- ITESO- Universidad Jesuita de Guadalajara
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Leben in Mexiko
Grundsätzlich ist es sinnvoll, ein gutes Spanisch sprechen zu können, um im Alltag mit den Menschen zu kommunizieren und sich zu unterhalten. Als Europäer und Mann mit heller Hautfarbe war ich mir von meinem Privileg in der Gesellschaft bewusst und habe dies auch gespürt. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, vor allem auch wenn es um Fragen der persönlichen Sicherheit geht.
Mexiko ist nicht nur ein großes, sondern auch ein sehr diverses Land. Dies liegt nicht nur an den vielen verschiedenen natürlichen Umgebungen und Klimazonen, sowie an der hohen Biodiversität, sondern auch an den Menschen, die an vielen Orten ihre lokalen Kulturen, Sprachen etc. fortführen. Die Vielzahl der Kulturen und Sprachen Mexikos sind Produkte der Geschichte, von der langen vorkolonialen Zeit verschiedener Imperien, über die dreihundertjährige Kolonisation der Spanier bis zur Unabhängigkeit und in die Moderne. In den letzten Jahren ist Mexiko in einigen Teilen unsicherer geworden, es gibt viele territoriale Konflikte zwischen Drogenkartellen, dem Staat und anderen Gruppen - diese Gruppen sind nicht immer auseinanderzuhalten. Ein Gewaltmonopol des Staates existiert in vielen Gebieten faktisch nicht; auch die lokale Polizei ist oft anderen Gruppen zugehörig. Beim Reisen in Mexiko sollte man also immer achtsam sein und nicht ohne lokale Begleitung in unbekannte Gebiete reisen. Trotzdem lohnt es sich durchaus, außerhalb touristischer Infrastruktur unterwegs zu sein, die zwar die ein oder andere interessante Attraktion zu bieten hat, diese geben aber meiner Meinung nach oft nur ein oberflächliches Bild ab. Touristische Gebiete sind auch nicht unbedingt immer sehr sicher, im Gegenteil herrscht dort Kleinkriminalität und auch Konflikte um die Einnahmequellen aus dem touristischen Geschäft.
Guadalajara ist eine wirklich riesige Stadt. Ich habe in der Nähe des Zentrums gelebt, was ich trotz des längeren Wegs zur Universität empfehle. Dort lebt man nicht nur in der Nähe von der alten Innenstadt, Museen, Kinos, sondern hat es auch nicht weit zu den großen Märkten, sowie zu guten Bars, Kulturzentren und Restaurants. Einzukaufen empfehle ich vor allem in den Markthallen, von denen es in jedem Stadtviertel mindestens eine gibt. Dort bekommt man für gute Preise frische Ware und kann auch oft vor Ort sehr gut essen. Allgemein ist das Leben in Mexiko günstig, mehr oder weniger kostet vieles die Hälfte von dem, was es in Europa kosten würde.
Auch beim Leben in der Stadt spielt das Thema Sicherheit natürlich eine Rolle. Als Europäer sollte man zwar keine große Angst vor Entführungen haben (das Schicksal vieler der “Desaperecidos”), aber man sollte sich immer bewusst sein, wo man sich befindet und wie man notfalls nach Hause kommt. Dazu bietet es sich an ein “Uber” oder Taxi zu nehmen (oder die öffentlichen Verkehrsmittel, die auch relativ sicher sind). Tagsüber ist es in den meisten Gegenden kein Problem unterwegs zu sein. Nachts sollte man keine langen Spaziergänge machen und besonders auf seine Umgebung und seine Wertsachen achten.
Mir hat das Leben in der Stadt sehr gut gefallen, es gibt immer was Neues zu sehen oder zu entdecken, sei es wenn man einfach durch die Straßen spaziert. Es gibt außerdem viele sehr alte und schöne Viertel. Die Colonia Americana ist zwar etwas gentrifiziert und “schicker”, aber weltbekannt für ihr Nachtleben und ihre vielfältigen Bars und Restaurants. In der Stadt findet man außerdem die ganze Bandbreite an nationaler sowie internationaler Küche, von Street Food bis hin zu gehobenen Restaurants. Ich empfehle keine zu große Angst vor Magenschmerzen zu haben und die leckere Vielfalt der mexikanischen Küche zu probieren. Trinkwasser muss gekauft werden und das gibt es handelsüblich in 20 Liter Kanistern, die auch wieder befüllt werden können. Das Leben in der Stadt ist aber auch chaotisch. Es gibt unglaublich viel Verkehr und der öffentliche Nahverkehr funktioniert mal mehr oder weniger gut (vor allem die Bahn und der “Macro”-Bus). Welcher Bus der richtige ist, ist manchmal schwierig zu erraten. Obwohl ich relativ ruhig gelebt habe, kann es, wie in jeder Großstadt, auch mal laut sein. Ein wirkliches Problem ist die Luftverschmutzung durch Autos und Industrie, die je nach Jahreszeit und Wetterlage sehr stark sein kann.
Uni und Alltag
Die ITESO ist eine private Universität, die am südlichen Rand der Stadt liegt. Aus dem Zentrum kommt man mit der Linie 1 der Bahn gut zur Uni: von der südlichen Endstation gibt es einen eigenen Shuttlebus der ITESO, der einen abholt. Lokale Studierende zahlen hohe Summen und / oder haben ein Stipendium, um dort studieren zu können. Wenn auch divers, ist die Universität also vornehmlich durch bestimmte soziale Klassen bevölkert. Trotzdem war ich sehr froh an dieser Uni zu studieren. Der Campus ist ein großer Park und beherbergt eine Vielzahl an Bäumen, die Schatten und gute Luft spenden. Ich habe ausschließlich auf Spanisch studiert und konnte auf eine Vielzahl interessanter Kurse zurückgreifen. Eigentlich alle Kurse, die ich belegt habe, hatten ein gutes Niveau und bereicherten mein Studium und akademisches Interesse aus einem breiten Angebot der Sozialwissenschaften. Die Kurse sind allerdings verschulter, man muss oft Aufgaben bearbeiten und einreichen und wird dafür auch benotet. Dies ist aber je nach Dozenten und Fach unterschiedlich. Ich habe außerdem Bachelorkurse belegt, obwohl ich bereits im Masterstudium studiere. Für mich war das kein Problem. Wenn man Master Seminare belegen möchte, muss man sich mit dem Internationalen Büro vor Ort absprechen.
Die Universität bietet außerdem ein breites und meist kostenloses Angebot an Sport, Kunst und Kulturveranstaltungen, an denen auch mitgewirkt werden kann. Es gibt studentische Organisationen und ca. jeden Monat Reihen an akademischen Vorträgen, Märkten, und verschiedene Veranstaltungen auf dem Campus. Außerdem gibt es eine medizinische Beratung. Die Bibliothek ist sehr gut sortiert.
Die Universität ist jesuitisch, das bedeutet nicht nur, dass die Universitätsleitung durch jesuitische Ordensangehörige besetzt ist, sondern spiegelt sich in dem sozialen Anspruch vieler universitärer Aktivitäten wider (was durchaus im Gegensatz zum Modell der privaten Bildung steht). Das “Centro Universitario Ignaciano” bietet Freiwilligenprogramme und Workshops zu Spiritualität und ähnlichen Themen an. Außerdem konnte ich Teil eines “PAPs” (Proyecto de Aplicación Profesional) sein. Dieses Programm bietet eine Vielzahl von verschiedenen sozialen Projekten an, die den verschiedenen Fachrichtungen als Abschlussprojekte dienen. Ich konnte mich ohne Probleme einschreiben und habe über das Frühlingssemester und das Sommersemester (für das ich meinen Aufenthalt ebenfalls ohne Probleme verlängern konnte) in einem Projekt mit indigenen Gemeinschaften in den Bergen der Sierra Madre Occidental gearbeitet und gelebt. Dieses Projekt hat mich sowohl akademisch als auch persönlich sehr bereichert und ich kann es sehr weiterempfehlen (Das “PAP”, welches verschiedene Projekte mit indigenen Gemeinschaften anbietet, heißt “Procesos Comunitarias Indigenas Interculturales”). Nutzt also die Möglichkeiten der Uni! Vor allem, da man als Austauschstudierender nichts bezahlen muss.
Warum Mexiko? Akademische und Persönliche Betrachtung
Natürlich habe ich mir von meinem Aufenthalt in Mexiko auch das erwartet, was man sich unter anderem als erstes darunter vorstellen würde: lokale Küche erkunden, Spanisch sprechen, am Strand die Sonne genießen, die Natur und alte Pyramiden erkunden und so weiter. Das wurde auch eingelöst und ich konnte in Mexiko ein sehr gutes (privilegiertes) Leben führen. Trotzdem: Ich bin mit dem Anspruch nach Mexiko gereist, von dem Land, seinen Menschen und seiner Geschichte zu lernen, auch aus einer globalen und solidarischen Perspektive. So habe ich zum Beispiel die extreme Ungleichheit beobachtet, ein starker Kontrast zwischen dem Campus der Universität und seiner Umgebung; auf der einen Seite eine Gesellschaft des Konsums, in der alles immer verfügbar ist, und trotzdem haben viele Menschen fast nichts und leben in miserablen Umständen. Die Gewalt auf verschiedenen Ebenen, der man zwar persönlich nicht ausgesetzt ist, die aber allgegenwärtig scheint. Man bekommt die Effekte des Klimawandels stärker mit: längere Trockenperioden, Wassermangel und höhere Temperaturen; und auch die hohe Umweltverschmutzung, -zerstörung und -ausbeutung durch Industrie, Verkehr und das große Problem des (Plastik-)Mülls. Alles Probleme, mit denen wir in Europa auch zu kämpfen haben (werden), die aber noch oft unsichtbar oder weit weg erscheinen, obwohl wir durch die Globalisierung mindestens ebenso Verantwortung für sie tragen. Mit solchen Zuständen zu leben und sie tagtäglich zu beobachten, macht einen sehr viel stärkeren Eindruck als das reine Studium dieser Umstände.
Im Gegensatz dazu gibt es aber auch sehr viel Positives zu entdecken: soziales Engagement, Protest, Kampf und alltäglicher sowie akademischer Widerstand. Es gibt großes kreatives Potential und eine vielschichtige theoretische sowie praktische Auseinandersetzung mit den regionalen und globalen Problematiken unserer Zeit. Auch habe ich durch den Kontakt mit den Menschen und Angehörigen indigener Kulturen praktisch gelebte Alternativen der politischen und sozialen Organisation kennengelernt. Der Kontakt mit diesen marginalisierten und oft gewaltsam unterdrückten Gruppen (deren Leben und Kultur ich an dieser Stelle ausdrücklich nicht romantisieren möchte), bietet aber durch einen interkulturellen Austausch das Potential und Ideen für gerechtere und andere Welt(en).
Ich hoffe, dass zukünftige Austauschstudierende die Gelegenheit haben, sich mit dem ein oder anderen Thema aus verschiedenen Perspektiven auseinandersetzen zu können. Es lohnt sich!