Prof. Dr. Ute Hellmich im Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie

Eine neue Perspektive in der Protein-Forschung

Forschungsteam um Prof. Dr. Ute Hellmich zeigt die Bedeutung von bislang vernachlässigten Protein-Bereichen.
Prof. Dr. Ute Hellmich im Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie
Foto: Anne Günther (Universität Jena)
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Meldung vom: | Verfasser/in: Marco Körner
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Die geordneten Bereiche von Proteinen lassen sich gut untersuchen. Entsprechend viel ist auch über die Rolle dieser Bereiche in der biologischen Funktion der jeweiligen Proteine bekannt. Dass aber auch ungeordnete Bereiche entscheidend sind, das zeigte nun ein Forschungsteam um die Biochemikerin Prof. Dr. Ute Hellmich in einer umfassenden Untersuchung des ungeordneten Bereichs eines Rezeptorkanal-Proteins. Im renommierten Fachmagazin „Nature Communications“ belegt die Gruppe mithilfe von elf unterschiedlichen Methoden, dass und wie dieser Bereich die Funktion des gesamten Proteins beeinflusst. Ungeordnete Bereiche von Proteinen sollten daher in der Forschung nicht vernachlässigt werden, auch wenn sie mitunter nicht einfach zu untersuchen sind.

Die Unordnung in Proteinen erforschen

An allen Prozessen des Lebens sind Proteine beteiligt. Sie sorgen dafür, dass Erbgut ausgelesen und vervielfältigt wird, verdauen Nährstoffe und übernehmen unzählige weitere lebenswichtige Funktionen. Besonders gut erforschen lassen sich diese großen Eiweiß-Moleküle, wenn sie eine klare Struktur haben – das heißt: wenn die einzelnen der Bereiche innerhalb der Moleküle geordnet sind. „Klassisch würde man diese Proteine etwa mittels Röntgenstrukturanalyse oder Kryoelektronenmikroskopie untersuchen. Aber auch diese Methoden sind am besten geeignet für regelmäßige, also geordnete Strukturen“, erklärt Hellmich. „Aus diesem Grund werden in manchen Untersuchungen die ungeordneten Bereiche auch gezielt entfernt, um das verbleibende Molekül besser untersuchen zu können. Wenn man sich aber genau für jenen Bereich interessiert, ist das natürlich keine Option.“

Sie und ihr Team untersuchten konkret einen sehr großen, ungeordneten Bereich des Rezeptorkanal-Proteins TRPV4. „Diese sogenannten Transienten Rezeptor-Potential-Kanäle, zu denen TRPV4 zählt, steuern beispielsweise unser Schmerz- und Wärmeempfinden und spielen eine wichtige Rolle im Immunsystem und bei Infektionen“, erklärt Hellmich ihren Forschungsgegenstand. „Es sind mehr als 60 Mutanten von TRPV4 bekannt, die schwere Krankheiten auslösen. Das zeigt sehr gut, wie bedeutsam diese Proteine sind“, ergänzt sie. „In manchen Vertretern dieser Proteinklasse macht der ungeordnete Bereich die Hälfte des gesamten Moleküls aus. Allein das zeigt, dass diese Domänen nicht vernachlässigbar sind“, führt die Biochemikerin fort. Das von ihr und ihrem Team untersuchte TRPV4-Protein besitzt einen der größten ungeordneten Bereiche dieser Proteinklasse bei Säugetieren; konkret enthält er etwa 130 bis 150 einzelne Aminosäuren. Schneidet man diesen ungeordneten Bereich ab, verliert TRPV4 seine Funktion.

Ein multidisziplinärer Blick

In ihrer Arbeit nutzten die Forschenden insgesamt elf verschiedene biochemische und biophysikalische Untersuchungsmethoden in unterschiedlichen Kombinationen – von Kernspinresonanzspektroskopie über Massenspektrometrie bis hin zu Molekulardynamischen Simulationen. „An einigen Stellen gingen wir einer Forschungsfrage mit unterschiedlichen Methoden gleichzeitig nach. Wir wollten einfach ganz sicher sein, dass wir den Rezeptor richtig verstehen“, erläutert Hellmich. Dieser Ansatz ermöglichte es uns, eine molekulare Karte dieses ungeordneten Bereichs zu erstellen. So entdeckten wir ein Netzwerk aus verschiedenen funktionsbestimmenden Elementen, das abhängig von der chemischen Umgebung den Rezeptor aktiviert oder deaktiviert.

„Wenn man bedenkt, dass diese ungeordneten Bereiche von Rezeptorkanal-Proteinen so noch nicht betrachtet worden sind, öffnet unsere Forschungsarbeit auf jeden Fall eine völlig neue Perspektive auf die Erforschung von Proteinen und die biologische Funktion und Regulation von Rezeptoren durch ihre ungeordneten Bereiche“, ordnet Hellmich das Ergebnis ein. „Ob es möglicherweise sogar ein Paradigmenwechsel ist, werden wir sicherlich in den kommenden Jahren sehen. Ich bin mir sicher, dass unsere weitere Arbeit im Rahmen des Exzellenzclusters ,Balance of the Microverse‘ hier an der Universität dazu beitragen wird“, sagt die Wissenschaftlerin.

Kollaboration und Unterstützung auf höchstem Niveau

Besonders dankbar ist Hellmich für die gelungene internationale Zusammenarbeit, die diese Arbeit möglich gemacht hat: „Mein Team wurde großartig unterstützt von den Kolleginnen und Kollegen an der Johns Hopkins University, dem Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main, der Universität Konstanz, der Universität Marburg, und dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL)/Deutsches Elektronen-Synchroton (DESY). Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei meinem talentierten Doktoranden Benedikt Goretzki, der mit Unterstützung aus meinem Team das Projekt maßgeblich vorantrieb.“

Ebenso dankbar ist Ute Hellmich für die finanzielle und kollaborative Unterstützung aus dem Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ und dem Sonderforschungsbereich 1507 „Protein Assemblies and Machineries in Cell Membranes“, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), REACT-EU  im Rahmen des Spezialisierungsfelds „Gesundes Leben und Gesundheitswirtschaft“ der RIS3-Strategie des Landes Thüringen für die Anschaffung eines Hochfeld-KernspinresonanzspektrometersExterner Link.

Information

Original-Publikation:
Benedikt Goretzki, Christoph Wiedemann, Brett A. McCray, Stefan L. Schäfer, Jasmin Jansen, Frederike Tebbe, Sarah-Ana Mitrovic, Julia Nöth, Ainara Claveras Cabezudo, Jack K. Donohue, Cy M. Jeffries, Wieland Steinchen, Florian Stengel, Charlotte J. Sumner, Gerhard Hummer & Ute A. Hellmich: "Crosstalk between regulatory elements in disordered TRPV4 N-terminus modulates lipid-dependent channel activity", Nature Communications, 14, 4165 (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-39808-4Externer Link

Kontakt:

Ute Hellmich, Prof. Dr.
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