- Forschung
Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Wo steht der Religionsunterricht in Thüringen? Wie sieht die Praxis des Unterrichts aus, angesichts einer zunehmend vielfältiger und diverser werdenden Schülerschaft? Welche Zukunft hat der Religionsunterricht im Freistaat? Fragen wie diesen ging eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Michael Wermke vom Forschungszentrum für Religion und Bildung der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach. In Kooperation mit dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) wurden Religionslehrerinnen und -lehrer an allen Schulformen Thüringens über ihre Arbeit befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung werden jetzt per Policy Paper an Kirchen, Parteien, Hochschulen und die Teilnehmer selbst zurückgespielt. „Unser Paper zeigt schlaglichtartig den Istzustand des Religionsunterrichts in Thüringen und soll zugleich eine Einladung sein, miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Michael Wermke.
Religiös-weltanschauliche Vielfalt ist der Normalfall im Klassenzimmer
Wie Dr. Marita Koerrenz, Leiterin der Arbeitsstelle „Konfessionelle Kooperation in Thüringen“, erläutert, bestätige die Befragung, dass Diversität im evangelischen Religionsunterricht sich nicht auf die Dreiteilung katholisch, evangelisch und konfessionslos beschränkt. So zeige sich, dass die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler der evangelischen Kirche angehören (30 Prozent), gefolgt von der römisch-katholischen Kirche (17,5 Prozent) und evangelischen Freikirchen (14,5 Prozent). Auf einen Wert von 7 Prozent kommen Mitglieder einer islamischen Gemeinde, 5,3 Prozent gehören zu einer orthodoxen Kirche und ein Prozent bekennt sich zum jüdischen Glauben. Demgegenüber stehen 24 Prozent von Schülerinnen und Schülern, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, aber den Religionsunterricht gewählt haben. „Die Ergebnisse zeigen, dass konfessionelle Kooperation und religiös-weltanschauliche Vielfalt der Normalfall im evangelischen Religionsunterricht sind“, so Marita Koerrenz.
Gesprächsangebot über die Zukunft des Religionsunterrichts im Freistaat
Diversität in den Klassenzimmern sei eine Bereicherung und eine Chance, sagt Dr. Sungsoo Hong, Mitarbeiter am Forschungsprojekt. Zu beobachten sei jedoch, dass im Unterricht zunehmend konfessionelle Differenzen verschwinden könnten. Ein prägnantes Beispiel sei die Behandlung Elisabeths von Thüringen. „Elisabeth wird als mutige Person, als toughe Frau dargestellt, obwohl sie laut evangelischem Lehrplan als Vorbild christlicher Nächstenliebe und laut katholischem Lehrplan als Heilige zu behandeln ist“, sagt Sungsoo Hong. Ein denkbarer Ausweg sei es, eine multiperspektivische Betrachtung zu vermitteln. Hier sollten in der Aus- und Fortbildung neue didaktische Konzepte entwickelt und implementiert werden, so die Empfehlung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Ein alarmierender Befund aus der Befragung lautet, dass die Unterrichtsversorgung im Fach evangelische Religionslehre keineswegs gesichert ist. Über 40 Prozent der befragten Religionslehrkräfte sind älter als 50 Jahre, davon allein 18 Prozent über 60 Jahre. So sei in den kommenden Jahren ein großer Bedarf an jungen Religionslehrkräften zu erwarten, auf den sich der Freistaat Thüringen unbedingt einzustellen habe, sagt Michael Wermke; Staat und Kirche seien hier gefordert.
Das Paper mit den Ergebnissen der Befragung soll an das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien sowie an die bildungspolitischen Sprecher der politischen Parteien gesandt werden. Es solle eine fundierte Grundlage sein, um über die Weiterentwicklung des Religionsunterrichts in Thüringen ins Gespräch zu kommen, so Prof. Wermke.
Das Policy Paper und die genaueren Forschungsergebnisse sind zu finden unter: https://www.zrb.uni-jena.de/ressorts-und-arbeitsstellen/arbeitsstelle-konfessionell-kooperativer-religionsunterricht-in-thueringen