Schüler und Schülerinnen im interaktiven Unterricht.

Lehre NACHGEFRAGT

Newsletter für Lehre an der Uni Jena Ausgabe 02 2024
Schüler und Schülerinnen im interaktiven Unterricht.
Foto: gpointstudio auf freepik

Sieben Fragen an Prof. Dr. Matthias Perkams und Prof. Dr. Holger Cartarius zum Thema "Reform des Lehramtsstudiums an der Uni Jena"

Die Universität Jena legt besonderen Wert auf eine fundierte und qualitativ hochwertige Ausbildung für angehende Lehrer und Lehrerinnen. Das Jenaer Modell der Lehrerbildung gliedert das Studium kurz umschrieben in drei Phasen: Grundlagen schaffen, Praxis erleben, Studieninhalte vertiefen. Kernstück ist das Praxissemester, in dem die Studierenden sich intensiv mit der Schulwirklichkeit vertraut machen und lernen, ihr bereits erworbenes Wissen in reflektierter Weise in die Praxis einzubringen. Das Studium für das Lehramt an Regelschulen an der Uni Jena wurde kürzlich reformiert, mit dem Ziel die angehenden Lehrer und Lehrerinnen besser auf die Aufgaben im Schulalltag vorzubereiten. Prof. Perkams und Prof. Cartarius waren maßgeblich am Umsetzungsprozess beteiligt. Matthias Perkams ist seit 2015 Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Antike und mittelalterliche Philosophie an der Universität Jena. Holger Cartarius ist hier seit 2019 Professor für Physik und ihre Didaktik. Seit April 2022 sind beide Mitglieder des Direktoriums des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB): Herr Cartarius vertritt dort die Fachdidaktiken und Herr Perkams die Fachwissenschaften. Beide konnten jeweils die Perspektive von Studiengangverantwortlichen in mehreren Lehramtsfächern in die Reform einbringen. Im Interview erläutern sie, was sich durch die Reform alles ändert und wie sie zustande kam.

Prof. Dr. Micheal Perkams (links) und Prof. Dr. Holger Cartarius
Prof. Dr. Micheal Perkams (links) und Prof. Dr. Holger Cartarius
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Was zeichnet das Lehramtsstudium an der Universität Jena aus?

Das Lehramtsstudium an der Universität Jena schließt mit dem ersten Staatsexamen ab. Kernstück und Besonderheit des Jenaer Modells der Lehrerbildung ist ein frühes Praxissemester, das bereits im dritten Studienjahr erste Unterrichtserfahrungen an Schulen erlaubt. Gleichzeitig werden die Studierenden an den Schulen durch erfahrene Lehrkräfte eng betreut und reflektieren ihre ersten Praxiserfahrungen in den universitären Begleitseminaren.

Die tragende Rolle des Praxissemesters schlägt sich in der gesamten Struktur des Jenaer Modells der Lehrerbildung nieder: Um dieses zu einem frühen Zeitpunkt zu ermöglichen, werden bereits in den ersten Semestern substanzielle Anteile der Bildungswissenschaften und der Fachdidaktiken in den Studienplan eingebracht. An vielen Universitäten setzen diese Anteile erst später ein, dafür erhalten in Jena die Fachinhalte einen bedeutenderen Anteil in den höheren Semestern.

Das Praxissemester wird mit universitären Lehrveranstaltungen begleitet, in denen es ebenfalls eine enge Kooperation mit den Thüringer Schulen gibt. Diese stellen teilweise abgeordnete Lehrkräfte, die in den Begleitseminaren aktiv werden. Das ZLB vernetzt sich über seine aktive Geschäftsstelle ferner eng mit dem Studienseminar Thüringen und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM). Kurz zusammengefasst kann man also sagen, dass das Jenaer Modell bereits sehr früh im Studium alle Aspekte der ersten, universitären Phase der Lehrerbildung abdeckt und eng mit den beiden anderen Phasen, dem Vorbereitungsdienst und der Weiterbildung von Lehrkräften, zusammenarbeitet.

Die Staatsexamensstudiengänge zeichnen die Universität Jena auch innerhalb Thüringens aus, denn sie bilden einen anderen Weg ins Lehramt, als ihn die Universität Erfurt anbietet. Dort wird ein Bachelor-Master-Modell mit einer Fokussierung auf das Fachstudium in den frühen Semestern und einer späten Praxisphase verfolgt. Die Universität Jena bietet zudem das mit Abstand breiteste Spektrum an Lehramtsfächern in Thüringen an, deckt auch die Naturwissenschaften mit deren notwendigen aufwendigen Laborpraktika ab und ermöglicht neben dem Studium für das Lehramt an Regelschulen auch das Studium für das Lehramt an Gymnasien.

Wie hat sich der Beruf des Lehrers bzw. der Lehrerin in den vergangenen Jahrzehnten verändert und vor welchen neuen Herausforderungen stehen die Lehrkräfte im modernen Schulalltag?

Die Anforderungen an Lehrkräfte haben sich in fast allen Bereichen ihrer Tätigkeit gewandelt. Einerseits werden die fachlichen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer ständig dem Stand der Wissenschaft angepasst und immer genauer definiert. Dies garantieren vor allem die ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken der Kultusministerkonferenz (KMK), die regelmäßig modernisiert werden, zuletzt im Februar dieses Jahres. Auch die KMK-Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sowie die allgemeine Hochschulreife werden regelmäßig neu gestaltet. Einige Fächer mussten daher ihre Fachinhalte in den letzten Jahren überprüfen und in manchen Gebieten sogar ausweiten.

Andererseits haben sich die Rahmenbedingungen sehr gewandelt. Die Schülerschaft wird heterogener, die Inklusion genießt heute einen sehr hohen, berechtigten Stellenwert und eine strikte Trennung von Schularten, wie es sie früher gab, existiert immer seltener. Immer mehr tritt ein Arbeiten in multiprofessionellen Teams in den Vordergrund. Die Digitalisierung führt zu einem Wandel der Bildungsprozesse und stellt Lehrkräfte vor neue methodische Herausforderungen. Dies schlägt sich auch in den „KMK-Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ und der gemeinsamen Empfehlung „Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt“ der Hochschulrektorenkonferenz und der KMK nieder.

Mit der Reform des Regelschullehramtsstudiums an der Uni Jena sollen die Kompetenzbereiche Inklusion, Multiprofessionalität und digitale Lernkultur gestärkt werden. Wie trägt die Stärkung dieser drei Kompetenzbereiche zu einer verbesserten Vorbereitung auf die Schulwirklichkeit bei?

Die Studierenden erlangen durch die Reform der Jenaer Lehrerbildung vertiefte Kompetenzen auf allen drei Gebieten.  Entscheidend ist dabei, dass dies auch Thema in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen der Universität Jena und dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) war. So standen die Ressourcen zur Verfügung, drei neue Professuren in den Bildungswissenschaften einzurichten. Alle drei Themenfelder können nun durch eine eigene Expertise an der Universität abgedeckt werden.

Das Lehramt Regelschule wurde in der Reform um ein komplettes Semester, also um 30 Leistungspunkte, aufgewertet. Da jeder der drei Kompetenzbereiche nun im Umfang von 5 Leistungspunkten im Studium verankert ist, erhalten alle Studierenden im Lehramt Regelschule eine ausführliche bildungswissenschaftliche Vorbereitung auf ihre zukünftigen Aufgaben, die zudem durch ein Pflichtmodul in Deutsch als Zweitsprache ergänzt wird. Es wird also eine umfassende und gezielte Vorbereitung auf die aktuellen Herausforderungen des Schulbetriebs angeboten.

Dabei bleibt es allerdings nicht. Das überarbeitete Studium zum Lehramt an Regelschulen sieht nämlich auch vor, dass die Prüfungsfächer, also die späteren Unterrichtsfächer der angehenden Lehrkräfte, ebenfalls um 5 Leistungspunkte aufgewertet werden, um die neuen bildungswissenschaftlichen Inhalte aus ihrer Perspektive zu vertiefen. Manche Fächer haben neue fachdidaktische Module zum inklusiven und/oder digitalen Fachunterricht eingeführt, und in anderen haben diese Aspekte Anknüpfungspunkte in den Fachwissenschaften.

Insgesamt wurde darauf geachtet, dass die Absolventen und Absolventinnen des Lehramtsstudiums eine möglichst gute Vorbereitung auf die Herausforderungen des zukünftigen Schulalltags mitbringen. Sie setzen sich bereits im Studium mit Aspekten der Inklusion auseinander, erhalten Kompetenzen im differenzierten (Fach-)Unterricht, lernen, was pädagogische Beratung ist, und wissen, wie digitale Medien lernförderlich eingesetzt werden.

Das Studium für das Lehramt an Regelschulen verlängert sich um ein Semester. Wird es dadurch nicht unattraktiv? 

Im Vordergrund der Reform steht die Steigerung der Attraktivität durch die Abdeckung der neuen Kompetenzbereiche. Es ist also nicht so, dass das Studium einfach nur länger wird. Die Studierenden erhalten zusätzliche Bildungsinhalte, die im späteren Berufsweg Lasten abnehmen werden. Nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass es das zehnsemestrige Studium zum Lehramt an Regelschulen in Thüringen bereits vorher in Erfurt gab. An der Universität Jena konnten wir nun im zeitlichen Umfang nachziehen und die neuen Inhalte unterbringen. 

Es kann selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Verlängerung einen Einfluss auf die Studienwahl hat. Das Studium zum Lehramt an Regelschulen ist jetzt genauso lang wie das zum Lehramt an Gymnasien, mit dem man ebenfalls an Regelschulen in Thüringen tätig werden kann, das jedoch auch weitere Möglichkeiten bietet. Die Attraktivität der neuen Inhalte muss also von einer Attraktivitätssteigerung des Berufs der Lehrkraft an Regelschulen begleitet werden.

Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass die nur im Studium zum Lehramt an Regelschulen vorhandenen Freiräume für eine ausführliche Behandlung der drei zusätzlichen Kompetenzbereiche, des Bereichs Deutsch als Zweitsprache und der systematischen Ergänzung in den Prüfungsfächern auf Studieninteressierte attraktiv wirkt.  Das Studium zum Lehramt an Gymnasien leistet im Gegensatz dazu die von der Kultusministerkonferenz geforderte Vertiefung in den Fachwissenschaften für ein Gymnasiallehramt. Hier besteht also die Möglichkeit, sich bewusst nach den eigenen inhaltlichen Interessen zu entscheiden, und diese Wahlfreiheit ist in jedem Fall attraktiv.

Zitat und Foto von Helmut Holter
Zitat und Foto von Helmut Holter
Foto: Steve Bauerschmidt

Der Anteil nicht muttersprachlicher Kinder steigt in den vergangenen Jahren auch an den Thüringer Schulen. Gibt es Angebote an der Uni Jena, die den zukünftigen Lehrkräften dabei helfen, mit den daraus entstehenden Herausforderungen besser umzugehen?

Bereits vor der aktuellen Reform war es möglich, das Drittfach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache zu studieren. Mit diesem konnte und kann Deutsch als Zweit- und Fremdsprache nach dem Praxissemester als drittes Unterrichtsfach im Studium hinzugenommen und mit der Erweiterungsprüfung abgeschlossen werden.

Der Jenaer Lehrerbildung war es jedoch wichtig, dass grundlegende Kompetenzen im Umgang mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, allen zukünftigen Lehrkräften an Regelschulen vermittelt werden. Daher wurde in gemeinschaftlichen Diskussionen im ZLB beschlossen, zusätzlich zu den drei Kompetenzbereichen Inklusion, Multiprofessionalität und digitale Lernkultur auch Deutsch als Zweitsprache in die Reform aufzunehmen, und Inhalte dazu im Umfang von 5 Leistungspunkten im Pflichtbereich des Studiums zu verankern. Die Universität Jena erbringt dafür eine substanzielle finanzielle Eigenleistung.

Sind Lehrveranstaltungen in diesen drei Bereichen auch für angehende Gymnasiallehrer und -lehrerinnen offen?

Ja, das sind sie. Es wird nicht nur das Studium zum Lehramt an Regelschulen reformiert, sondern auch das zum Lehramt an Gymnasien. Dieser Teil der Reform befindet sich aktuell in der Umsetzung.

Bereits in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen war eine Öffnung der zusätzlichen Kompetenzbereiche für das Lehramt an Gymnasien vorgesehen. Anschließend wurde die Erwartung an die Universität herangetragen, dass sich das strukturell im Studium durch eine Aufwertung des Umfangs der Bildungswissenschaften niederschlagen muss. Entsprechend früh, nämlich in einer Klausurtagung der Jenaer Lehrerbildung zur Lehramtsreform im November 2021, hat sich im Gespräch zwischen Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und Fachwissenschaften herauskristallisiert, dass diese Öffnung in einem übergreifenden Wahlpflichtbereich zwischen den Bildungswissenschaften und den Prüfungsfächern liegen kann. Ein solcher Bereich wurde dann auch vom Präsidium der Universität und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) favorisiert, in den Gremien der Jenaer Lehrerbildung beraten und traf im Wintersemester 2022/23 auf die Zustimmung des Lehrerbildungsausschusses. Da jedoch zunächst die Reform des Studiums zum Lehramt an Regelschulen im Vordergrund stand, erfolgt die Umsetzung erst jetzt.

Der übergreifende Wahlpflichtbereich sieht vor, dass sich Studierende im Lehramt Gymnasium entscheiden können, fünf Leistungspunkte aus jedem der beiden Prüfungsfächer in zusätzliche bildungswissenschaftliche Inhalte zu investieren. Ihnen steht also die Wahl zwischen einem Modul aus dem Angebot des Prüfungsfachs oder einem Modul aus dem Angebot der Bildungswissenschaften offen. Das gibt den Bildungswissenschaften den Freiraum, die neuen Kompetenzbereiche auch im Studium zum Lehramt an Gymnasien unterzubringen – und das übrigens nicht nur im Wahlpflichtbereich, sondern auch im Pflichtangebot. Teile der Bildungswissenschaften, die nun als eigenes Fach gezählt werden, wurden dazu grundlegend neu gestaltet.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach noch ändern in den kommenden Jahren?

Für unser Studium an der Universität Jena ist es jetzt vor allem erst einmal wichtig, dass wir beobachten, wie sich die Reformen in der Praxis bewähren. Trotzdem steht die Lehrerbildung in Thüringen weiterhin vor großen Herausforderungen. Bereits jetzt und sicher noch einige Jahre lang wird vor allem das Lehramt an Regelschulen auf Seiteneinsteigende angewiesen sein. Das trifft allerdings in einigen Unterrichtsfächern auch auf das Lehramt an Gymnasien zu. Hier gilt es, in Abstimmung mit dem TMBJS adäquate Wege zu finden, wie schnell auf den Bedarf der Schulen eingegangen und trotzdem eine ausreichende Qualität abgesichert werden kann. Ein Vorankommen in diesem Spannungsfeld ist nicht einfach. Spezielle Studienprogramme für die Fächer Chemie und Physik im Lehramt an Regelschulen, die die Universität in kürzester Zeit zusammen mit den beiden Fachgebieten ausgearbeitet und angeboten hat, kamen leider nicht zustande. Die Geschäftsstelle des ZLB setzt sich jedoch sehr dafür ein, dass am Seiteneinstieg interessierte Personen kompetent beraten werden. Dies erfordert bei den vielen Anlaufstellen an den Studienseminaren, dem TMBJS und an der Universität, an die Interessierte sich wenden, eine große Kraftanstrengung.

Alternative Wege zum Lehramt als das klassische Zwei-Fächer-Hochschulstudium mit anschließendem Referendariat werden schon einige Jahre diskutiert und in einigen Bundesländern umgesetzt. Die Kultusministerkonferenz hat erst kürzlich Maßnahmen zur strukturellen Ergänzung der Lehrkräftebildung beschlossen. Auch die Universität Jena hat die Initiative ergriffen und ist mit dem TMBJS im Gespräch darüber. Das Angebot eines Ein-Fach-Lehramtsstudium in ausgewählten Fächern erscheint aktuell bei uns am vielversprechendsten. Die Überlegungen zum Einfach-Lehramt sollen bald durch eine universitäre Arbeitsgruppe weiter vorangetrieben werden.

Nicht zuletzt möchte die Universität Jena für Studierende aus dem ganzen Bundesgebiet attraktiv sein. Diese Attraktivität ist in manchen Fächern aktuell nicht gegeben, da durch die Fächerkombinationsvorschriften in Thüringen Kombinationen ausgeschlossen sind, die an anderen Universitäten studiert werden können. Gespräche, die Vorschriften zu lockern, laufen, und wir hoffen, dass sich bald eine konkrete Lösung herauskristallisieren wird.

Kontakt

Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung