Künstliche Intelligenz (KI) wird die Hochschullehre der Zukunft prägen und verändern. Insbesondere in den Geistes- und Kulturwissenschaften, in denen das Schreiben als Schlüsselkompetenz gilt, bestehen derzeit noch viele Unsicherheiten und Vorbehalte gegenüber KI. Schafft KI die Hausarbeit in Zukunft als Prüfungsform ab? Welche Möglichkeiten bieten gegenwärtige KI-Tools, und welche nicht? Wie sinnvoll ist es, diese in der Lehre einzusetzen und für Prüfungen zuzulassen?
Diese und viele weitere Fragen haben das Institut für Germanistische Literaturwissenschaft dazu veranlasst, am 10. November 2023 einen institutsinternen Klausurtag zum Thema „KI in der germanistischen Hochschullehre“ durchzuführen. Unter Anleitung der Linguistin und KI-Schreibexpertin Margret Mundorf vom Virtuellen Kompetenzzentrum Künstliche Intelligenz und wissenschaftliches Arbeiten (VK:KIWA) erhielten Lehrende und Studierende im Rahmen des Ganztagesworkshops die Möglichkeit, sich ein grundlegendes Verständnis der gegenwärtigen KI-Technologien zu erarbeiten und verschiedene Werkzeuge der KI konkret zu erproben.
Nach einer Vorstellungsrunde, in der Vorkenntnisse und erste Überlegungen der Teilnehmenden diskutiert wurden, erläuterte Mundorf die Funktionsweise der generativen KI und insbesondere das des gegenwärtig marktführenden Programms Chat GPT. Im Anschluss wurden mehrere Programme, die sogenannte „Large Language Models“ einsetzen, darunter neben Chat GPT, Google Bard Chat, Bing Chat, You.com, Huggingchat, die Plattform Poe und weitere, in Kleingruppen interaktiv ausprobiert, um ihre Vor- und Nachteile zu ermitteln. Dabei wurde deutlich, dass KI-Tools keine Wissensmodelle darstellen, sondern allein auf Basis von Wahrscheinlichkeiten Texte erstellen, die eine Illusion von Kohärenz vermitteln. Die textgenerativen Werkzeuge, so eine erste Erkenntnis der Teilnehmenden an der Klausurtagung, ermöglichen keine Wissensaneignung und keinen Wissensgewinn. Sowohl in Bezug auf die KI-generierten Inhalte als auch in Bezug auf den Sinnzusammenhang der Texte bedarf es einer kritischen Überprüfung, die wiederum Vorwissen und die Fähigkeit zur Textkritik voraussetzt. So hatte Chat GPT etwa auch ein frei erfundenes Werk von Friedrich Schiller als gegeben betrachtet und interpretiert. Andere Textausgaben, die mithilfe von KI-Tools erzeugt wurden, erwiesen sich als ideologisch gefärbt.
Zudem wurde deutlich, dass nur ein kompetenter Umgang mit generativer KI zu Ergebnissen führt, die von Studierenden und Lehrenden sinnvoll genutzt werden können – beispielsweise zur Ideenfindung oder Systematisierung von Argumenten. Dazu gehört vor allem das richtige „Prompting“, d.h. das Verfassen und allmähliche Verfeinern von gezielten Aufforderungen an die KI, wie Mundorf erläuterte. Im zweiten Teil des Workshops wurden deshalb Techniken für erfolgreiches „Prompting“ trainiert.
Im letzten Teil der Klausurtagung präsentierte die KI-Expertin weitere Tools, die für das wissenschaftliche Schreiben genutzt werden können, etwa für die Literaturrecherche oder das Überarbeiten von Texten. Dabei wurde deutlich, dass die Qualität der jeweiligen Werkzeuge von der Quantität und Qualität der Texte abhängig ist, mit denen sie gefüttert sind. Da germanistische Inhalte im Vergleich zu natur- und sozialwissenschaftlichen Fächern bislang kaum digital verfügbar sind, konnten sie auf dem jetzigen Stand noch nicht überzeugen. Die Vermittlung der traditionellen Recherche- und Schreibtechniken wird also auch bis auf weiteres ein wichtiges Anliegen in der Lehre bleiben. Und was die klassische Seminararbeit betrifft, so die einhellige Meinung, spitze die generative KI nur zu, was längst der Fall ist: Je allgemeiner und erwartbarer ein Thema gestellt wird, desto wahrscheinlicher finden sich bereits auch heute schon fertige Texte oder Textbausteine dazu im Netz. Je spezifischer hingegen ein Thema auf die Lehrveranstaltung abgestimmt ist, desto eher werden auch in Zukunft die KI-basierten Schreibtools nur Hilfsmittel bleiben und gutes „Prompting“ nicht bereits mit Erkenntnisgewinn verwechselt werden können.
In der Abschlussdiskussion wurde deutlich, wie hilfreich es die Teilnehmenden fanden, unmittelbar mit den KI-Tools zu arbeiten und sie unmittelbar miteinander zu vergleichen. Auf diese Weise konnten manche Zerrbilder aufgelöst werden, die KI-Tools entweder unter- oder überschätzen. Die praktische Anwendung zeigte, dass zentrale Arbeitstechniken und Prüfungsformen der Kulturwissenschaften nicht umstandslos von KI ersetzt werden können. Zumindest noch nicht. Die Trainerin wies aber mehrfach darauf hin, dass sie uns kostenfreie Versionen der KI-Tools zur Verfügung gestellt habe. Die Bezahlversion von Chat GPT zum Beispiel könne schon viel mehr. Überdies werde die Entwicklung im rasanten Tempo voranschreiten und sich weiter kommerzialisieren. Insofern wies der Workshop darauf hin, dass es dringend erforderlich ist, das Thema KI in der Lehre offen zu thematisieren, um sowohl auf Seiten der Studierenden als auch der Lehrenden Berührungsängste abzubauen. Ein Workshop, wie wir ihn durchgeführt haben, bietet eine ideale Grundlage dafür.
Der Klausurtag wurde von einer Arbeitsgruppe bestehend aus Peter Braun, Paulina Ebmeier, Florian Hesse, Alexander Pappe und Malena Ratzke vorbereitet; der Bericht wurde von Anja Thiele verfasst und von Peter Braun redigiert.
Wir bedanken uns bei der Akademie für Lehrentwicklung, die den Klausurtag im Rahmen ihrer Förderlinie „Entwicklungsdialog in den Fakultäten“ unterstützt und ermöglicht hat.