- Universidad Autónoma de Chile
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2. Während des Austauschs
Santiago de Chile ist eine vielfältige, abwechslungsreiche und riesige Stadt. Die Provinz („provincia“) Santiago de Chile setzt sich aus über 30 Kommunen („comunas“) zusammen. Zwar ist die Regionalisierung Chiles in Artikel 3 der Verfassung als Ziel festgeschrieben, Chile ist aber noch immer ein außerordentlich zentralisiertes Land. Die Provinz Santiago de Chile ist das wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. So gibt es in Santiago de Chile dann auch gefühlt unbegrenzt Möglichkeiten der Freizeitgestaltung von Kinos über Museen, Parks, Klubs etc. Santiago de Chile ist aber auch eine sozial segregierte Stadt. Insbesondere der Nordosten Santiagos gilt als Umgebung mit hohem sozioökonomischem Niveau der Bewohner*innen, während es viele weniger reiche Kommunen gibt. Wie schon beschrieben, habe ich in der Kommune Providencia gewohnt, wo sich auch meine Universität befand. Das Stadtzentrum von Santiago de Chile ist im Wesentlichen die Kommune Santiago, während Providencia einer der Touristen-Hotspots ist. Hier befindet sich z.B. auch der Gran Torre Santiago, das höchste Gebäude Südamerikas.
Während des Auslandssemesters erhielten die Austauschstudierenden regelmäßig Informationen von der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der Universidad Autónoma de Chile (Dirrección Corporativa de Relaciones Internacionales). Auf Anfrage konnte mir die Koordinatorin für Mobilität und Stipendien alle Nachfragen beantworten. Zu Beginn des Semesters gab es eine Einführungsveranstaltung. Zugleich wurde das Buddy-System (frei von mir übersetzt) der Universität vorgestellt („partners UA“). Das Buddy-System war ein Pool an erfahrenen chilenischen Student*innen der Universität. Im Buddy-System wurden nicht jedem Austauschstudierendem eine feste Ansprechpartner*in zugewiesen, sondern man konnte sich an jede der Ansprechparter*innen bei Fragen wenden. Mit einem der Ansprechpartner verbrachte ich auch später privat viel Zeit. Die Abteilung für Internationale Angelegenheiten organisierte regelmäßig Veranstaltungen für die Austauschstudierenden, so verbrachte ich z.B. einen Tag, den Día de los Patrimonios, gemeinsam mit anderen Austauschstudierenden in Santiago. An diesem Tag konnte man verschiedene kulturelle Einrichtungen, Sehenswürdigkeiten oder Institutionen besichtigen, wodurch vor allem das immaterielle Erbe des Landes gefördert werden soll. Gerade zu Beginn hatte ich noch viele allgemeine Fragen, insbesondere zur Arbeitsweise an der Universität. Ansprechpartner gab es genug: neben der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der Universität und den Ansprechpartner*innen des Buddy-Systems auch das Sekretariat meiner Fakultät oder einfach meine Kommiliton*innen. Wenn ich Fragen hatte, habe ich sie einfach gestellt und würde dies so weiterempfehlen.
Die Kurswahl erfolgte vorab im Austausch mit der Universidad Autónoma de Chile. Ich wählte vorab schlichtweg solche Kurse, an denen mein akademisches Interesse am größten war. Kurse auf Englisch oder gesonderte Kurse für Austauschstudierende gab es nicht. Das fand ich gar nicht schlimm. So belegte ich letztlich Kurse im chilenischen Staatsorganisationsrecht, in Verhandlung und Berufsethik, im römischen Recht und in „Recht der Politik“. Auf Spanisch heißen diese Kurse „Derecho Constitucional Orgánico“, „Negociación y Ética Profesional“, “Historia y Evolución de las Instituciones Civiles” und „Derecho Político“. „Recht der Politik“ ist so etwas wie Staatssoziologie bzw. Politikwissenschaft, wenn man es mit dem deutschen Hochschulsystem vergleichen möchte.
Mit meinen gewählten Kursen war ich sehr zufrieden und tatsächlich lernte ich viel dazu. Da eines meiner größten Interessen im Jurastudium der Rechtsvergleichung gilt, war das Auslandssemester für mich auch fachlich sinnvoll. Insbesondere im Kurs zum Staatsorganisationsrecht habe ich die chilenische Verfassung immer wieder mit der deutschen verglichen. Viele Bestimmungen der Verfassung gefallen mir in Deutschland besser, z.B. wegen einer ausgeprägteren Machtbegrenzung der einzelnen Organe und ausgeprägteren Checks and Balances, aber es gibt auch Aspekte, die ich in der chilenischen Verfassung besser geregelt finde. Wie sich schon am Kurs „Recht der Politik“ erahnen lässt, war das Jurastudium an meiner Universität deutlich interdisziplinärer als in Deutschland. In fast jedem Kurs wird das Recht im Kontext seiner gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wechselwirkungen betrachtet. In meinen Kursen wurde regelmäßig überlegt, wie das Recht gestaltet werden sollte, um das Land zu verbessern. Diesen interdisziplinären Ansatz schätzte ich sehr und möchte ich zukünftig weiterhin für mich persönlich an geeigneten Stellen im Jurastudium anwenden. Als für mich weitere fachliche Highlights möchte ich zwei Essays erwähnen. Im Staatsorganisationsrecht schrieb ich einen Essay über die Rolle des Verhältnismäßigkeitsprinzips in einer Entscheidung des chilenischen Verfassungsgerichts zum nationalen Abtreibungsrecht. In einem anderen Essay thematisierte ich die Wichtigkeit dessen, dass die Entscheidungsprozesse der drei staatlichen Gewalten eine intersektionale Perspektive einnehmen. In beiden Essays sollten wir eine kritische Perspektive einnehmen, wodurch ich meine kritische Perspektive auf das positive Recht stärkte. Auch dem Kurs zur Verhandlung und Berufsethik konnte ich viel abgewinnen, da dieser z.B. mit der Mediation viele Themengebiete abdeckte, die in Jena nur bruchstückhaft unterrichtet werden. Die Professor*innen erlebte ich als sehr freundlich und viele meiner Kommiliton*innen nahmen mich sehr herzlich in die Kursgemeinschaft auf. Allgemein erinnerte mich die Studienweise eher an die gymnasiale Oberstufe. Die Kurse sind relativ klein, die Professor*innen sprechen einen mit Vornamen an und man kann mit ihnen auch mal ohne Weiteres kurz persönlich sprechen. Die Unterrichtsweise erfolgt neben frontalem Unterricht auch durch interaktive Formate wie Gruppenarbeiten, Präsentationen, Verhandlungssimulationen, Gruppendiskussionen etc. Ich persönlich fand dies großartig. Zudem gab es häufig wöchentliche Aufgaben, gewissermaßen „Hausaufgaben“. Prüfungsleistungen wurden drei pro Fach über das Semester verteilt abgelegt. Insgesamt erschien mir das Studium dadurch kaum weniger zeitintensiv als in Deutschland, ich habe die Aufgaben aber normalerweise sehr gewissenhaft bearbeitet.
Die Professor*innen gaben sich wohl generell viel Mühe, eher langsam und weitestgehend Kastilisch („Castellano“) zu sprechen. Von Anfang an hatte ich kaum Probleme, sprachlich den Kursen zu folgen. Schwieriger war dies im alltäglichen Spanisch der Chilen*innen mit chilenischem Dialekt, der gewissermaßen berüchtigt ist. Die Chilen*innen sprechen häufig sehr schnell untereinander und der chilenische Dialekt hat etliche eigene Wörter und Redewendungen, die man in einem Castellano-Kurs nicht lernt. Mit der Zeit habe ich mich in den Dialekt etwas reingehört und ich eignete mir selbst ein paar Wörter des chilenischen Spanisch an. Ich konnte mein Spanisch im Laufe des Aufenthalts merklich verbessern, aber bis zum Schluss musste ich bei Freund*innen darauf bestehen, dass sie für mich etwas langsamer sprechen und wenig Dialekt verwenden. Dann war für mich die Verständigung kein Problem. Das chilenische Spanisch ist sicherlich eine gute Übung für Dialekte. Andererseits trainiert dies vielleicht nicht alle Dialekte. So hatte ich während meines Aufenthalts auch mit Menschen aus Uruguay zu tun, die Río-de-la-Plata-Spanisch sprachen. Diesen Dialekt fand ich dann doch sehr anders im Vergleich zum chilenischen Dialekt. Mir wurde sogar erzählt, dass es innerhalb von Chile unterschiedliche Dialekte gibt. So habe ich mich jetzt am ehesten an den Dialekt aus Santiago gewöhnt.
Was mir am Auslandssemester in Chile am besten gefallen hat, waren die Erfahrungen mit den Menschen einer anderen Kultur. Tatsächlich habe ich fast alle Chilen*innen als sehr herzlich, offen und hilfsbereit erlebt, sehr viele hatten ein genuines Interesse an Europa. Tatsächlich verbrachte ich sehr viel Zeit mit Chilen*innen und schloss ein paar tiefe Freundschaften, die ich jetzt in Deutschland vermisse, aber wir schlossen Wiedersehen nicht aus. Ich kann nur empfehlen, sich mit ein paar locals aus seinen Kursen anzufreunden. Ich wurde ein paar Mal von zwei Chilenen zu sich nach Hause eingeladen, was mir tolle Einblicke in die Kultur gewährte. Gemeinsames Essen ist Teil der Kultur, neben einer tiefen Verwurzelung der Kirche in der Gesellschaft. Da ich selbst gläubig bin, gefiel mir dies; mein Vegetarismus ist für Chile zwar ungewöhnlich, wurde aber akzeptiert. Mir wurde aber erzählt, dass sich in Chile mit den Jahren immer mehr Menschen vegetarisch ernähren. Mit meinen chilenischen Freund*innen spielte ich häufig Tischkicker oder auch ein-/zweimal mal Tischtennis oder Badminton auf dem Campus, letzterer Sport ist in Chile kaum bekannt. Im Umgang mit den Chilen*innen empfehle ich einen machtkritischen Ansatz. So antwortete ich z.B. häufig auf die Frage, warum ich mich für mein Auslandssemester für Chile entschied, damit, dass ich von einer anderen Kultur lernen möchte. Dies entsprach der Wahrheit und kam bei den Chilen*innen gut an. Mir gegenüber präsentierten die Chilen*innen ihr Land nicht selten als Entwicklungsland und nahmen ihr Land damit, aus meiner Sicht, als sozioökonomischer weniger entwickelt wahr, als es eigentlich ist; ein Schwellenland ist es heute allemal, auch wenn ich persönlich den Ausdruck Globaler Süden bevorzuge. Richtig ist, dass die soziale Ungleichheit und Armut große Probleme des Landes sind, aber doch steht Chile im südamerikanischen Vergleich gut dar. Weiterhin erschien es mir ein Vorteil, sich selbst ein wenig für Fußball zu interessieren. Sehr viele Chilen*innen begeistern sich total für Fußball, so kam ich häufig noch schneller ins Gespräch mit Unbekannten. Mein Verhältnis zu den anderen Austauschstudierenden war nicht schlecht, aber wirklich viel hatte ich mit ihnen neben den offiziellen Veranstaltungen der Universität für die Austauschstudierenden nicht zu tun. Das ging nicht nur mir so, wie ich in Gesprächen insbesondere am Ende des Austauschs mit einem Mitglied des Buddy-Systems und einer anderen spanischen Austauschstudentin feststellte. Insbesondere die Franzosen und Französinnen schienen eher ihre eigene Gruppe beim Austausch zu bilden. Das war für mich eine der wenigen kleinen Enttäuschungen des Auslandssemesters.
Für die Freizeitgestaltung gab es gefühlt endlos Optionen. Obwohl ich nur ziemlich genau fünf Monate in Chile verbracht habe, habe ich doch sehr viel erlebt. Wie beschrieben, bat die Stadt Santiago allerlei Möglichkeiten, aber auch die Universität bot kostenlose Kurse an, mit einem Fokus auf Sportkursen. Semesterbegleitende Sprachkurse gab es leider nicht. Eine Woche vor Vorlesungsbeginn fand ein Sprachkurs für die Austauschstudierenden statt. Hier wurde neben Spanisch vor allem der Dialekt des chilenischen Spanisch vermittelt. Ich verbrachte meine Freizeit neben Entspannung vor allem mit dem Treffen von Freunden, reisen und ich nahm halbwegs regelmäßig an Gottesdiensten einer evangelischen Gemeinde teil. In Santiago besuchte ich z.B. Museen, Sehenswürdigkeiten und verschiedene Parks und ich reiste in die Städte Viña del Mar, Valparaíso, Coquimbo, Los Andes, Rancagua und Concepción und die Ortschaft San Francisco de Mostazal. Mit diesen Orten deckte ich schon eine weite geographische Vielfalt des Landes ab und konnte zugleich Inlandsflüge vermeiden. Die Kirchengemeinde nahm mich besonders herzlich auf und ich erlebte Gemeinschaft. Neben Chilen*innen waren auch Eingewanderte aus Uruguay und Venezuela Teil der Gemeinde. Ich würde tatsächlich sagen, dass die Kirchengemeinde meinen evangelischen Glauben bestärkt hat.
Die Sicherheitslage im Land fand ich wirklich gut. Zwar habe ich in Providencia gewohnt, einer der Kommunen mit einem der besten Rufe bezüglich Sicherheit, aber natürlich habe ich mich auch außerhalb meiner Kommune aufgehalten. So war z.B. meine Kirchengemeinde in der Kommune El Bosque, die weniger reich ist. Gemäß einem Stereotyp gebe es eine Korrelation zwischen dem Reichtum der Bewohner*innen und der Sicherheit der Kommune. Ob das wahr ist, kann ich nicht sagen. Die öffentliche Sicherheit ist gemeinsam mit der Einwanderung die politische Frage schlechthin derzeit in Chile. Die öffentliche Sicherheit wird andauernd in Nachrichten thematisiert und auch viele Chilen*innen selbst beantworten einem ausführlich Fragen dazu. Als besonders unsicher gelten die Kommunen Puente Alto, eine Vorstadt von Santiago, Teile der Kommune Maipú im Südwesten Santiagos und Teile des Zentrums von Santiago wie die Gegend um die Estación Central und den Plaza de Armas. Meine Empfehlung wäre, sich vor Ort in Chile ein eigenes Bild zu machen. Nach Maipú und Puente Alto bin ich letztlich nicht gefahren, im Stadtzentrum war ich schon einige Male. Mir ist in Chile nie etwas passiert. Als generelle Tipps gelten aber, nicht unnötig bei Dunkelheit/nachts auf die Straße zu gehen und nachts nach Möglichkeit mit einem Uber nach Hause zu fahren. In meiner Kommune Providencia habe ich mich eigentlich genauso sicher wie in Deutschland gefühlt, auch bei Dunkelheit. Das Leitungswasser halte ich für trinkbar. Wer im Winter in Chile ist, der sollte je nach Temperaturempfindlichkeit darauf achten, dass die eigene Unterkunft über eine Heizung verfügt. Dies ist in Chile nicht selbstverständlich.
Es ist vielleicht nicht ganz einfach, in Chile nachhaltig zu leben. Die weite Ausdehnung des Landes kann schnell Inlandsflüge notwendig erscheinen lassen, Mülltrennung findet nur eingeschränkt statt und nicht immer werden vegetarische oder vegane Optionen angeboten. In Providencia gab es aber schon eine sehr große Anzahl an Restaurants und Fast-Food-Optionen, normalerweise auch mit vegetarischen Optionen. Jedenfalls der öffentliche Nahverkehr in Santiago sollte so gut sein, dass man kein Auto braucht, ob dies auch für entlegenere Stadtteile gilt, weiß ich nicht. Der Grad der Luftverschmutzung in Santiago ist hoch.
Die Lebenshaltungskosten in Santiago fand ich ähnlich hoch wie in Deutschland, einzig den Mobilfunk und das allgemeine Mietniveau fand ich merklich günstiger als in Deutschland. Ein ausländisches Konto braucht man nicht zu eröffnen. International einsatzfähige Kreditkarten sind völlig ausreichend. In Santiago selbst gibt es nur wenige Regentage. Wenn es mal regnet, erzeugt dieses Ereignis häufig große öffentliche Aufmerksamkeit.
3. Fazit
Für mich persönlich war das Auslandssemester eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Neben den beschriebenen fachlichen Gewinnen schätzte ich vor allem die Vielfalt an neuen Erfahrungen, die mir das Auslandssemester bot. Vor dem Aufenthalt in Chile war ich noch nie außerhalb Europas. Aufgrund meines vertieften Interesses am internationalen öffentlichen Recht und Themen wie Menschenrechten, Umwelt- und Klimagerechtigkeit, dem humanitären Völkerrecht, feministischer Außenpolitik, Gleichberechtigung oder nachhaltiger Entwicklung, die nach meiner Auffassung nicht ohne gebührende Berücksichtigung des Globalen Südens gedacht werden können, hatte ich den starken Wunsch, ein Auslandssemester in einem Land des Globalen Südens zu machen, um genuine Erfahrungen vor Ort mit den Menschen und in dem Land zu machen. Ich denke, dies ist mir sehr gelungen. Ich habe gelernt, sich in einem für Deutsche weit entfernten Land auf einem anderen Kontinent selbstständig zurecht zu finden. Zudem konnte ich tiefe Freundschaften mit Chilen*innen schließen. Weiterhin schätzte ich besonders das Eintauchen in eine andere Kultur, von der ich für mein persönliches Leben ein paar Aspekte mitnehmen möchte. Wer also Interesse an einer anderen Kultur hat, fachlich über den Tellerrand blicken möchte, sich persönlich weiterentwickeln möchte, oder aus was für Gründen auch immer über ein Auslandssemester nachdenken sollte, dem kann ich nur zu dieser Entscheidung raten. Während der Planung und des Aufenthalts in Chile gab es immer Ansprechpartner*innen für Fragen. Nur wer schon vorher weiß, dass einem eine sehr offene und herzliche Kultur, in der man auch mal von Unbekannten angesprochen wird, gar nicht liegt, der sollte sich vielleicht nicht für Chile als Zielland entscheiden. Alle Nachfragen beantworte ich gerne per E-Mail. Meine E-Mail kann man auf Anfrage vom Internationalen Büro der Universität Jena bekommen.