Blick über Gwangju von Mudeungsan

Chonnam National University

Wintersemester 2023/24 und Sommersemester 2024
Blick über Gwangju von Mudeungsan
Foto: Moritz, Uni Jena
  • Chonnam National University

Meldung vom:

Moritz, Master Psychologie

Was als nicht mehr als ein abwegiges Gedankenspiel begann, entwickelte sich zu einer der wertvollsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens. Ein Jahr lang studieren in Südkorea, am anderen Ende der Welt, fernab von daheim, Familie, Freunden und allem, was vertraut ist, in eine neue Kultur eintauchen und sich selbst in Diskrepanz zur bekannten Lebensumwelt weiterentwickeln – dies alles schien mir abenteuerlich, um nicht zu sagen, unrealistisch. Sollte ich mich wirklich dieser Herausforderung stellen? Doch wie so oft im Leben, sind die wahrhaft bedeutsamen Dinge nicht ohne Risiko zu gewinnen. Deshalb möchte ich in diesem Bericht darlegen, wieso es sich lohnt, die Herausforderung eines Austauschstudiums an der Chonnam National University auf sich zu nehmen und Hilfestellungen geben, wie man den Alltag souverän bewältigt.  

Vor der Abreise

Doch bevor die Reise beginnen kann, müssen einige Formalien erfüllt werden. Sämtliche relevante Formulare sind auf der Website des Internationalen Büros aufgeführt und ihre Bearbeitung recht selbsterklärend. Sollten dennoch Unsicherheiten bestehen, hilft das Internationale Büro, das mir stets bei Fragen zur Seite stand.  

Einzig das Empfehlungsschreiben bereitete mir zunächst Kopfschmerzen, da ich abseits von Vorlesungs- und Seminarbesuchen kaum Beziehungen zu Mitarbeitern der Universität hatte. Letztlich war es der Betreuer meiner Bachelorarbeit, der mir freundlicherweise mein Empfehlungsschreiben ausstellte. Wie sich später jedoch in Gesprächen herausstellte, geizen viele Vorlesungsverantwortliche nicht mit Empfehlungen, selbst wenn sie die Eignung eines Studenten tatsächlich kaum beurteilen können. Wenn ihr euch also nicht sicher seid, wer für die Ausstellung eures Empfehlungsschreibens in Frage kommen könnte, versucht euer Glück einfach bei einem Professor, der euch freundlich und nahbar erscheint.

Für die Beantragung des Visums empfiehlt sich zeitnahes Handeln. Je nach Zeit des Jahres unterscheidet sich der Andrang auf die Koreanische Botschaft und so kann der Bearbeitungszeitraum zwischen wenigen Wochen bis Monaten variieren. Solltet ihr zudem einen Reisepass benötigen, der für die Gewährung des Visums notwendig ist, beantragt zeitig, denn auch der kann unter Umständen ewig auf sich warten lassen.

Gleiches gilt für die Beantragung eines Stipendiums. Ich selbst habe diese versäumt, aber wie ich hörte, ist der Erhalt von Fördergeldern bei zeitgemäßer Initiative sehr realistisch. Doch selbst ohne Stipendium lässt es sich mit angemessenen Ersparnissen gut in Korea leben. Südkorea ist kein teures, im deutschen Vergleich sogar günstiges Land. Sehe man von Reise- und Vergnügungskosten ab, könnte man das Austauschstudium also fast als Sparmaßnahme betrachten.

Meer bei Mokpo

Foto: Moritz, Uni Jena

Nach der Ankunft

Eine Kennenlernfrage, die man oft von Koreanern hört, ist die nach den ersten Eindrücken des Landes oder „Kulturschocks“. Tatsächlich waren meine Antworten darauf selten aufregend, denn meine Ankunft in Incheon und Seoul gestaltete sich ohne große Überraschungen. Sicher, die Häuser waren etwas höher als gewohnt, ebenso die Luftfeuchtigkeit, und niemand sprach mehr Deutsch, doch das war wenig verwunderlich. Nach kurzer Orientierung ist das öffentliche Verkehrssystem (in den Städten stets auch auf Englisch beschildert) intuitiv und die Reise kann unbeschwert fortgehen. Dennoch gibt es manche Besonderheit, die Erwähnung erfordert sowie Ratschläge, die den Einstieg ins Unbekannte deutlich erleichtern.

Zuerst kann es hilfreich sein, sich im Vorhinein mit anderen Austauschstudenten zu vernetzen und gegebenenfalls gemeinsam anzureisen. In guter Gemeinschaft fühlt sich der mühsame Weg über den halben Globus beinahe wie eine Urlaubsreise an, insbesondere wenn man sich die Zeit nimmt, etwas vor Semesterbeginn anzureisen und einige Tage der Erkundung Seouls zu widmen.

Einer der ersten Schritte nach Ankunft in Incheon sollte der Erwerb der sogenannten „T-Money Card“ sein, die für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel praktisch unabdingbar ist. Die T-Money Card ist in sämtlichen Convenience Stores (Seven-Eleven, CU, GS25 etc.) in mannigfaltigen Designs erwerblich und mit Geld aufladbar. Notfalls sind Busse und die Ticket-Automaten der U-Bahnen auch unter geringem Aufpreis bar zu bezahlen, dennoch empfiehlt es sich, nach Bequemlichkeit stets genügend Geld auf der T-Money Card geladen zu haben (was nebenbei nicht viel sein muss, denn der öffentliche Verkehr ist in Korea sehr erschwinglich).  

Außerdem empfiehlt sich der Download einiger Apps, die speziell für das koreanische Inland entwickelt worden und deren in Deutschland gebräuchliche Pendants in Korea oftmals völlig unbrauchbar sind. Darunter zählen der Übersetzer „Papago“ (der auf Koreanisch oft natürlichere Texte produziert als der Google-Übersetzer), „Kakao“- oder „Naver-Maps“ (Navigationsapps, vergleichbar mit Google-Maps, welches in Korea jedoch nicht zuverlässig funktioniert), sowie „Kakao-Talk“ (das koreanische Whatsapp, das im Kontakt mit Koreanern unabdingbar ist).

Gwangju Campus

Foto: Moritz, Uni Jena

Studieren an der CNU

Von Seoul aus gelangte ich in wenigen Stunden Zugfahrt bis Gwangju. Alternativ ist ein Fernbus zu empfehlen, der zu günstigerem Preis mit vergleichbarer Fahrzeit aufwartet. Auch über den Luftweg kann die Reise bestritten werden, jedoch ist aufgrund der kurzen Strecke nur eine geringe, kaum lohnenswerte Zeitersparnis zu erwarten.

In Gwangju angekommen, begab ich mich zum Wohnheim der Universität und wurde durch meinen Buddy (einem Studenten der CNU, der mit eurer Einführung und Bespaßung betraut ist) mit den hiesigen Einrichtungen vertraut gemacht. Das Wohnheim selbst wirkt aufgrund seiner Zweierzimmer, der zahlreichen Hausregeln sowie der Ausgangssperre zunächst wenig attraktiv, doch ist meiner Erfahrung nach die optimale Unterkunft während des Auslandsstudiums. Die Nähe zu Cafeteria, dem kostenfreien Fitnessstudio, den Bibliotheken und den Vorlesungen ist ein ausschlaggebender Grund. Am wichtigsten jedoch empfand ich die Kontakte zu internationalen wie koreanischen Studenten, die sich durch Unterbringung im Wohnheim und das gemeinsame Speisen in der zweckmäßig-guten Mensa praktisch von allein ergeben.

Auch wenn mir mein Auslandsjahr nicht zuvorderst in akademischer Bildung wertvolle Lektionen lehrte, möchte ich das Studium an der CNU nicht als Nebensache abtun. Solltet ihr planen, euch Kurse anrechnen zu lassen, macht euch gründlich mit dem englischsprachigen Kursprogramm vertraut, welches leider nur für ausgewählte Studiengänge umfangreiche Auswahl bietet (es seid denn, ihr sprecht fließend Koreanisch). Studenten von englischer Sprache und Literatur, von Wirtschaftswissenschaft und Management sowie von Ingenieurswissenschaften haben eine breite Auswahl an englischsprachigen Kursen und dürften keine Probleme haben, passende Module zu finden. Studenten anderer Fächer jedoch finden bestenfalls vereinzelt passende Veranstaltungen und müssen nach eigenem Interesse fachfremde Disziplinen erkunden oder sich dem Studium der koreanischen Sprache widmen.

Abseits der Vorlesungen jedoch bot die CNU ein breitgefächertes Angebot von Events und Uni-Clubs, in dem jede Interessengruppe fündig werden dürfte. Das Studentenleben in Korea ist zutiefst durch universitäre Freizeitveranstaltungen und Clubs geprägt. Alljährlich finden auf dem Campusgelände kleinere Festivals statt, bei denen die Uni-Clubs Live-Darbietungen wie Gesang oder Tanz zuschaustellen und verschiedenste Essensstände Streetfood-typische Speisen feilbieten. Selbst berühmte Künstler finden gelegentlich ihren Weg auf den Campus, um ein kostenfreies Konzert zu spielen. In meiner Studienzeit gelang es mir unter anderem Psy zu freiem Eintritt zu sehen, einen weiteren New Jeans Auftritt verpasste ich unter großem Bedauern.

Eine besondere Empfehlung möchte ich für die Mitgliedschaft an einem oder gleich mehreren Uni-Clubs (sog. Dong-ari/ 동아리) aussprechen. Ihr werdet keine bessere (um nicht zu sagen, keine andere) Gelegenheit finden, intensive Freundschaften mit Koreanern zu knüpfen! Das Angebot ist hierbei dermaßen breitgefächert, dass jede noch so exotische Interessens-Nische abgedeckt ist. Sportvereine, Sprachaustausch, Filmclubs, E-Sportsteams, Lesezirkel, Bastelkreise, ja sogar (mitunter recht dubiose) Religionsgemeinschaften werden angeboten. Ich selbst war Mitglied zweier 동아리, darunter einem Kampfsportteam (der BJJ-Verein „기백“), dessen Beitritt ich als die beste Entscheidung meines Auslandsjahres hervorheben möchte. Eine weitere Empfehlung ist der Chonnam-International-Club (CIC), der internationale und koreanische Studenten für Tagestrips, Sprachaustausch und (nicht zuletzt) Feiern vernetzt. Die Clubs stellen sich zu Beginn jedes Semesters auf einem Festival vor, wo sie für Mitglieder werben. Solltet ihr Interesse hegen, lasst euch nicht davon einschüchtern, dass ihr möglicherweise der einzige Ausländer des Vereins seid. Natürlich ist zumindest passables Koreanisch Beitrittsvoraussetzung mancher Clubs.

Baseball-Stadion von Gwangju

Foto: Moritz, Uni Jena

Sonstige Empfehlungen

Auch wenn Gwangju weit weniger turbulent ist als Seoul, muss man sich nicht langweilen. Die Stadt bietet etliche Museen, Parks und Sehenswürdigkeiten, sowie eine lebendige Baseball-Szene und Gelegenheiten zum Feiern. Wen es in die Natur treibt, findet auf dem Berg Mudeung-San (무등산) Ruhe vom Großstadttrubel und eine großartige Aussicht über ganz Gwangju. Wer das Meer den Bergen vorzieht, erfreut sich an den nahegelegenen Küstenstädten Yeosu und Mokpo, beide in einer knappen Stunde per Bus erreichbar. Aber auch wer sich nach Großstädten wie Seoul oder Busan sehnt muss nicht verzagen, denn aufgrund der geringen Landesgröße sind auch diese mit einer etwa dreistündigen Busfahrt zu erreichen und daher bestens für Wochenendtrips geeignet.

Gwangju, beziehungsweise dessen Provinz Jeollanam-Do, ist zudem für seine besonders gute Küche bekannt. Zwar kann ich nicht bestätigen, dass das Essen in Gwangju besser sei als in anderen Provinzen, gut ist es jedoch allemal. Neben international-bekannten Klassikern wie Samgyeopsal/ 삼겹살 (auch K-BBQ), Tteokbokki/ 떡볶이 oder Dak-galbi/ 닭갈비 habe ich Jjim-dak/ 찜닭, Budae-jjigae/ 부대찌개 und (das strenggenommen chinesische) Malatang/ 마라탕 besonders genossen. Allen Vegetariern und Veganern, die Korea zu besuchen gedenken, möchte ich hingegen mein herzliches Beileid aussprechen.   

Ein für Studenten aus Deutschland attraktives Angebot ist der Deutsch-Koreanische-Stammtisch, der einmal pro Woche stattfindet und bei dem sich Studenten aus Korea und Deutschland in entspannter Café-Atmosphäre kennenlernen und austauschen können (ähnlich dem Stammtisch in Jena, dessen Besuch ich jedem Korea-Interessierten nahelegen kann). Hierbei entwickelten sich für mich einige der bedeutsamsten Freundschaften meines Auslandsjahres. Die dortigen Bekanntschaften haben zudem den Vorteil, dass sie häufig Germanistik bzw. Deutsch als Fremdsprache studieren, es also sehr wahrscheinlich ist, sie früher oder später in Deutschland wiederzusehen. 

Zuletzt will ich die vielleicht unangenehmste Frage adressieren: Wie wichtig sind Sprachkenntnisse für das Studium in Korea? Das hängt ganz von der Erfahrung ab, die man sich erhofft. Auch wer gänzlich auf Sprachkenntnisse verzichtet, kann eine tolle Zeit mit anderen internationalen Studenten verbringen und sogar einige englischsprachige koreanische Bekanntschaften schließen. Auch im Alltag wird man sich wohl zumeist zurechtfinden, denn in der Öffentlichkeit sind koreanische Schriftzüge nicht selten auch englisch untertitelt oder bebildert. Wer jedoch plant, tiefere Freundschaften mit Koreanern aufzubauen, einem der Uni-Clubs beizutreten, auch das ländliche Korea zu entdecken oder gar koreanische Vorlesungen zu besuchen, dem sind gute Koreanischkenntnisse angeraten. Zumindest jedoch der Erwerb des koreanischen Alphabets 한글 ist jedem, der eine Koreareise erwägt, anzuraten und sollte in wenigen Lernstunden möglich sein.

Fazit

Trotz anfänglicher Zweifel wagte ich den Sprung ans andere Ende der Welt und musste feststellen, wie sich all meine Bedenken nach und nach verflüchtigten. Stattdessen fand ich in Südkorea unvergessliche Erinnerungen, nachhaltige Freundschaften aus aller Welt und jede Menge Selbstentwicklung, die mich mehrere Jahre akademischen Studiums nicht haben lehren können. Wer also mit dem Gedanken spielt, ein Auslandsjahr an der Chonnam National University zu verbringen, doch von Bedenken zurückgehalten wird, möchte ich ermutigen, den Schritt zu wagen. Kaum eine Erfahrung hat mein Leben bereichert wie diese!