötigen. Mithilfe von ChatGPT lässt sich bspw. gezielt nach Beispielen suchen, anhand derer auch komplexere Theorien erklärt werden können. Auch können auf diese Weise Ideen generiert werden, wie zu einem Thema Lebens- oder Berufsfeldbezüge hergestellt werden können. So kann man ChatGPT bspw. fragen, welche Relevanz bestimmte Theorien oder fachliche Aspekte mit Blick auf spezifische Professionen haben.
Gerade dort, wo hochkomplexe Inhalte erschlossen werden müssen, kann ChatGPT auch helfen, diese zunächst einfacher zu erklären und daran anschließend den Komplexitätsgrad zu erhöhen. Hier lohnt es sich mit Prompts zu experimentieren, die ChatGPT anhalten, einen bestimmten Inhalt bspw. so zu formulieren, dass es auch von Laien verstanden werden kann. Selbstverständlich können auch Fragen an ChatGPT weitergegeben und dann die gelieferte Antwort weiterentwickelt werden.
Weiterhin lohnt sich ein Rückgriff auf die KI bei der Entwicklung von Übungs- oder Prüfungsfragen. Hier erzielen wir noch keine so hilfreichen Ergebnisse bei Single- oder Multiple-Choice-Fragen. Aber gerade für offene Frageformate kann es durchaus hilfreich sein, sich erste Vorschläge von der KI unterbreiten zu lassen und diese dann weiterzuentwickeln.
Bei alldem gilt natürlich auch wieder: Die Ergebnisse, die ChatGPT liefert, sind aller Voraussicht nach noch nicht das Endergebnis unseres Arbeitsprozesses. Es muss kritisch angeschaut und ggf. weiterentwickelt werden, damit es fundiert und zielgerichtet eingesetzt werden kann. Insofern lernen wir gemeinsam mit Studierenden, wie KI unsere Arbeitsprozesse erleichtern und Arbeitsergebnisse anreichern kann.
Carl-Zeiß-Platz 1
07743 Jena