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Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
„ReformStress. Jenaer Lehrkräfte und die Transformation des Schulwesens vor und nach 1989“, so heißt der neue Band in der Reihe „Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte“, den Emilia Henkel und der Stadthistoriker Dr. Rüdiger Stutz gemeinsam herausgegeben haben. Auf 271 Seiten sind Beiträge von neun Autorinnen und Autoren versammelt, die jene turbulente Umbruchszeit beleuchten, an deren Ende die heutige bunte und vielfältige Jenaer Schullandschaft steht. „Die Beiträge spiegeln subjektive Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrer wider und zugleich die umfassenden Strukturwandelprozesse, die teilweise bis heute nicht abgeschlossen sind“, sagt Emilia Henkel. Die Historikerin von der Friedrich-Schiller-Universität Jena verweist auf die enormen Herausforderungen für Lehrerinnen und Lehrer angesichts eines immensen Veränderungsdrucks, dem sich das Gesamtsystem Schule ausgesetzt gesehen habe.
Eine „chaotische Zeit voller Verunsicherungen“
„In seiner Grundstruktur ist das Modell Schule von hoher Kontinuität gekennzeichnet“, sagt Emilia Henkel. Das gelte grundsätzlich für die Art des Unterrichts, die Einteilung in Klassen und weitgehend für die Auswahl der Lehrfächer und deren Bewertung. In der Umbruchszeit, die im Band bereits vor 1989 einsetzt, prasselte dann eine Flut von Veränderungen auf die Schulen und ihre Lehrkörper ein. Vordergründig ging es darum, das DDR-System von Polytechnischer Oberschule (POS) und Erweiterter Oberschule (EOS) in das Schulsystem der Bundesrepublik zu überführen. Für Thüringen war dabei Hessen vorbildgebend, zugleich suchten engagierte Pädagoginnen und Pädagogen eigene Reformideen umzusetzen. Dieser Strukturwandel wurde von mannigfachen Veränderungen flankiert. Da ging es um die Frage, welche Schulen weitergeführt würden, mit welchem Schultyp und welchem Kollegium. Da wurden Pädagoginnen und Pädagogen auf ihre fachliche Eignung überprüft, auf Systemnähe oder Kollaboration mit der Staatssicherheit. Da gab es sinkende Schülerzahlen und Eltern, deren berufliche Umorientierung alle Ressourcen band. Gleichzeitig verließen gerade junge Familien in großer Zahl die neuen Länder, war die Geburtenrate auf einem Tiefpunkt und bildete sich eine gewaltbereite rechte Jugendkultur aus. „Viele Lehrerinnen und Lehrer erlebten diese Umbruchszeit als chaotisch, als eine Zeit großer Verunsicherung“, sagt Emilia Henkel. Diese Einschätzung beschränke sich keineswegs nur auf die direkte „Wendezeit“, sondern beschreibe eher eine lange Phase, die bereits vor 1989 eingesetzt hatte.
Beharrungskräfte selbst über Systemgrenzen hinweg
Unter dem Titel „Besondere Vorkommnisse“ betrachtet Jürgen Wolf das „Zusammenwirken der Organe“ an Jenaer Schulen in den 1980er Jahren. Katharina Kempken vom Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ schreibt über Reforminitiativen Jenaer Lehrkräfte 1989/90 und Anna Dünkel skizziert den Werdegang der Stadtschulrätin Sieglinde Schubert. Über „Praxis und Spezifika“ der Überprüfungen des Lehrpersonals in Sachsen und Thüringen schreiben Rüdiger Stutz und Erik Fischer. Thomas Ahbe beleuchtet in seinem Beitrag die DDR-Schulbildung und Personalüberprüfung nach 1990 und Barbara Krug erkundet Handlungsspielräume von Berufsbiografien im Grundschullehramt. Der speziellen Gruppe der Staatsbürgerkundelehrer widmet sich Thomas Priese und Emilia Henkel schließlich sieht „Midager“ unter Reformstress, sie schaut sich die Berufsbiografien der ersten nach 1990 ausgebildeten Generation von Gymnasiallehrerinnen und -lehrern in Jena an. Insgesamt beleuchten die Autorinnen und Autoren ein System, das sich permanent einem Reformdruck ausgesetzt sieht und dennoch enorme Beharrungskräfte besitzt, selbst über Systemgrenzen hinweg.
Bibliographische Angaben:
Emilia Henkel, Rüdiger Stutz (Hg.), „ReformStress. Jenaer Lehrkräfte und die Transformation des Schulwesens vor und nach 1989, Verlag Städtische Museen Jena, Jena 2024, 271 Seiten, Preis 17,80 Euro, ISBN: 978-3-949860-10-2