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Newsletter Lehre 03 2023
Lehre neu denken
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Hausarbeiten – Ein Auslaufmodell dank ChatGPT? Ideen für didaktische Modifikationen im Lichte von KI

KI auf dem Laptop

Foto: Freepik\frimufilms

Autor:innen: Evelyn Hochheim, Franziska Teichmann, Daniel Pastuh (Servicestelle LehreLernen)

Hausarbeiten abschaffen?

Seit dem Erscheinen von ChatGPT im November 2022 ist insbesondere ein Prüfungsformat in die Diskussion geraten: die Haus- bzw. Seminararbeit. Ausschlaggebend hierfür ist die Sorge, dass KI-generierte Texte als eigene Leistung ausgegeben werden. Solche Betrugsversuche sind schwer nachweisbar, da textgenerierende KI Unikate produziert, die nicht ohne Weiteres als Plagiate eingeordnet werden können.

Dies könnte nun zu dem Schluss verleiten, generell auf das Verfassen von Hausarbeiten zu verzichten und sie durch andere Prüfungsformate zu ersetzen. Aber auch dies bliebe nicht ohne Konsequenzen: Zum einen eignet sich die Hausarbeit hervorragend dazu, das Verständnis von wissenschaftlichen Texten zu trainieren, den epistemisch-heuristischen Nutzen des Schreibens im Denkprozess zu vermitteln und wissenschaftliche Kompetenzen zu entwickeln und zu überprüfen. Mit dem Verzicht auf Hausarbeiten würde also ein für die wissenschaftliche Bildung ganz zentrales Potenzial zur Vermittlung fachlich-charakteristischer Denkmuster und Handlungsweisen aufgegeben. Gleichzeitig würden die Studierenden in diesem Fall nicht adäquat auf die Anfertigung ihrer Bachelor- bzw. Masterarbeiten vorbereitet. Das Problem würde hier also im Studienverlauf lediglich zeitlich nach hinten verschoben. Vielleicht würde das Täuschungsrisiko in den Abschlussarbeiten selbst sogar steigen, wenn die vorbereitende Übung wissenschaftlichen Schreibens fehlen würde.

Der Schlüssel zur Lösung des oben beschriebenen Problems liegt wohl in zweierlei: Einerseits muss differenziert betrachtet werden, für welche Arbeitsschritte und in welchem Umfang die Nutzung textgenerierender KI für das Verfassen wissenschaftlicher Texte im Allgemeinen und Hausarbeiten im Speziellen problematisch ist. Zum anderen ist zu überlegen, wie das Format der Hausarbeit so gestaltet werden kann, dass der Rückgriff auf textgenerierende KI entweder zielgerichtet erlaubt ist und damit auch transparent gemacht wird, oder aber die Attraktivität des Einbezugs von KI gesenkt werden kann.

Lösungsansatz 1: Stärkere Verzahnung von Hausarbeit und Präsenzlehre

Eines ist zunächst unstrittig: KI-generierte Texte als Bausteine in die eigene Hausarbeit einfließen zu lassen und als Eigenleistung auszugeben ist unzulässig. Wenn wir grundsätzlich davon ausgehen, dass Studierende sinnhaft handeln und am eigenen Lernfortschritt interessiert sind, dann stellt sich die Frage, warum solche Betrugsversuche überhaupt unternommen bzw. wodurch sie zumindest begünstigt werden. Hierfür ist möglicherweise ein Problem ursächlich, das schon sehr lange unabhängig vom Erscheinen von ChatGPT besteht: Studierende sind beim Schreiben von Hausarbeiten weitgehend auf sich allein gestellt. Der Schreibprozess beginnt in aller Regel in der vorlesungsfreien Zeit, wenn die Lehrveranstaltung längst abgeschlossen ist. Nur selten sind Hausarbeiten Gegenstand des Lernprozesses, der über die Vorlesungszeit hinweg gemeinsam gestaltet wird. Das macht den Rückgriff auf ChatGPT für Studierende vielleicht erst so attraktiv. Sie handeln womöglich aus einer Unsicherheit oder gar aus einer Überforderung heraus.

Eine Strategie, diesem Problem entgegenzuwirken, besteht folglich darin, die Hausarbeit stärker mit der Präsenzveranstaltung zu verzahnen und Studierende damit zum eigenständigen Weiterarbeiten in der vorlesungsfreien Zeit zu befähigen. Das hieße, dass die Studierenden bereits während der Vorlesungszeit erste Arbeitsschritte hin zur Hausarbeit absolvieren und ihre Arbeitsergebnisse innerhalb der Lehrveranstaltung zur Diskussion stellen bzw. innerhalb der Lehrveranstaltungen gezielt mit diesen Ergebnissen gearbeitet wird. Dies hätte zugleich den Vorteil, dass Fragen und auch Fehler, die auf Seiten Studierender erst im Arbeitsprozess entstehen, als Lerngelegenheiten aufgegriffen werden können und dass (Peer‑)Feedback nicht erst nach Vollendung der Arbeit erfolgt, sondern noch in den Arbeitsprozess einfließen kann. Dass in diesem Szenario außerhalb der Präsenz eine Nutzung von ChatGPT erfolgt, ist zwar nicht auszuschließen, jedoch scheinen hier sowohl der Lernprozess hin zu einer Befähigung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten als auch eine signifikante Eigenleistung gesichert.

Lösungsansatz 2: Textgenerierende KI gezielt und transparent einbinden

Eine zweite Lösungsidee trägt der Tatsache Rechnung, dass textgenerierende KI nicht per se problematisch ist. Vielmehr hat KI das Potenzial, zukünftig mehr und mehr Teil professioneller Schreibpraxis zu werden und Schreibprozesse zu unterstützen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Autor:innen in der Lage sind, die KI zielgerichtet und kompetent zu nutzen. Dazu gehört es bspw., das passende Tool auszuwählen, die KI-generierten Ergebnisse einer kritischen Prüfung zu unterziehen und diese Ergebnisse dann weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund spricht viel für eine offensive Einbindung von KI, auch im Kontext von Hausarbeiten, um relevante Kompetenzen im Zusammenhang mit textgenerierender KI zu entwickeln.

Diese Kompetenzentwicklung ist jedoch nur dann möglich, wenn Studierende Ausgaben von ChatGPT nicht schlicht übernehmen, sondern sie – gegebenenfalls didaktisch angeleitet – kritisch hinterfragen, schärfen und damit wissenschaftlich weiterentwickeln. In Abgrenzung zu den o.g. Betrugsfällen ist dieses Szenario durch ein hohes Maß an Transparenz gekennzeichnet. Dies könnte beispielsweise dadurch eingelöst werden, dass Studierende aufgefordert werden, ihrer Hausarbeit ein Reflexionspapier beizufügen, in dem sie darlegen, welche Prompts sie mit welchen Ergebnissen genutzt haben, wie sie ihre Suche geschärft, wo sie Defizite der Textausgaben von ChatGPT ausgemacht und wie sie mit den Ergebnissen weitergearbeitet haben. Diese Reflexion der eigenen Nutzung der KI könnte in Abstimmung mit den gesetzten Lernzielen sogar Eingang in die Bewertungskriterien für Hausarbeiten finden. In diesem Szenario kann es auch sinnvoll sein, den Umgang mit der KI selbst zum Lerninhalt zu machen. Es ist anzunehmen, dass eine kompetente Nutzung KI-basierter Assistenzsysteme in Zukunft – in der Wissenschaft und darüber hinaus – zunehmend selbst eine wichtige Fähigkeit werden wird. Daher kann es wertvoll sein, sich mit Studierenden auszutauschen und ihnen Hinweise zu geben, wie sie KI sinnvoll in ihrem Arbeitsprozess einbinden können, etwa zum Erarbeiten eines thematischen Grundverständnisses, zum Brainstormen möglicher Forschungsfragen, zur Unterstützung bei der Recherche und zum Überarbeiten von Textentwürfen.

Lösungsansatz 3: Den inhaltlichen Fokus der Hausarbeit verschieben

Der dritte Lösungsansatz führt den Grundgedanken des offensiven Einbeziehens von KI noch konsequenter fort, indem er an der Aufgabenstellung für die Hausarbeit selbst ansetzt, um Studierenden Möglichkeiten und Grenzen von KI zu vermitteln. In der konventionellen Lehrpraxis ist der Arbeitsauftrag häufig sehr allgemein gestellt: Studierende wählen ein Thema, zu dem sie eine wissenschaftliche Arbeit verfassen sollen. Je nach Lernziel könnte hier nun eine Spezifizierung erfolgen, die im Arbeitsprozess gezielt eine wissenschaftlich-inhaltliche Auseinandersetzung mit den Textausgaben von ChatGPT selbst initiiert. Die Tatsache, dass ChatGPT gerade keine wissenschaftlichen Texte ausgibt und häufig sogar fehlerhafte Inhalte sprachlich überzeugend wiedergibt, kann hier Anlass bieten, KI-Textausgaben im Rahmen von Hausarbeiten einer fundiert-kritischen Analyse zu unterziehen.

Dies könnte in mehreren Arbeitsschritten erfolgen. In einem ersten Schritt könnten Studierende aufgefordert sein, zur Klärung einer spezifischen Fragestellung Prompts zu entwickeln, um ChatGPT hier als Informationsquelle zu nutzen. In einem zweiten Schritt würde eine dezidierte Sichtung der generierten Textausgaben erfolgen. Davon ausgehend wären die Studierenden nun angehalten, wissenschaftliche Literatur zu recherchieren und zu sichten. Im Rahmen einer Analyse würden sie anschließend gründlich eruieren, an welchen Stellen ChatGPT Kernaussagen einer Theorie bzw. eines Textes korrekt herausstellt und wo sich Widersprüche zwischen Textausgaben von ChatGPT und der wissenschaftlichen Literaturbasis ausmachen lassen. Einfach formuliert würden die Studierenden in einem solchen Szenario herausarbeiten, an welchen Stellen ChatGPT oberflächlich arbeitet oder gar Fakten erfindet. Dieses Szenario schult neben der kompetenten Verwendung textgenerierender KI auch das wissenschaftlich-kritische Denken. Durch die begleitete Auseinandersetzung mit diesen Ausgaben und deren wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung können Studierende ein feineres Gespür für die Qualitätskriterien wissenschaftlicher Texte entwickeln und lernen, wie sie KI-generierte Zwischenergebnisse sinnvoll weiterentwickeln können.

Insgesamt scheint also trotz der Herausforderungen, die die textgenerierende KI für Prüfungsformate wie Haus- und Seminararbeiten darstellt, ihre Abschaffung weder sinnvoll noch wünschenswert. Die Schlüsselfrage liegt vielmehr in einer differenzierten Betrachtung und Anpassung des Formats. Und hierfür bieten sich vielfältige Möglichkeiten an. Diesen Möglichkeitsraum passend zum eigenen Lehr- und Lernsetting und den spezifischen Lernzielen der eigenen Veranstaltungen zu nutzen, kann einen entscheidenden Beitrag für die wissenschaftliche Bildung und Kompetenzentwicklung der Studierenden leisten. Gleichzeitig ist es eine wertvolle Gelegenheit, Studierende auf ihrem Weg hin zu einer mündigen Nutzung von KI zu begleiten.


zum Thema passende Veranstaltungen der Servicestelle LehreLernen zu KI und ChatGPT:

Lunch Talk (online): „Hausarbeiten – Ein Auslaufmodell dank ChatGPT? Ideen für didaktische Modifikationen im Lichte von KI“

29.09.2023, 12-14 UhrExterner Link

Workshop: ChatGPT & Co – KI in der Lehre sinnvoll einsetzen

03.11.2023, 9-17 UhrExterner Link

20.11.2023, 9-17 UhrExterner Link

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