Salvador, Sonnenuntergang in Ondina

Universidade Federal da Bahia, Brasilien

Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/24
Salvador, Sonnenuntergang in Ondina
Foto: Marie, Uni Jena
  • Universidade Federal da Bahia

Meldung vom:

Marie, Bachelor Soziologie und Psychologie

Organisatorisches

Die Bewerbung lief über das Internationale Büro der Uni Jena, das die Partnerschaft zwischen der FSU und der Uni in Salvador und auch die Austauschplätze vermittelt. Die Bewerbungsfrist hierfür war im Januar 2022, also über ein Jahr vor Beginn meines Auslandsaufenthaltes. Es lohnt sich also auch für Pläne, die noch weit in der Zukunft liegen und sehr abstrakt erscheinen, die Fristen im Auge zu behalten. Dabei war es zudem möglich, Teile der Bewerbung, wie beispielsweise den Sprachnachweis, noch nachzureichen.
Nach der Zusage blieb mir genug Zeit, um mich inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten. Im Fall von Brasilien bedeutet dies vor allem die Organisation des Visums, die aufgrund diverser erforderlicher Dokumente und deren Beglaubigungen langwierig sein kann und parallel online und analog verläuft. Dass ich einige Jahre vorher schon für einen Freiwilligendienst in Brasilien war, hat mir hier sehr geholfen. Wer hier konkret Hilfe braucht oder Fragen hat, kann mich gerne per Mail anschreiben (meine Mailadresse vermittelt das Internationale Büro), ansonsten findet ihr die konkreten Angaben auf der Homepage der brasilianischen Botschaft.
In der Kommunikation mit der Person, die an der Uni Salvador für internationale Studierende zuständig ist, habe ich zum Teil herausfordernd erlebt. Neben der anfänglichen Sprachbarriere habe ich hier sowohl kulturelle Unterschiede in der Strukturierung und Kommunikation von Verwaltung wahrgenommen, als auch wenig bis keine Infrastruktur für internationale Studierende. Beides ist in den ersten Monaten zum Teil verunsichernd gewesen und hat viel Eigenengagement, Geduld und Mut erfordert, sich auf Portugiesisch durch die Univerwaltung zu telefonieren etc. .
Trotz dieser Vulnerabilität und speziellen Bedürfnissituation, in der man sich als internationale Studierende gerade am Anfang befindet, halte ich es trotzdem für wichtig, die eigene Position in diesem Kontext zu reflektieren. Für Salvador gehört hier aus meiner Perspektive dazu, dass der Zugang zur Universität für die Menschen aus Salvador und Bahia (dem Bundesstaat) politisch umkämpft. Die gesetzliche Quotenregelung für Schwarze Menschen, Menschen mit Behinderung, trans* Menschen und Indigene/Quilombolas, das es in seiner Grundstruktur seit 2005 gibt, hat die Universität als Ort der Ausbildung der weißen oberen Mittelschicht bis Oberschicht bereits diversifiziert. Dennoch besteht der systematische Ausschluss dieser Bevölkerungsgruppen von akademischer Bildung und die Diskriminierung innerhalb dieser Institutionen als Mechanismus der Reproduktion von Ungleichheit und Sicherung einer weißen Elite, weiter fort. Die politische Interessenlage schlägt sich auch in der finanziellen und materiellen Ausstattung der Fakultäten, der Kapazitäten der Verwaltungsstruktur und Handlungsspielräumen hochschulpolitischer Gruppierungen etc. nieder. Die Bedeutung einer Infrastruktur für internationale Studierende aus der Sicht der Institution vor Ort und Mitarbeitenden oder Studierenden unterscheidet sich sicherlich von der eigenen Bedürfnissituation.

Ausstellung zu Mode und Aktivismus in der UFBA

Foto: Marie, Uni Jena

Erfahrungen

Zum Studium:
Das Studium an der Universität in Salvador war für mich sehr bereichernd. Die meisten Lehrveranstaltungen in Soziologie und Psychologie waren den deutschen konzeptuell nah und es war spannend, während des Semesters die Unterschiede in den Inhalten und der Lernkultur zu beobachten. So macht es einen großen Unterschied, ein Seminar zu Religionssoziologie oder Familienpsychologie in einem anderen Land zu studieren, weil die jeweiligen Theorien mit einer anderen Gesellschaft und ihren Gegebenheiten korrespondieren. Sowohl über die Inhalte selbst als auch anhand der Beispiele und -erzählungen der Studierenden, für die in den Kursen viel Raum gelassen wird, habe ich viel über die brasilianische Geschichte und Gegenwart, das Aufwachsen und den Alltag dort lernen dürfen.
Das Studieren in einer anderen Sprache war gerade in den ersten Monaten herausfordernd. Vieles nicht oder falsch zu verstehen, trotzdem ins Sprechen und Fragen zu kommen etc. war manchmal anstrengend oder einsam, aber hat auch dazu geführt, dass ich Strategien entwickelt habe, damit umzugehen. Dafür war es wertvoll, zwei Semester dort zu bleiben. So habe ich mich selbst nicht nur in dem Modus erlebt, Aufgaben und Referate einfach nur “bewältigen” zu wollen, zu versuchen, den Erwartungshorizont zu erahnen und Gruppenkommunikation halbwegs nachzuvollziehen. Sondern ich hatte schon während des ersten und insbesondere im zweiten Semesters viele Gelegenheiten, meinen Lernprozess z.B. in der Beteiligung in Gruppenarbeiten und Referaten zu gestalten und positive Erfahrungen zu sammeln.
Im Vergleich zu anderen Auslandserfahrungen war sicherlich prägend, dass es gerade im ersten Semester sehr wenig Austauschstudierende gab und meine Vernetzung mit anderen nur sehr zufällig entstanden ist. Umso dankbarer bin ich für die Austauschpersonen, die ich im Laufe der Zeit gefunden habe und für die Gelegenheit, Strategien zu entwickeln, um mich selbständig in die sozialen Strukturen in Salvador zu integrieren und Beziehungen aufzubauen.

Gemüsestand in der Peripherie von Salvador

Foto: Marie, Uni Jena

Zu ein paar Rahmenbedingungen:
Da die Studierendenwohnheime für bestimmte Studierendengruppen vorgesehen sind, habe ich mir für den ersten Monat ein Airbnb gesucht, in dem ich dann unerwarteterweise die gesamten zehn Monate später dann zu privaten Konditionen wohnen durfte.
Was den Alltag betrifft, musste ich mich an die veränderten Sicherheitsbedingungen anpassen. Das betrifft die konkrete Verhaltensebene, wie den Umgang mit Wertsachen und anderen Gegenständen in der Öffentlichkeit, öffentliche Mobilität etc., sowie die emotionale Ebene, der Umgang mit der eigenen Angst, das Sprechen über Gewalterlebnisse in Bekanntschaften und Freundschaften, die Unsicherheit, bestimmte Situationen nicht gelernt zu haben, zu deuten etc.. Meine Portugiesisch- und zunehmenden Ortskenntnisse haben mir hierbei geholfen, mich sicherer zu fühlen oder über bestimmtes Sicherheitsverhalten von den Menschen vor Ort aufklären zu lassen, dennoch habe ich mich bis zum Schluss nicht an bestimmte Verhältnisse gewöhnt und habe das auch nicht erwartet. Auf individueller Ebene und vor dem Hintergrund meiner Lebenserfahrung in Deutschland sind diese Anpassungen notwendige Prozesse, zugleich sind die Themen der Sicherheit und Kriminalität auch welche, durch die ich viel über die brasilianische Gesellschaft gelernt habe. Hier lohnt es sich aus meiner Sicht, tiefer einzutauchen, um nicht rassistischen Stereotypen aufzusitzen, die sowohl von weißen Personen in Brasilien reproduziert werden, als auch aus “westlicher” Sicht auf ganz Lateinamerika angewendet werden.

Bewertung insgesamt

Zum Schluss möchte ich sagen, dass Salvador als Studienstandort sich für Personen lohnt, die wenig Infrastruktur für Auslandsstudierende brauchen und sich auf sehr unterschiedliche Lebens- und Studienbedingungen einlassen möchten. Auch im Vergleich mit anderen Städten in Brasilien habe ich Salvador als weniger europäisch oder westlich geprägt erlebt, was sich unter anderem in der Stadtstruktur und einer starken lokal zum Teil spezifischen Kultur niederschlägt. Hier tief einzutauchen und Beziehungen auch außerhalb der Uni in andere Kreise und Subkulturen aufzubauen, war für mich eine wertvolle Erfahrung.

Salvador, Sonnenuntergang in Ondina

Foto: Marie, Uni Jena