Bach im Winter.

Wissenschaftliche Begleitung der ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse

Interview mit Julia von Gönner, Roland Bischof, Dr. Martin Friedrichs-Manthey und Prof. Dr. Aletta Bonn, Forschungsgruppe Biodiversität und Mensch (UFZ, iDiv, Uni Jena)
Bach im Winter.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Meldung vom: | Verfasser/in: Christine Coester
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Im Rahmen der ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsseExterner Link, die von Mai bis Ende Oktober 2024 stattfindet, begleiten Forschende der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) mit dem Team um Prof. Dr. Aletta Bonn die Untersuchungen der Lebensraumqualität kleiner Fließgewässer in Deutschland. Die ARD holte sich die Expertise der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihr Projekt, da diese bereits im Citizen-Science-Projekt FLOWExterner Link mit geschulten Bürgerforschenden Daten über kleine Bäche sammeln.

Am 21. Oktober wurden der ARD-FilmExterner Link über die Mitmachaktion ausgestrahlt und die finalen Ergebnisse auf der Webseite veröffentlicht. In einem Interview berichten die Forschenden von ihren Erfahrungen mit der Mitmachaktion. 

Zahlreiche Daten über Bäche gesammelt

#unsereFlüsse zielt darauf ab, mehr Wissen über den ökologischen Zustand von Bächen und kleinen Flüssen in Deutschland zu gewinnen und Interesse für diese Gewässer zu wecken. Im Mai 2024 hat ARD-Tagesthemen-Sprecherin Jessy Wellmer dazu aufgerufen, sich die Bäche vor der Haustür einmal genauer anzusehen und die Beobachtungen über die Struktur, Ufer-, Sediment- und Wasserbeschaffenheit der kleinen, aber wichtigen Fließgewässer einzureichen. 2.700 engagierte Menschen – Naturfreundinnen und -freunde, Anglerinnen und Angler, Schülerinnen und Schüler, Pfadfinderinnen und Pfadfinder und viele andere – haben bisher mitgemacht und Datensätze sowie über 10.000 Bilder eingereicht.

Welche wissenschaftlichen Fragen kann eine Mitmachaktion beantworten?

Mitmachaktionen wie #unsereFlüsse können wertvolle Daten liefern, vor allem über große geographische Räume, und unter aktiver Mitwirkung vieler Beteiligter. „Fließgewässer sind unsere Lebensadern. Sie bieten Lebensraum für tausende Pflanzen- und Tierarten und sie tragen zur Wasserversorgung und auch Hochwasserschutz bei. Aber während die großen Flüsse regelmäßig untersucht werden, wissen wir weniger über die kleinen Bäche. Dabei machen kleine Bäche zwei Drittel unseres Fließgewässernetzes in Deutschland aus – hier setzt unsere Forschung an“, erklärt Aletta Bonn. 

Mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie haben wir ein gut strukturiertes Monitoring der großen Flüsse mit fixen Messpunkten“, erklärt Dr. Martin Friedrichs-Manthey. „Aber bei der Mitmachaktion #unsereFlüsse war es uns wichtig, dass die Teilnehmenden kleine Bäche von 1-3 m Breite untersuchen und flexibel entscheiden können, wo sie ihre Bäche beschreiben, damit viele Menschen spontan mitmachen können. Die große Anzahl an Datenpunkten, über ganz Deutschland verteilt, schafft einen guten Einblick in die Lebensraumqualität kleiner Bäche.

Zwei Drittel der bisherigen Meldungen liegen im Flachland (bis 200 Meter) und ein Drittel im Mittelgebirge. Deshalb seien laut den Forschenden die großen Ökoregionen Deutschlands, wie das Norddeutsche Tiefland und das Mittelgebirge, gut vertreten. Insgesamt waren die Hälfte aller #unsereFlüsse-Zusendungen von Bächen, zu denen noch keine amtlichen Daten vorliegen.

Wie bei jeder Forschung, ist auch bei einer Mitmachaktion die wissenschaftliche Integrität und Qualität der Daten entscheidend. Die Daten müssen sorgfältig gesammelt und analysiert werden, um verlässliche Ergebnisse zu gewährleisten. Um allen Interessierten die Teilnahme zu ermöglichen, haben die Forschenden daher viel Mühe in das Untersuchungsdesign gesteckt: „Wir haben zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der ARD-Redaktion den recht anspruchsvollen Fragebogen unseres Citizen-Science-Projektes FLOW für die Mitmachaktion #unsereFlüsse angepasst, gekürzt und verständlich gemacht, um viele Menschen zu motivieren, sich auch ohne Vorwissen und mit weniger Zeit bei der Mitmachaktion zu engagieren“, erklärt Julia von Gönner, die jüngst für dieses Engagement ausgezeichnet wurde. „Der Fokus wurde auf Bestandteile der Lebensraumqualität wie den Uferbewuchs und die Form des Baches gelegt, da man diese gut vom Gewässerrand beobachten und mit Fotos protokollieren kann“, sagt die Jenaer Doktorandin. 

Es ist uns wichtig, dass die Mitmachaktion gut strukturiert ist, um valide Daten zu erhalten. Unsere Rolle bei der Mitmachaktion ist es, Evidenz zu liefern, auch wenn diese natürlich weniger vertieft als bei einem stringenten wissenschaftlichen Monitoring erhoben wird“, sagt Martin Friedrichs-Manthey. 

Dabei ist es wichtig, dass die Daten durch standardisierte Methoden und regelmäßige Validierung überprüft werden. Roland Bischof erklärt, wie das bei der Mitmachaktion gemacht wird: „Wir validieren alle Einsendungen, die jeweils etwa drei bis vier Fotos enthalten, was insgesamt etwa 10.000 Bilder ergibt. Diese Plausibilitätsprüfung anhand von Fotos ist uns wichtig, auch wenn solch eine Validierung natürlich viel Zeit und Arbeit kostet.“ 

Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?

Die Auswertung der #unsereFlüsse-Datensätze zeigt, dass insgesamt etwa drei Viertel der erfassten Bäche Defizite in der Lebensraumqualität aufweisen“, sagt Roland Bischof. „Dabei sind die wichtigsten Faktoren Begradigung, fehlender Uferbewuchs und fehlende Gewässerrandstreifen.“

Etwa 40 Prozent der untersuchten Bachabschnitte sind begradigt, und ein Drittel haben stellenweise oder durchgehend befestigte Ufer“, fügt Julia von Gönner hinzu. „Fast die Hälfte der erfassten Bachabschnitte hat keinen oder einen nur lückigen Gewässerrandstreifen. Die Hälfte der untersuchten Bäche hat ein monotones Strömungsbild; ein Drittel der erfassten Bäche weist einen verschlammten oder sehr einförmigen Gewässergrund mit geringer Vielfalt an Substraten auf. Das sind keine guten Nachrichten für die aquatische Flora und Fauna, da verschiedene Insektenlarven und Fische eine Vielfalt an Lebensräumen in und an den Fließgewässern brauchen.“

Martin Friedrichs-Manthey ergänzt: „Dazu kommt, dass ein Drittel der untersuchten Bachabschnitte Wanderhindernisse aufweist. Einige wenige Abschnitte waren sogar komplett verrohrt. Bäche sind als Oberläufe von Flüssen wichtige Laichgebiete für Insekten und Fische, und Querbauwerke schränken die Mobilität ein.“ 

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Flachland mehr Bäche eine schlechte Lebensraumqualität aufweisen als im Mittelgebirge. Im Mittelgebirge gibt es häufiger eine extensivere Landwirtschaft, weniger dichte Bebauung sowie mehr Naturschutz und Naherholungsgebiete.

Die #unsereFlüsse-Ergebnisse sind mit Daten aus anderen Studien vergleichbar“, erklärt Aletta Bonn. „Das Umweltbundesamt berichtet, dass 80 % der Flüsse deutlich bis stark verändert sind. Auch unser Citizen-Science-Projekt FLOW mit bundesweit 137 Probestellen zeigt, dass 65 % aller Bäche eine nur unzureichende Gewässerstruktur haben. Das nationale Kleingewässermonitoring des UFZ zeigt, dass eine verarmte Gewässerstruktur – nach Pestizidbelastung und Sauerstoffmangel – der drittstärkste Belastungsfaktor für Insekten in Tieflandbächen ist. Wichtig ist, dass wir jetzt durch die ARD-Aktion für viele weitere Bäche Daten zur Lebensraumqualität haben, welche Ergebnisse voriger Studien bekräftigen.“

Die Rolle der Mitmachaktion in der Aufklärung über Natur und Flüsse

Mitmachaktionen können eine wichtige Rolle in der Bildung für Natur und Umwelt spielen, im Fall von #unsereFlüsse über Deutschlands Bäche und kleine Fließgewässer. 

Durch die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit können die Forschenden nicht nur wertvolle Daten sammeln, die zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen, sondern auch das Bewusstsein für Deutschlands Flüsse und Umweltprobleme allgemein schärfen: „Wir möchten Menschen mit unterschiedlichem Wissen und Hintergründen für die Gewässer-Beobachtung gewinnen und motivieren, rauszugehen und ihre Bäche anzuschauen“, sagt Julia von Gönner. 

Bei der Mitmachaktion nehmen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Bach auch mit all ihren Sinnen wahr, zum Beispiel: Wie rauscht der Bach oder wie plätschert der Bach? Solche Fragen in einen wissenschaftlichen Fragebogen mit aufzunehmen, war am Anfang für uns ungewöhnlich, berichten die Forschenden. „Aber letztendlich geht es in der Mitmachaktion auch um dieses Naturerlebnis“, so Julia von Gönner.

Die Mitmachaktion #unsereFlüsse soll das Verständnis und die Wertschätzung für die natürlichen Ressourcen fördern und Menschen motivieren, sich für den Schutz und die Verbesserung der ökologischen Funktionen unserer Gewässer einzusetzen, erklären die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Dieses Thema, dieses gemeinsam Sehen und Erkennen lernen, ist die Grundlage für gemeinsames Handeln: Nur was man kennt, kann man auch schützen. Gleichzeitig entsteht ein ‘Wir-Gefühl’, ein gemeinsames Bewusstsein", fügt Aletta Bonn hinzu. „Uns haben auch viele Zuschriften von Teilnehmenden erreicht, die sich gerne für die Wiederherstellung ihres Bachs einsetzen möchten. Durch aktive Teilhabe möchten wir auch die Nationale Wasserstrategie und das neue Renaturierungsgesetz [Nature Restoration Law] unterstützen.

Wie geht es weiter?

Der begleitende Film "#Unsere Flüsse. Wie retten wir Deutschlands Lebensadern?"Externer Link wurde am 21. Oktober in der ARD ausgestrahlt. Weitere und detaillierte Analysen, zum Beispiel zu Gewässerrandstreifen und Beschattung, werden folgen und sollen nächstes Jahr publiziert werden. 

Gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie sollen bis 2027 alle Fließgewässer wieder gesund und lebendig sein. Um das zu erreichen, sind große Anstrengungen nötig. Die Wasserstrategie der Bundesregierung und das neue EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sind eine gute Basis und werden jetzt umgesetzt.

Daher erarbeiten die Forscherinnen und Forscher im EU-Projekt MERLIN lokale Maßnahmen zur Renaturierung. „Idealerweise möchten wir nun das Wissen und die Daten aus #unsereFlüsse nutzen, um in einem zweiten Schritt genauer hinzuschauen, um mit lokalen Akteuren, Anglern, Flächeneigentümern, Gewässerunterhaltungsverbänden und Gemeinden nun Renaturierungsmaßnahmen zu planen und umzusetzen“, sagt Roland Bischof. 

Wir haben gemeinsam herausgefunden, dass drei Viertel unserer erfassten Bäche nicht gesund sind. Es wäre nun folgerichtig und ein toller Erfolg, die Ergebnisse aufzugreifen und, nun gemeinsam mit allen #unsereFlüsse-Partnern, mit Verbänden, Behörden, Wirtschaft und Wissenschaft, Bäche zu renaturieren und dies mit Erfolgsmonitoring zu verbinden“, sagt Aletta Bonn. „So können wir gemeinsam forschen und uns– auf dieser Grundlage – gemeinsam für die Wiederherstellung gesunder Bäche einsetzen.”

Kontakt:

Aletta Bonn, Univ.-Prof. Dr.
Leiterin der AG Ökosystemare Dienstleistungen
vCard
Professur Ökosystemare Dienstleistungen
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Raum B.02.24
Puschstraße 4
04103 Leipzig Google Maps – LageplanExterner Link