- Forschung
Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Er war zweifellos eine beeindruckende Persönlichkeit: Der Biologe und Hochschullehrer Ernst Haeckel (1834-1919). Als „deutscher Darwin“ gefeiert und geschmäht, war Haeckel Forschungsreisender, Künstler, Monist, „Gegenpapst“, Pazifist, Rassentheoretiker und im Ersten Weltkrieg dann auch Nationalist. „Er war eine äußerst ambivalente Figur, die für die unterschiedlichsten Zwecke instrumentalisiert wurde“, sagt Dr. Karl Porges von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Uwe Hoßfeld hat Porges jetzt das Buch „Ernst Haeckel in der DDR“ herausgegeben. Die beiden Biologiedidaktiker haben in den letzten Jahren akribisch untersucht, welche Rolle Haeckel in Forschung und Lehre sowie in der politischen Bildungsarbeit der DDR gespielt hat. Dabei konnten sie neue und überraschende Facetten der Haeckel-Rezeption im „Arbeiter- und Bauernstaat“ ausfindig machen.
Wissenschaftliche Begründung der materialistischen Weltanschauung
„In der DDR wurden die Ideen Haeckels an einigen Stellen auch zur Begründung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung herangezogen“, sagt Prof. Dr. Uwe Hoßfeld. Der Jenaer Gelehrte sei damit de facto zu einem „Kronzeugen“ des Sozialismus erhoben worden. Galt es doch, die als gesetzmäßig geltende materialistische Weltanschauung wissenschaftlich zu begründen. Die Evolutionstheorie war dafür bestens geeignet, da die Idee von einer Höherentwicklung der Arten auf die Klassengesellschaft übertragen wurde. „Bei einem Besuch im Haeckel-Haus regte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht an, Filme über Ernst Haeckel zu drehen“, sagt Uwe Hoßfeld. Tatsächlich fanden sich im Nachlass einer langjährigen Mitarbeiterin des Haeckel-Hauses zwei Drehbücher, die ins Buch Aufnahme fanden. Weshalb die Filme nie realisiert wurden, konnten die beiden Forscher nicht herausfinden. Deutlich erfolgreicher wurde der Name Ernst Haeckel auf andere Weise in die Welt getragen: Zwei DDR-Fischereiforschungsschiffe trugen den Namen „Ernst Haeckel“. Das erste wurde 1963 in Dienst gestellt und bis 1983 genutzt, das Nachfolgerschiff wurde 1987 getauft und fuhr bis Anfang August 1993. „Die erste Reise des ersten Schiffes führte 1963 zur Internationalen Fischereiausstellung in den Londoner Hafen“, sagt Karl Porges. Später wurden u. a. neue Fanggründe erforscht, etwa vor der afrikanischen Küste.
Haeckels Wirkungsort Jena war ein Glücksfall für die DDR
Haeckels Erkenntnisse waren ein fester Bestandteil in den Biologielehrbüchern der DDR. Hingegen seien die Ansichten Haeckels zur Eugenik und seine rassenbiologischen Thesen nicht totgeschwiegen, aber auch nicht in den Vordergrund gerückt worden, konstatiert Karl Porges. Als Glücksfall wurde wahrgenommen, dass Jena als zentraler Wirkungsort Haeckels auf dem Gebiet der DDR lag. So wurden etwa Jugendweihefahrten ins Phyletische Museum in Jena angeboten und der Ernst-Haeckel-Schülerpreis erstmals 1971 in Jena verliehen. Obwohl Haeckel selbst der sozialdemokratischen Bewegung ambivalent und eher skeptisch gegenüberstand, passten viele seiner naturwissenschaftlichen und kirchenkritischen Ideen in die Staatsdoktrin der DDR. Er sei ein Vorbild wegen seiner Leistungen und Stärken, nicht wegen seiner Fehler, so brachte es Walter Ulbricht auf den Punkt. Im Buch von Porges und Hoßfeld kommen dazu zahlreiche Zeitzeugen zu Wort. Der prominenteste von ihnen hat das Vorwort geschrieben: Gregor Gysi.
Bibliografische Angaben:
Karl Porges, Uwe Hoßfeld: „Ernst Haeckel in der DDR“, THK-Verlag, Arnstadt 2023, 236 Seiten, zahlr. Abbildungen, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-945068-73-1