- Forschung
- Wissenstransfer & Innovation
Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Geht es um Terrorismus, fallen wohl den meisten Menschen spontan Begriffe wie „Nine eleven“ ein, „Charlie Hebdo“, „IS“ oder „RAF“. Viele Menschen verbinden die oft spektakulären terroristischen Gewalttaten zudem mit den Namen der Täter, während die Opfer meist namenlos bleiben. Woran liegt das? Woher kommt das Phänomen Terrorismus überhaupt? Welchen Mechanismen folgt der Terrorismus, worauf zielt er ab? Gab es schon immer Terroristen oder sind sie eine Erscheinung der Moderne? Fragen wie diesen geht Prof. Dr. Carola Dietze von der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach. Die Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Geschichte hat jetzt gemeinsam mit ihrer Fachkollegin Claudia Verhoeven von der Cornell University in Ithaca (New York) „The Oxford Handbook of the History of Terrorism“ herausgegeben. Gemeinsam mit einem Team internationaler Historikerinnen und Historiker unternehmen sie es, das Phänomen Terrorismus aus historischer Perspektive neu zu bewerten und kritisch einzuordnen.
Der Terror ist auf Massenmedien angewiesen
„Spektakuläre Gewalttaten hat es schon früh in der Menschheitsgeschichte gegeben, der Terrorismus ist jedoch eher ein Phänomen der Moderne“, sagt Prof. Dietze. Denn Terrorismus unterscheide sich signifikant von anderen Formen von Gewalt. Angelehnt an den deutschen Soziologen Peter Waldmann wird Terrorismus als planmäßig vorbereitete und schockierende Gewalt definiert, die sich gegen eine politische Ordnung richtet. Dabei sei der Terrorismus eine politisch motivierte Strategie der Anwendung spektakulärer Gewalt mit dem Ziel, in einer Gesellschaft starke psychologische Effekte zu erzielen. In historischer Perspektive sei bisher die Vier-Wellen-Theorie des US-amerikanischen Terrorismusforschers David C. Rapoport vorherrschend, sagt Carola Dietze. Demnach habe es vier Wellen von Terrorismus gegeben: eine anarchistische, eine antikoloniale, eine neu-linke und eine religiöse. Mit dem Oxford Handbook haben die Historikerinnen diese Theorie nun auf den Prüfstand gestellt und beispielsweise dem ethnisch-nationalistischen und dem rechtsextremen Terrorismus in der Geschichte mehr Beachtung gegeben sowie die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen von Terrorismus untersucht. „Eine entscheidende Voraussetzung für terroristische Gewalt in der Moderne sind moderne Kommunikationsmittel“, sagt Carola Dietze. Zugespitzt formuliert: Terrorismus benötigt Massenmedien und Massenöffentlichkeit, damit er seine Wirkung entfalten kann. In jüngster Zeit bietet das Internet dafür ideale Voraussetzungen: Täter können das Medium eigenständig bedienen, sie liefern selbst die Bilder, die ihnen wichtig sind. Die Botschaft der Gewalt richtet sich dabei immer an zwei Zielgruppen: Die Gruppe, deren Sympathie erhofft wird, und die andere, die in Angst und Schrecken versetzt werden soll.
Dem Terrorismusforscher Rapoport zufolge verwendeten bereits Akteure in der Vormoderne terroristische Methoden. Dazu zählen die Assassinen im mittelalterlichen Persien ebenso wie die sogenannten Thugs, die in Indien um 1800 für Angst und Schrecken sorgten. Die Beiträge im Oxford Handbook ordnen diese Gruppen nun jedoch anders ein: „Die Attentate der Assassinen waren eher Teil einer militärischen Strategie, kein politisch motivierter Terrorismus“, sagt Prof. Dietze. Die Thugs in Indien seien hingegen kriminelle Banden gewesen und damit auch keine Terroristen.
Das Lied „John Brown´s Body“ als Denkmal für einen Terroristen
In ihrem Beitrag für das Handbuch hat sich Prof. Dr. Carola Dietze auf den Terrorismus im 19. Jahrhundert konzentriert. Sie identifiziert zwei Männer als erste „moderne Terroristen“: John Brown in den USA und den Italiener Felice Orsini. Brown kämpfte gegen die Sklaverei in den Südstaaten und überfiel mit Gleichgesinnten 1859 das Waffenarsenal Harpers Ferry in Virginia (heute West Virginia). Felice Orsini, ein italienischer Rechtsanwalt, hatte bereits ein Jahr zuvor ein Attentat auf den französischen Kaiser Napoléon III. verübt, um eine europäische Revolution anzustoßen (ähnlich der Revolutionen von 1948/49), die in Italien Demokratie und staatliche Einheit bringen sollte. Beide hatten ihre Gewaltakte als Fanal in ihrem politischen Kampf konzipiert, die Nachricht von ihren Taten fanden durch die neuen Massenmedien weite Verbreitung und Aufmerksamkeit. Beide endeten am Galgen bzw. unter der Guillotine, doch mittelfristig wurden nicht zuletzt aufgrund ihrer Gewalttaten ihre politischen Ziele erreicht.
Angesprochen auf Akte des Terrorismus der jüngsten Vergangenheit verweist Carola Dietze auf den vorbildlichen Umgang in Norwegen in Bezug auf den Massenmörder, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen getötet hatte. „Wenn über diese terroristische Gewalt berichtet wird, vermeiden Medien und Gesellschaft es nach Möglichkeit, den Namen des Attentäters zu erwähnen“, sagt Carola Dietze. Dessen Wunsch, durch seine Taten weithin bekannt zu werden, werde so konterkariert. Im Falle von John Brown war daran nicht zu denken. Mit dem Lied „John Brown´s Body“, das unter den Unionstruppen im Amerikanischen Bürgerkrieg populär war und bis heute gern gesungen wird, wurde dem Freischärler und Terroristen ein Denkmal gesetzt.
Bibliographische Angaben:
Carola Dietze, Claudia Verhoeven (Hg.): „The Oxford Handbook of the History of Terrorism“, Oxford University Press, Oxford 2022, 756 Seiten, 160,44 Euro, E-Book: 98,44 Euro, ISBN: 978-0199858569