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Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Hexen und Magie kennen die meisten wohl aus den klassischen Märchen oder etwas neumodischer aus dem Harry-Potter-Universum. Doch wer hätte gedacht, dass Berlin die größte Hexendichte Mitteleuropas aufweisen soll? Diese neuzeitlichen oder auch neuheidnischen Hexen zeichnen sich durch eine starke Hinwendung zur Natur aus, sie vertreten feministische Positionen und sind in unterschiedlichen sozialen Milieus zu Hause. „Hexen wollen gefunden werden, sie missionieren nicht“, sagt Prof. Dr. Victoria Hegner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die neue Jenaer Professorin für Kulturanthropologie hat sich deshalb unter die Hexen gemischt, sie bei ihren Ritualen begleitet und so teilnehmend erforscht. „Diese Hexen können als feministische Revolte gegen das Patriarchat verstanden werden“, sagt Prof. Hegner. Der tradierte Begriff „Hexe“ werde dabei umgedeutet, passender sei eher „selbstermächtigte Frau“.
Jüdische Einwanderer in der einstigen Machtzentrale des NS
Eines der Arbeitsgebiete von Victoria Hegner ist die ethnographische Stadtforschung. „Es geht um die Frage, was die jeweils singuläre Stadtkultur ausmacht“, sagt sie. Wie prägt die Geschichte eine Stadt, wie lässt sie sich durch soziale Strukturen beschreiben? Einen speziellen Aspekt von Stadtgeschichte hat Victoria Hegner in Berlin und vergleichend in Chicago untersucht: jüdisches Leben und jüdische Zuwanderung. Victoria Hegner: „Was bedeutet es für Jüdinnen und Juden, in das Land der Täter einzuwandern und noch dazu nach Berlin, der einstigen Machtzentrale der Nationalsozialisten?“ Wie gelingt es den alteingesessenen Juden die Eingewanderten zu integrieren, obwohl die „Neuen“ in der Mehrheit sind? Anlass des Forschungsprojekts war der Zuzug jüdischer Menschen aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nach dem Ende der DDR. Am Ende der Studie stand die Promotion unter dem Titel „Gelebte Selbstbilder. Gemeinden russisch-jüdischer Migranten in Chicago und Berlin“. Zu den spannenden Ergebnissen zählt die Erkenntnis, dass die Säkularisierung keineswegs unaufhaltsam voranschreitet: „Wir haben eine Vielzahl von neuen Wegen der Religiosität und Spiritualität gefunden“, sagt Victoria Hegner. Angesichts von Klimawandel und Artensterben ringen die Religionen um ein neues Weltverständnis, konstatiert sie. Im Judentum werde etwa das Konzept „koscher“ neu verhandelt, bei den neuheidnischen Religionen gebe es das Anliegen, den gefühlten Riss zwischen Mensch und Natur zu heilen. Da sei vieles in Bewegung, so die Kulturanthropologin von der Universität Jena. Mancherorts werde ein Handschlag zwischen Naturwissenschaften und Spiritualität versucht.
Neue Forschungen in den „Herzkammern der Universitäten“
Studiert hat Victoria Hegner in Berlin. Geboren in der DDR hatte die heute 53-Jährige plötzlich die Freiheit, ein Fach ihrer Wahl zu studieren. Nachdem zunächst Ägyptologie ihr Favorit war, entschied sie sich für Ethnografie (= Kulturanthrologie/Volkskunde) an der Humboldt-Universität. Berlin nach dem Mauerfall sei ein wunderbares Experimentierfeld gewesen, mit Freiheiten selbst für ausgefallene Forschungsprojekte. „Bei Projekten wie ,der Sound der U-Bahnʼ habe ich gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen“, sagt Victoria Hegner. Studienaufenthalte führten sie zudem für ein Jahr nach Toronto (Kanada) und ein halbes Jahr an die Duke University in North Carolina (USA). Heute, als Lehrende, gibt sie ihr Wissen an die Studierenden weiter. Dabei sei es wichtig, den Studierenden auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen und zu bestärken.
Mit ihrem aktuellen Forschungsprojekt ist sie ins renommierte Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen worden. Dies beinhaltet, dass auch ihre Professur für drei Jahre vollumfänglich von der DFG finanziert wird. In ihrer derzeitigen Studie rücken Fragen der Gleichberechtigung in den Fokus: Victoria Hegner plant eine „Ethnografie der Gleichstellungspraxis in der Wissenschaft“. Untersuchungsgegenstand sind Berufungsverfahren an verschiedenen Hochschulen, die Einblicke in die „Herzkammern der Universitäten“ erlauben. Die Ergebnisse versprechen spannend zu werden, ganz ohne Magie und Hexerei.
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