Santiago de Chile

Universidad Autónoma de Chile

Sommersemester 2024
Santiago de Chile
Foto: Michelle Celedon, Unsplash
  • Universidad Autónoma de Chile

Meldung vom:

Martin, Rechtswissenschaft

1.     Vorbereitungen

Mein Wunsch, ein Auslandssemester zu absolvieren, ist relativ spontan entstanden. Nach drei Semestern deutschem Jurastudium hatte ich mich daran gut gewöhnt, war damit zufrieden, wollte aber schon bald etwas Abwechslung haben und über den Tellerrand hinausblicken. Zugleich erinnerte ich mich an meinen schon länger andauernden Wunsch, mal in Lateinamerika zu leben. Deshalb bewarb ich mich spontan über die Restplatzliste des Internationalen Büros der Universität Jena. Glücklicherweise wurde meine Bewerbung angenommen. Nach dem vierten Fachsemester in Jena ging es für mich dann schon los nach Chile. Vor dem Aufenthalt war ich durchaus etwas aufgeregt, was mich genau erwarten würde, aber durch die Universitätspartnerschaft hielt sich der Aufwand der Vorbereitungen dann doch in Grenzen und zu jedem Zeitpunkt der Vorbereitung und Durchführung des Aufenthalts gab es geeignete Ansprechpartner*innen.

Die Universidad Autónoma de Chile ist eine große private Universität mit sehr vielen Studierenden, die sich auf vier Campus im Land verteilen. Zwei der Campus sind in der Hauptstadt Santiago de Chile, in Providencia und der Campus Llano Subercaseaux nahe Franklin in Santiago, zwei weitere Campus befinden sich in den Städten Temuco und Talca südlich der Hauptstadt. Gleichzeitig ist die Universität noch relativ jung in Anbetracht ihres Gründungsjahres, jedoch aufstrebend und schneidet in einigen Rankings sehr gut ab, kann aber mit dem Renommee der altehrwürdigen Universitäten des Landes nicht mithalten. Mein Austausch fand am Campus Providencia statt. Die Universidad Autónoma de Chile hat Partnerschaften mit einigen Universitäten in Lateinamerika in Peru, Kolumbien, Mexiko und Brasilien sowie mit Universitäten in Spanien und Frankreich. Die einzige Partneruniversität in Deutschland ist wohl die Friedrich-Schiller-Universität Jena. So kam es, dass ich, soweit ich es wahrgenommen habe, in meinem Semester nicht nur der einzige deutsche Austauschstudent der Universität war, sondern auch zugleich der einzige Austauschstudent an der rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Kurz vor meinem Abflug nach Chile fanden die Waldbrände um Valparaíso und Viña del Mar statt, die weltweit Aufmerksamkeit erhielten. Santiago de Chile betrafen diese nicht und innerhalb der ersten Wochen meines Aufenthalts in Chile hob die chilenische Zivilschutzbehörde die Reisewarnungen für Valparaíso und Viña del Mar auf.

Hinsichtlich der sprachlichen Vorkenntnisse verlangt die Universidad Autónoma de Chile Spanisch B2. Spanisch B2 Kenntnisse hatte ich vor allem in der Schule erworben und das war für den Austausch völlig ausreichend. Inhaltlich beschränkte sich meine Vorbereitung aufgrund von Zeitmangel auf das Lesen einiger Internetquellen und des Buchs „Mi país inventado“ der chilenisch-US-amerikanischen Schriftstellerin Isabel Allende, das ich zuvor fast komplett auf Spanisch durchlas. Rückblickend konstatiere ich auch gerne, dass man das Land, Kultur, Menschen und akademische Gepflogenheiten aber tatsächlich am besten vor Ort kennenlernt.

Bezüglich des Visums fand ich in meiner Recherche wenig eindeutige Informationen. Die Universität empfahl mir, mit der Permanencia Transitoria (ehemaliges Touristenvisum) einzureisen. Als deutscher Staatsbürger bekommt man dieses einfach bei der Einreise am Flughafen. Es sind bei der Einreise nur ggf. wenige weitere Dokumente bei sich zu führen, worüber mich vorab die Universität informierte. Die Permanencia Transitora erlaubt einen Aufenthalt für 90 Tage im Land und kann anschließend gegen Zahlung von 100 US-Dollar um weitere 90 Tage verlängert werden. Nach Auskunft meiner Universität dauert die Bearbeitung der Visa-Anträge häufig länger als erhofft, weshalb die Universität denjenigen Studierendenden, die nur ein Semester im Land blieben, generell von einem Visumsantrag abriet. Mit einem Visum wären ein paar Vergünstigungen im Land, aber auch ein hoher bürokratischer Aufwand verbunden gewesen, weshalb ich glücklich mit der Entscheidung gewesen bin, kein Visum neben der Permanencia Transitoria beantragt zu haben. Das Auswärtige Amt hat auf seinem Internetauftritt zu meiner Zeit davor gewarnt, dass die Möglichkeit der Verlängerung der Permanencia Transitora zukünftig wegfallen könnte. Bei mir war dies nicht der Fall. Meine persönliche Empfehlung wäre, einfach rechtzeitig vor Antritt des Auslandsvorhabens bei dem für dein Bundesland zuständigem Generalkonsulat Chiles in Deutschland anzurufen und sich über die aktuellen Visabestimmungen informieren zu lassen. Für Thüringen ist das chilenische Generalkonsulat in Frankfurt a.M. zuständig. Bei der Ausreise aus Chile muss die Permanencia Transitoria und ihre evtl. Verlängerung wieder vorgezeigt werden. Wer die Permanencia Transitoria verlieren sollte, kann aber eine Neuausstellung beantragen.

Hinsichtlich der Impfungen gibt es bei der direkten Einreise aus Deutschland keine verpflichtenden Impfungen. Natürlich ist es aber empfehlenswert, sich vor Abreise reisemedizinisch beraten zu lassen. Als Reiseimpfungen habe ich zuvor die Impfungen gegen Hepatitis A, Typhus, Tollwut und Dengue-Fieber durchführen lassen. In Santiago selbst hat man Dengue derzeit nicht zu befürchten, es kommt nur im extremen Norden Chiles und auf der Osterinsel vor. Außerdem kann eine Impfung gegen Hepatitis B sinnvoll sein, die hatte ich schon. Die bei mir durchgeführten Impfungen fand ich sinnvoll. Wer noch nicht gegen Hepatitis A geimpft ist, sollte aufgrund des derzeit gängigen Impfschemas am besten mehr als 6 Monate im Voraus mit den Impfungen anfangen.

Bezüglich der An- und Abreise kann ich nur generell sagen, dass es sich lohnen kann, die Flüge früh zu buchen, da diese dann noch deutlich günstiger sein können. Bezüglich der Unterkunft schickte uns die Universität vorab Tipps zu. Die Austauschstudierenden sollten sich selbstständig um eine Unterkunft kümmern. Dabei keine Sorge, die Wohnungssuche ist deutlich leichter als in Deutschland. Am üblichsten ist es wohl, sich ein Zimmer über soziale Medien zu suchen. Ich selbst habe mir vorab über die Agentur ContactChile eine Wohnung gebucht. Die Vorteile der Agentur sind, dass sie zuverlässig arbeitet und ich sie für völlig vertrauenswürdig halte. Auch meine Universität empfahl diese Agentur. Der Nachteil ist natürlich, dass man eine Vermittlungsgebühr zahlen muss. Ich fand es beruhigend, schon vor Ankunft in Chile meine Unterkunft geklärt zu haben.

Vorab schickte die Universidad Autónoma de Chile immer wieder sehr hilfreiche Informationen. Diese bezogen sich unter anderem auf die Einreise, Kurswahl, Semesterdaten, Visabestimmungen und vieles mehr. Für meinen Geschmack erfolgten die Informationen nur etwas kurzfristig, wenige Wochen vor Abreise. Rückfragen vor Abflug wurden beantwortet, aber nicht immer. Mein Eindruck war, dass es fast effektiver war, Rückfragen per WhatsApp, statt per E-Mail direkt an die Haupansprechpartnerin des Austauschs zu stellen. So bekam ich jedenfalls schneller Antworten. Nichtsdestotrotz konnte ich schon vor den Informationen aus Chile mit den Vorbereitungen anfangen, da der Leitfaden für Studierende des Internationalen Büros der Universität in Jena zu den Austauschprogrammen Weltweit ebenfalls sehr hilfreich war. Ebenso half mir in der Vorbereitung das Lesen anderer Erfahrungsberichte.

2.       Während des Austauschs

Santiago de Chile ist eine vielfältige, abwechslungsreiche und riesige Stadt. Die Provinz („provincia“) Santiago de Chile setzt sich aus über 30 Kommunen („comunas“) zusammen. Zwar ist die Regionalisierung Chiles in Artikel 3 der Verfassung als Ziel festgeschrieben, Chile ist aber noch immer ein außerordentlich zentralisiertes Land. Die Provinz Santiago de Chile ist das wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. So gibt es in Santiago de Chile dann auch gefühlt unbegrenzt Möglichkeiten der Freizeitgestaltung von Kinos über Museen, Parks, Klubs etc. Santiago de Chile ist aber auch eine sozial segregierte Stadt. Insbesondere der Nordosten Santiagos gilt als Umgebung mit hohem sozioökonomischem Niveau der Bewohner*innen, während es viele weniger reiche Kommunen gibt. Wie schon beschrieben, habe ich in der Kommune Providencia gewohnt, wo sich auch meine Universität befand. Das Stadtzentrum von Santiago de Chile ist im Wesentlichen die Kommune Santiago, während Providencia einer der Touristen-Hotspots ist. Hier befindet sich z.B. auch der Gran Torre Santiago, das höchste Gebäude Südamerikas.

Während des Auslandssemesters erhielten die Austauschstudierenden regelmäßig Informationen von der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der Universidad Autónoma de Chile (Dirrección Corporativa de Relaciones Internacionales). Auf Anfrage konnte mir die Koordinatorin für Mobilität und Stipendien alle Nachfragen beantworten. Zu Beginn des Semesters gab es eine Einführungsveranstaltung. Zugleich wurde das Buddy-System (frei von mir übersetzt) der Universität vorgestellt („partners UA“). Das Buddy-System war ein Pool an erfahrenen chilenischen Student*innen der Universität. Im Buddy-System wurden nicht jedem Austauschstudierendem eine feste Ansprechpartner*in zugewiesen, sondern man konnte sich an jede der Ansprechparter*innen bei Fragen wenden. Mit einem der Ansprechpartner verbrachte ich auch später privat viel Zeit. Die Abteilung für Internationale Angelegenheiten organisierte regelmäßig Veranstaltungen für die Austauschstudierenden, so verbrachte ich z.B. einen Tag, den Día de los Patrimonios, gemeinsam mit anderen Austauschstudierenden in Santiago. An diesem Tag konnte man verschiedene kulturelle Einrichtungen, Sehenswürdigkeiten oder Institutionen besichtigen, wodurch vor allem das immaterielle Erbe des Landes gefördert werden soll. Gerade zu Beginn hatte ich noch viele allgemeine Fragen, insbesondere zur Arbeitsweise an der Universität. Ansprechpartner gab es genug: neben der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der Universität und den Ansprechpartner*innen des Buddy-Systems auch das Sekretariat meiner Fakultät oder einfach meine Kommiliton*innen. Wenn ich Fragen hatte, habe ich sie einfach gestellt und würde dies so weiterempfehlen.

Die Kurswahl erfolgte vorab im Austausch mit der Universidad Autónoma de Chile. Ich wählte vorab schlichtweg solche Kurse, an denen mein akademisches Interesse am größten war. Kurse auf Englisch oder gesonderte Kurse für Austauschstudierende gab es nicht. Das fand ich gar nicht schlimm. So belegte ich letztlich Kurse im chilenischen Staatsorganisationsrecht, in Verhandlung und Berufsethik, im römischen Recht und in „Recht der Politik“. Auf Spanisch heißen diese Kurse „Derecho Constitucional Orgánico“, „Negociación y Ética Profesional“, “Historia y Evolución de las Instituciones Civiles” und „Derecho Político“. „Recht der Politik“ ist so etwas wie Staatssoziologie bzw. Politikwissenschaft, wenn man es mit dem deutschen Hochschulsystem vergleichen möchte.

Mit meinen gewählten Kursen war ich sehr zufrieden und tatsächlich lernte ich viel dazu. Da eines meiner größten Interessen im Jurastudium der Rechtsvergleichung gilt, war das Auslandssemester für mich auch fachlich sinnvoll. Insbesondere im Kurs zum Staatsorganisationsrecht habe ich die chilenische Verfassung immer wieder mit der deutschen verglichen. Viele Bestimmungen der Verfassung gefallen mir in Deutschland besser, z.B. wegen einer ausgeprägteren Machtbegrenzung der einzelnen Organe und ausgeprägteren Checks and Balances, aber es gibt auch Aspekte, die ich in der chilenischen Verfassung besser geregelt finde. Wie sich schon am Kurs „Recht der Politik“ erahnen lässt, war das Jurastudium an meiner Universität deutlich interdisziplinärer als in Deutschland. In fast jedem Kurs wird das Recht im Kontext seiner gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wechselwirkungen betrachtet. In meinen Kursen wurde regelmäßig überlegt, wie das Recht gestaltet werden sollte, um das Land zu verbessern. Diesen interdisziplinären Ansatz schätzte ich sehr und möchte ich zukünftig weiterhin für mich persönlich an geeigneten Stellen im Jurastudium anwenden. Als für mich weitere fachliche Highlights möchte ich zwei Essays erwähnen. Im Staatsorganisationsrecht schrieb ich einen Essay über die Rolle des Verhältnismäßigkeitsprinzips in einer Entscheidung des chilenischen Verfassungsgerichts zum nationalen Abtreibungsrecht. In einem anderen Essay thematisierte ich die Wichtigkeit dessen, dass die Entscheidungsprozesse der drei staatlichen Gewalten eine intersektionale Perspektive einnehmen. In beiden Essays sollten wir eine kritische Perspektive einnehmen, wodurch ich meine kritische Perspektive auf das positive Recht stärkte. Auch dem Kurs zur Verhandlung und Berufsethik konnte ich viel abgewinnen, da dieser z.B. mit der Mediation viele Themengebiete abdeckte, die in Jena nur bruchstückhaft unterrichtet werden. Die Professor*innen erlebte ich als sehr freundlich und viele meiner Kommiliton*innen nahmen mich sehr herzlich in die Kursgemeinschaft auf. Allgemein erinnerte mich die Studienweise eher an die gymnasiale Oberstufe. Die Kurse sind relativ klein, die Professor*innen sprechen einen mit Vornamen an und man kann mit ihnen auch mal ohne Weiteres kurz persönlich sprechen. Die Unterrichtsweise erfolgt neben frontalem Unterricht auch durch interaktive Formate wie Gruppenarbeiten, Präsentationen, Verhandlungssimulationen, Gruppendiskussionen etc. Ich persönlich fand dies großartig. Zudem gab es häufig wöchentliche Aufgaben, gewissermaßen „Hausaufgaben“. Prüfungsleistungen wurden drei pro Fach über das Semester verteilt abgelegt. Insgesamt erschien mir das Studium dadurch kaum weniger zeitintensiv als in Deutschland, ich habe die Aufgaben aber normalerweise sehr gewissenhaft bearbeitet.

Die Professor*innen gaben sich wohl generell viel Mühe, eher langsam und weitestgehend Kastilisch („Castellano“) zu sprechen. Von Anfang an hatte ich kaum Probleme, sprachlich den Kursen zu folgen. Schwieriger war dies im alltäglichen Spanisch der Chilen*innen mit chilenischem Dialekt, der gewissermaßen berüchtigt ist. Die Chilen*innen sprechen häufig sehr schnell untereinander und der chilenische Dialekt hat etliche eigene Wörter und Redewendungen, die man in einem Castellano-Kurs nicht lernt. Mit der Zeit habe ich mich in den Dialekt etwas reingehört und ich eignete mir selbst ein paar Wörter des chilenischen Spanisch an. Ich konnte mein Spanisch im Laufe des Aufenthalts merklich verbessern, aber bis zum Schluss musste ich bei Freund*innen darauf bestehen, dass sie für mich etwas langsamer sprechen und wenig Dialekt verwenden. Dann war für mich die Verständigung kein Problem. Das chilenische Spanisch ist sicherlich eine gute Übung für Dialekte. Andererseits trainiert dies vielleicht nicht alle Dialekte. So hatte ich während meines Aufenthalts auch mit Menschen aus Uruguay zu tun, die Río-de-la-Plata-Spanisch sprachen. Diesen Dialekt fand ich dann doch sehr anders im Vergleich zum chilenischen Dialekt. Mir wurde sogar erzählt, dass es innerhalb von Chile unterschiedliche Dialekte gibt. So habe ich mich jetzt am ehesten an den Dialekt aus Santiago gewöhnt.

Was mir am Auslandssemester in Chile am besten gefallen hat, waren die Erfahrungen mit den Menschen einer anderen Kultur. Tatsächlich habe ich fast alle Chilen*innen als sehr herzlich, offen und hilfsbereit erlebt, sehr viele hatten ein genuines Interesse an Europa. Tatsächlich verbrachte ich sehr viel Zeit mit Chilen*innen und schloss ein paar tiefe Freundschaften, die ich jetzt in Deutschland vermisse, aber wir schlossen Wiedersehen nicht aus. Ich kann nur empfehlen, sich mit ein paar locals aus seinen Kursen anzufreunden. Ich wurde ein paar Mal von zwei Chilenen zu sich nach Hause eingeladen, was mir tolle Einblicke in die Kultur gewährte. Gemeinsames Essen ist Teil der Kultur, neben einer tiefen Verwurzelung der Kirche in der Gesellschaft. Da ich selbst gläubig bin, gefiel mir dies; mein Vegetarismus ist für Chile zwar ungewöhnlich, wurde aber akzeptiert. Mir wurde aber erzählt, dass sich in Chile mit den Jahren immer mehr Menschen vegetarisch ernähren. Mit meinen chilenischen Freund*innen spielte ich häufig Tischkicker oder auch ein-/zweimal mal Tischtennis oder Badminton auf dem Campus, letzterer Sport ist in Chile kaum bekannt. Im Umgang mit den Chilen*innen empfehle ich einen machtkritischen Ansatz. So antwortete ich z.B. häufig auf die Frage, warum ich mich für mein Auslandssemester für Chile entschied, damit, dass ich von einer anderen Kultur lernen möchte. Dies entsprach der Wahrheit und kam bei den Chilen*innen gut an. Mir gegenüber präsentierten die Chilen*innen ihr Land nicht selten als Entwicklungsland und nahmen ihr Land damit, aus meiner Sicht, als sozioökonomischer weniger entwickelt wahr, als es eigentlich ist; ein Schwellenland ist es heute allemal, auch wenn ich persönlich den Ausdruck Globaler Süden bevorzuge. Richtig ist, dass die soziale Ungleichheit und Armut große Probleme des Landes sind, aber doch steht Chile im südamerikanischen Vergleich gut dar. Weiterhin erschien es mir ein Vorteil, sich selbst ein wenig für Fußball zu interessieren. Sehr viele Chilen*innen begeistern sich total für Fußball, so kam ich häufig noch schneller ins Gespräch mit Unbekannten. Mein Verhältnis zu den anderen Austauschstudierenden war nicht schlecht, aber wirklich viel hatte ich mit ihnen neben den offiziellen Veranstaltungen der Universität für die Austauschstudierenden nicht zu tun. Das ging nicht nur mir so, wie ich in Gesprächen insbesondere am Ende des Austauschs mit einem Mitglied des Buddy-Systems und einer anderen spanischen Austauschstudentin feststellte. Insbesondere die Franzosen und Französinnen schienen eher ihre eigene Gruppe beim Austausch zu bilden. Das war für mich eine der wenigen kleinen Enttäuschungen des Auslandssemesters.

Für die Freizeitgestaltung gab es gefühlt endlos Optionen. Obwohl ich nur ziemlich genau fünf Monate in Chile verbracht habe, habe ich doch sehr viel erlebt. Wie beschrieben, bat die Stadt Santiago allerlei Möglichkeiten, aber auch die Universität bot kostenlose Kurse an, mit einem Fokus auf Sportkursen. Semesterbegleitende Sprachkurse gab es leider nicht. Eine Woche vor Vorlesungsbeginn fand ein Sprachkurs für die Austauschstudierenden statt. Hier wurde neben Spanisch vor allem der Dialekt des chilenischen Spanisch vermittelt. Ich verbrachte meine Freizeit neben Entspannung vor allem mit dem Treffen von Freunden, reisen und ich nahm halbwegs regelmäßig an Gottesdiensten einer evangelischen Gemeinde teil. In Santiago besuchte ich z.B. Museen, Sehenswürdigkeiten und verschiedene Parks und ich reiste in die Städte Viña del Mar, Valparaíso, Coquimbo, Los Andes, Rancagua und Concepción und die Ortschaft San Francisco de Mostazal. Mit diesen Orten deckte ich schon eine weite geographische Vielfalt des Landes ab und konnte zugleich Inlandsflüge vermeiden. Die Kirchengemeinde nahm mich besonders herzlich auf und ich erlebte Gemeinschaft. Neben Chilen*innen waren auch Eingewanderte aus Uruguay und Venezuela Teil der Gemeinde. Ich würde tatsächlich sagen, dass die Kirchengemeinde meinen evangelischen Glauben bestärkt hat.

Die Sicherheitslage im Land fand ich wirklich gut. Zwar habe ich in Providencia gewohnt, einer der Kommunen mit einem der besten Rufe bezüglich Sicherheit, aber natürlich habe ich mich auch außerhalb meiner Kommune aufgehalten. So war z.B. meine Kirchengemeinde in der Kommune El Bosque, die weniger reich ist. Gemäß einem Stereotyp gebe es eine Korrelation zwischen dem Reichtum der Bewohner*innen und der Sicherheit der Kommune. Ob das wahr ist, kann ich nicht sagen. Die öffentliche Sicherheit ist gemeinsam mit der Einwanderung die politische Frage schlechthin derzeit in Chile. Die öffentliche Sicherheit wird andauernd in Nachrichten thematisiert und auch viele Chilen*innen selbst beantworten einem ausführlich Fragen dazu. Als besonders unsicher gelten die Kommunen Puente Alto, eine Vorstadt von Santiago, Teile der Kommune Maipú im Südwesten Santiagos und Teile des Zentrums von Santiago wie die Gegend um die Estación Central und den Plaza de Armas. Meine Empfehlung wäre, sich vor Ort in Chile ein eigenes Bild zu machen. Nach Maipú und Puente Alto bin ich letztlich nicht gefahren, im Stadtzentrum war ich schon einige Male. Mir ist in Chile nie etwas passiert. Als generelle Tipps gelten aber, nicht unnötig bei Dunkelheit/nachts auf die Straße zu gehen und nachts nach Möglichkeit mit einem Uber nach Hause zu fahren. In meiner Kommune Providencia habe ich mich eigentlich genauso sicher wie in Deutschland gefühlt, auch bei Dunkelheit. Das Leitungswasser halte ich für trinkbar. Wer im Winter in Chile ist, der sollte je nach Temperaturempfindlichkeit darauf achten, dass die eigene Unterkunft über eine Heizung verfügt. Dies ist in Chile nicht selbstverständlich.

Es ist vielleicht nicht ganz einfach, in Chile nachhaltig zu leben. Die weite Ausdehnung des Landes kann schnell Inlandsflüge notwendig erscheinen lassen, Mülltrennung findet nur eingeschränkt statt und nicht immer werden vegetarische oder vegane Optionen angeboten. In Providencia gab es aber schon eine sehr große Anzahl an Restaurants und Fast-Food-Optionen, normalerweise auch mit vegetarischen Optionen. Jedenfalls der öffentliche Nahverkehr in Santiago sollte so gut sein, dass man kein Auto braucht, ob dies auch für entlegenere Stadtteile gilt, weiß ich nicht. Der Grad der Luftverschmutzung in Santiago ist hoch.

Die Lebenshaltungskosten in Santiago fand ich ähnlich hoch wie in Deutschland, einzig den Mobilfunk und das allgemeine Mietniveau fand ich merklich günstiger als in Deutschland. Ein ausländisches Konto braucht man nicht zu eröffnen. International einsatzfähige Kreditkarten sind völlig ausreichend. In Santiago selbst gibt es nur wenige Regentage. Wenn es mal regnet, erzeugt dieses Ereignis häufig große öffentliche Aufmerksamkeit.

3.       Fazit

Für mich persönlich war das Auslandssemester eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Neben den beschriebenen fachlichen Gewinnen schätzte ich vor allem die Vielfalt an neuen Erfahrungen, die mir das Auslandssemester bot. Vor dem Aufenthalt in Chile war ich noch nie außerhalb Europas. Aufgrund meines vertieften Interesses am internationalen öffentlichen Recht und Themen wie Menschenrechten, Umwelt- und Klimagerechtigkeit, dem humanitären Völkerrecht, feministischer Außenpolitik, Gleichberechtigung oder nachhaltiger Entwicklung, die nach meiner Auffassung nicht ohne gebührende Berücksichtigung des Globalen Südens gedacht werden können, hatte ich den starken Wunsch, ein Auslandssemester in einem Land des Globalen Südens zu machen, um genuine Erfahrungen vor Ort mit den Menschen und in dem Land zu machen. Ich denke, dies ist mir sehr gelungen. Ich habe gelernt, sich in einem für Deutsche weit entfernten Land auf einem anderen Kontinent selbstständig zurecht zu finden. Zudem konnte ich tiefe Freundschaften mit Chilen*innen schließen. Weiterhin schätzte ich besonders das Eintauchen in eine andere Kultur, von der ich für mein persönliches Leben ein paar Aspekte mitnehmen möchte. Wer also Interesse an einer anderen Kultur hat, fachlich über den Tellerrand blicken möchte, sich persönlich weiterentwickeln möchte, oder aus was für Gründen auch immer über ein Auslandssemester nachdenken sollte, dem kann ich nur zu dieser Entscheidung raten. Während der Planung und des Aufenthalts in Chile gab es immer Ansprechpartner*innen für Fragen. Nur wer schon vorher weiß, dass einem eine sehr offene und herzliche Kultur, in der man auch mal von Unbekannten angesprochen wird, gar nicht liegt, der sollte sich vielleicht nicht für Chile als Zielland entscheiden. Alle Nachfragen beantworte ich gerne per E-Mail. Meine E-Mail kann man auf Anfrage vom Internationalen Büro der Universität Jena bekommen.