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Schon seitdem ich als Kind „Nils Holgersson“ mit den Wildgänsen gesehen habe, war mir bewusst, dass Zugvögel im Winter in den Süden ziehen, da es ihnen in der nördlichen Hemisphäre bei uns zu kalt wird. Jedoch hätte ich, als ich die Serie damals schaute, nie erwartet, eines Tages ganz unverhofft mittendrin und Teil des faszinierenden Zyklus einer Meeresvogelart zu sein. Vielleicht nicht gerade so wie bei Nils Holgersson auf deren Rücken in den Lüften, allerdings ähnlich stark involviert. Dies jedoch im Zuge eines heute notwendig gewordenen Eingriffs, der auf den Menschen zurück geht und mit der Lichtverschmutzung zu tun hat. Ein anthropogener Einfluss auf unser Ökosystem, den man neben Klimawandel und Umweltverschmutzung gerne mal vergisst, aber nicht minder Auswirkungen auf die Fauna unseres Planeten hat und diese aus dem Gleichgewicht bringt.
Die Meeresvögel Cory Sturmtaucher werden auf Portugiesisch „Cagarros“ (lat.: Calonectris bolearis) genannt, was übersetzt charmanterweise „Scheißerlein“ bedeutet. Rund 80 Prozent der Bestände nistet auf den Azoren und bringt besonders nach dem Schlüpfen der Jungtiere die ganzen Inseln in Aktion. Dieses besondere Setting erlaubt es allen AnwohnerInnen Teil des Lebenszyklus von diesen Wildtieren zu werden und animiert alle dazu mitzuhelfen. Ansonsten findet man sie auch auf den kanarischen Inseln oder den Berlengas Inseln an der Westküste Portugals. Kein Wunder aber, dass sich diese Vögel seitjeher im Frühjahr Anflug auf die Azoren nehmen, denn die Lage mitten im Ozean und die vulkanisch geklüfteten Küsten ermöglichen es, den Höhlen-Nistern die perfekten Bedingungen, für ihr einziges Ei in diesem Jahr, zu finden.
Ihr ungewöhnlicher schnatternder Ruf (sucht das mal auf Youtube!) hat sich den Inselbewohnern bereits ins Herz gebrannt und man kann ihn sogar als Klingelton einstellen. Ich hatte nie wirklich viel mit Vögeln am Hut (Haha), aber nachdem ich diese Tiere zum ersten Mal gehört habe und meinen Ersten alleine in aller Frühe beim Joggen gefunden habe, habe ich eine ganz besondere Verbindung zu ihnen aufgebaut und mich immer mehr für das besondere Leben dieser Wildvögel interessiert. Auf magische Art beherrschen Zugvögel die drei Elemente: Luft, Wasser und Land. Ihre faszinierenden Verhaltensmuster stellen Forscher vor Rätsel und die meisten haben sie, wenn es um Artenschutz im Zuge des Anthropozäns geht, nicht so auf dem Schirm.
Ihr Leben spielt sich normalerweise auf dem Atlantik ab. Geschlafen wird auf dem Wasser, denn dank der Bürzeldrüse an dem oberen Teil ihrer Schwanzdrüse können sie ihr Gefieder wasserfest machen und somit wie eine Boje sich ausruhen. So vertreiben sie ihre Zeit im Winter mit fischen und fliegen und folgen den fischreichen Gewässern manchmal bis zur Küste vor Brasilien. Sobald sie sich im Frühjahr wieder auf den Azoren einfinden, treffen sich die Pärchen wieder (man vermutet, dass sie sich durch ihre Stimme erkennen) und ein Nistplatz wird gesucht. Bevor das Ei dann gelegt wird, findet noch eine letzte Fischfangtour statt, um sich zu stärken. Sobald es gelegt wurde, beginnt eine intensive Zeit für die Eltern. Abwechselnd im Zweiwochen-Rhythmus kümmern sich Männchen und Weibchen, während der andere Partner für sich fischen geht. Sobald nach ca. 95 Tagen (im August) das Junge dann geschlüpft ist, macht das gerade zuständige Elternteil zusätzlich kurze Eintages-Touren, um das Kleine mit Fisch zu versorgen, während das andere Elternteil auf längere Fischfangtouren geht. Es handelt sich also um ein ziemlich modernes Familienmodell. Das betrifft auch die Beziehung der Elternvögel, welche größtenteils monogam ist. Man gibt sich eine Auszeit im Winter, bis man sich im Frühjahr wieder findet. Da kann es auch passieren, dass der Partner gerade nicht zu finden ist, weil er vielleicht ein Gap-Year macht (das passiert zum Beispiel bei schlechten Fisch-Jahren, wo somit die Energiereserven geschont werden und kein Ei gelegt wird). Dann kann auch ruhig spontan ein neues Pairing stattfinden. Es gibt auch Beobachtungen von Weibchen, die zu dem Nest von größeren Männchen huschen und man fragt sich, ob die Partnerwahl von dem Persönlichkeitstyp und der damit verbundenen Fitness zusammenhängt. Atchoi, welche am Institut mit den Vögeln arbeitet, erzählt mir, dass sie durchaus unterschiedliche Charaktere haben und auf der Bold-Shy-Skala einsortiert werden können. Jedoch ist nicht sicher, wie dieser Charakter beeinflusst wird und welche Persönlichkeit erfolgreicher ist. So könnte ein vorsichtiger Vogel, der in der sicheren Spur fährt, je nachdem mehr Fisch-Erfolg haben, als ein überstürziger Vogel. Sie forscht auch daran, welche Art von Licht die Vögel wie wahrnehmen. Also ob sie rotes Licht oder blaues Licht anzieht bzw. ablenkt oder irritiert. Das spielt eine große Rolle in dem Leben der Vögel, da sie sich normalerweise an Sonne, Mond, Sternen und der Horizontlinie orientieren. Wenn die Jungtiere überraschend synchron im Herbst/November das Nest verlassen werden sie von der Lichtverschmutzung auf den Inseln abgelenkt. Die ersten Flugversuche scheitern und enden auf der Straße. Dort laufen sie Gefahr von unnatürlichen Prädatoren, wie Autos, Katzen, Igeln oder sogar Ratten angegriffen zu werden. Die armen Jungvögel landen völlig orientierungslos vor Mauern und haben meist eine fette Straßenlaterne über sich, was sie komplett reaktionsunfähig macht. Dabei werden sie immer schwächer und ihre Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt, da die Eltern das Junge im Nest allein lassen, damit es vom Hunger getrieben raus auf den Ozean fliegt.
Daher wurde schon 1995 die Kampagne SOS Cagarro ins Leben gerufen und seit 2001 werden jährlich auch Daten zu den Vögeln gesammelt. So gibt es nun in der alten Walfabrik in Horta immer gegen Oktober/November ein Cagarro-Hotel, wo man die Vögel in Papierkartons hinbringen kann. Dort werden sie dann gemessen und bekommen einen Identifikationsring an den Fuß. So kann man nachvollziehen, wo sie hinfliegen und je mehr Info man am Ende über die Spezies sammelt, umso besser können Schutzmaßnahmen etabliert werden. Dabei werden Vorträge in Schulen gegeben, Werbung für die Kampagne gemacht, Kids zum Freilassen der Vögel eingeladen, sodass die ganze Insel an dem Citizen Science Projekt involviert ist. Ich habe auch an Patrouillen teilgenommen und in der Hochzeit konnte man abends nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne einen süßen Cory irgendwo aufzufinden. Für mich war das eine super spannende Zeit. Ich habe noch nie Natur so unverhofft nah erlebt und so nachvollziehbar in den Kontext des menschlichen Einflusses gebracht. Diese Vögel haben sich in mein Herz geschnattert und es hat immer ein bisschen geblutet, wenn ich einen von der Straße klauben musste. Durch das Gespräch mit Atchoi am Institut habe ich sehr viel über die faszinierende Welt von Seevögeln gelernt und verstehe immer mehr wie schützenswert und schutzbedürftig die Flora und Fauna unseres Planeten ist.
Mehr zu dem Thema findet ihr hier:
https://portal.azores.gov.pt/web/drpm/sos-cagarroExterner Link (mit zwei sehr schönen verlinkten Youtube Videos)
Atchoi, E., Mitkus, M., & Rodríguez, A. (2020). Is seabird light‐induced mortality explained by the visual system development? Conservation Science and Practice, 2(6). https://doi.org/10.1111/csp2.195Externer Link
Und danke an Antchoi für das nette Interview :) Haben uns bei einem Kaffee an Porto Pim ein bisschen über die Vögel unterhalten.