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Meldung vom: | Verfasser/in: Ralf Berhorst
Prof. Dr. Janine George von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) erhält vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen Starting Grant in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro. Diese Förderung unterstützt für fünf Jahre ihr Forschungsprojekt „Multibonds“, das auf ein grundlegend neues Verständnis der Zwei- und Mehrzentrenbindungen bei anorganischen Substanzen zielt. Die Erkenntnisse sind entscheidend, um z. B. maßgeschneiderte Materialien für die Energiewende entwickeln zu können.
Es sind die chemischen Bindungen zwischen Atomen, die über die Eigenschaften eines Materials entscheiden, etwa über die Härte eines Kristalls oder die Wärmeleitfähigkeit oder den Magnetismus eines Metalls. „Seit rund hundert Jahren untersucht die Chemie diese Bindungen, um aus ihnen feste Regeln für die Materialeigenschaften abzuleiten“, erklärt Janine George, die an der BAM die Nachwuchsgruppe Computergestütztes Materialdesign leitet und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Professorin für Materialinformatik tätig ist.
Bereits im vergangenen Jahr wurde George für ihre innovative Forschung, wie sich mit Hilfe Künstlicher Intelligenz und quantenmechanischer Berechnungen die Entwicklung neuer Materialien beschleunigen lässt, durch die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet.
Bisher unvollständiges Verständnis der chemischen Bindung
Besondere Relevanz hat diese Forschung für Bestrebungen, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. „Bisher ist es nur sehr eingeschränkt möglich, maßgeschneiderte Werkstoffe mit bestimmten Eigenschaften, etwa für leistungsstärkere und gleichzeitig nachhaltige Batterien oder für effizientere Solarzellen, zu entwickeln“, erklärt Janine George. „Der Grund ist unser immer noch sehr unvollständiges Verständnis der chemischen Bindung in anorganischen Materialien wie Metallen, Gläsern, Kristallen. Für die meisten Materialeigenschaften fehlen schlicht nachvollziehbare Regeln. Das limitiert unsere Möglichkeiten, maßgeschneiderte Materialien zu entwerfen.“
Mehrzentrenbindungen für Materialeigenschaften entscheidend
Die aussagekräftigste Methode, Bindungen zwischen Atomen zu analysieren, ist die Quantentheorie, wie Janine George und ihr Team bereits erfolgreich an Bindungen zwischen zwei Atomen nachweisen konnten. Mehrzentrenbindungen, an denen drei oder mehr Atome beteiligt sind, spielen jedoch vermutlich ebenfalls eine große Rolle für die Eigenschaften eines Materials. Sie sind beispielsweise für die Superhärte von borhaltigen Verbindungen verantwortlich, die als Schneid- und Bohrwerkzeuge für industrielle Anwendungen, in Triebwerkskomponenten in der Luft- und Raumfahrt oder bei chirurgischen Werkzeugen zum Einsatz kommen.
Beschleunigte Entwicklung maßgeschneiderter Materialien
Auf das Verständnis dieser Mehrzentrenbindungen zielt das neue Projekt „Multibonds“ an der BAM, dem jetzt ein ERC Starting Grant zuerkannt wurde. „Wir wollen automatisierte quantenchemische Methoden entwickeln, um mit ihnen Mehrzentrenbindungen in großem Maßstab analysieren zu können“, so George. „Die so erstellte Datenbank nutzen wir dann, um mit Hilfe des maschinellen Lernens neuartige Modelle zu entwickeln, mit denen wir Vorhersagen treffen können, wie sich innovative Werkstoffe verhalten. Mit ihnen wollen wir schließlich zu intuitiv verständlichen und universell gültigen Regeln zum Verhältnis zwischen Bindungen und Materialeigenschaften gelangen, um in Zukunft die Entwicklung neuer Materialien deutlich beschleunigen zu können.“
ERC Starting Grants
ERC Starting Grants zählen zu den höchsten europäischen Auszeichnungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie ermöglichen Spitzenforschung und zielen darauf ab, herausragende und bahnbrechende Projekte in allen wissenschaftlichen Disziplinen zu finanzieren. Starting Grants werden an Nachwuchsforschende vergeben, die ihre eigene unabhängige Forschungsgruppe auf- und ausbauen möchten. Die ERC-Förderung basiert auf wissenschaftlicher Exzellenz als einzigem Auswahlkriterium. Vergeben wurden in diesem Jahr 494 Starting Grants an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Europa. Insgesamt wurden 3474 Projekte zur Förderung beim ERC eingereicht. Nach Deutschland gehen in diesem Jahr 98 Starting Grants. EU-Kommissarin Iliana Ivanova, zuständig für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend sowie für das Programm „Horizon Europe“ erklärt zur diesjährigen Vergabe der ERC Starting Grants: „Die Europäische Kommission ist stolz darauf, die Neugierde und Leidenschaft unserer Nachwuchstalente im Rahmen des Programms Horizon Europe zu unterstützen. Die neuen Gewinner der ERC Starting Grants wollen unser Verständnis der Welt vertiefen. Ihre Kreativität ist entscheidend, um Lösungen für einige der dringendsten gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Ich freue mich, dass bei diesem Call der Anteil der weiblichen Stipendiaten mit am höchsten ist – ein Trend, der sich hoffentlich fortsetzen wird. Herzlichen Glückwunsch an alle!“
Der European Research Council (ERC)
Der ERC, der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er finanziert kreative Forschende aller Nationalitäten und Altersgruppen, die europaweit Projekte durchführen. Der ERC bietet vier Kernförderprogramme an: Starting Grants, Consolidator Grants, Advanced Grants und Synergy Grants. Der ERC ist Teil des Programms Horizon Europe.