Walter Rosenthal

Präsident Prof. Dr. Rosenthal

Interview
Walter Rosenthal
Foto: Christoph Worsch (Universität Jena)

Die Europäische Union fördert im Rahmen des Programms Horizont 2020 „Europäische Hochschulen“ – Hochschulallianzen, die die Stärken und die Vielfalt europäischer Forschung und Lehre in neuen Strukturen – einem europäischen Campus – bündeln sollen. Ziel des Programms ist es, die Leistungsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu stärken, sowie gemeinsame Werte und eine europäische Identität bei der jungen Generation zu fördern, um das geeinte Europa zu stärken. Auch die Städte und die Regionen der beteiligten Universitäten sollen in die Allianzen eingebunden werden. Wir fragten den Präsidenten der Universität Jena, Prof. Dr. Walter Rosenthal, nach den Herausforderungen und Chancen des EU-Programms.

Prof. Rosenthal, die Corona-Krise hat in vielen Ländern zu einer Rückbesinnung auf nationalstaatliche Alleingänge geführt. Können sich die Universitäten diesem Trend entziehen oder sogar dagegenstellen?

Universitäten haben schon um ihrer selbst willen die Pflicht sich dem entgegenzustellen. Wissenschaft lebt vom Austausch und ist nur als Bestandteil des weltweiten Wissensflusses in der Lage, Antworten auf globale Fragen zu finden. Krankheiten wie Corona aber auch die Klimakrise sind beispielhafte globale Herausforderungen, die nur durch gemeinsame Forschung und den Austausch von Wissen bewältigt werden können.

Die Universität Jena setzt in Forschung und Lehre stark auf internationale Kooperationen. Sie hat ihr weltumspannendes Netzwerk mit renommierten Forschungsinstituten und Universitäten wie der TU Delft, Berkeley oder der Hebrew University in den vergangenen Jahren nochmal massiv ausgebaut. Das EU-Programm der Europäischen Universitäten baut nun auf der europäischen Zusammenarbeit auf und möchte sie gezielt fördern.

Die Vision eines „europäischen Campus“ wird beschworen. Welche Schritte sind notwendig, damit er keine Vision bleibt?

Nach wie vor hemmen länderspezifische rechtliche Regelungen und Ausgestaltungen der Bildungslandschaft den freien Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden. Im Rahmen der Europäischen Universitäten sollen Modelle entwickelt werden, die die vorhandenen Hemmnisse überwinden und diese dann auf ihre Übertragbarkeit getestet werden. 

EC2U (European Campus of City-Universities) – so heißt unsere Allianz – ermöglicht uns neue Modelle zum Beispiel bei gemeinsamen Studiengängen und Abschlüssen zu erproben. Eine Herausforderung besteht darin, die bestehende Vielfalt zu fördern und sichtbar zu machen und zugleich Prozesse zu vereinheitlichen.

Hier ist dann letztlich aber auch die Politik gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU so zu gestalten, dass von einem gemeinsamen Campus ohne Grenzen geredet werden kann.

EC2U sieht eine Einbindung der Städte und Regionen vor, die Universität Jena wird hier federführend ein Maßnahmenpaket in der Allianz koordinieren. Wie kann diese Einbindung gelingen?

Unsere Themen sind geeignet die europäischen Partner zusammenzubringen, denn wir greifen ausgewählte Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung auf, die die Städte bereits umtreiben: Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung, nachhaltige Städte und Gemeinden.

Wir haben übrigens bereits gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Städten. Unsere Universität hat gemeinsam mit der Stadt Jena 2016 die Poitiers Declaration unterzeichnet, in der eine Vielzahl von Unis und ihre Städte bzw. Regionen sich zur Zusammenarbeit verpflichten, darunter die Städte unserer Partner in der Allianz.

Als assoziierte Partner für unser EC2U-Konsortium haben wir bereits die Stadt Jena, Jena Wirtschaft, das Europäische Informationszentrum in Erfurt und natürlich unser Jenaer Erasmus Student Network, ein Zusammenschluss von Studierenden, gewinnen können.

Und welche Maßnahmen werden aus Jena koordiniert?

Unter dem Titel „Science with and for Society“ haben wir ein Maßnahmenpaket entwickelt, das die Wissenschaftler, die Studierenden und die Bürger sowie Akteure aus Wirtschaft, Schulen, Politik etc. verbindet, deren Input aufnimmt, sie informiert, beteiligt und gemeinsame Projekte gestaltet.

Die Themen sind dabei sehr greifbar: In der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wollen wir im europäischen Kontext den Berufseinstieg von Absolventen fördern und Gründungen unterstützen. Gemeinsam mit den Schulen schicken wir Lehramtskandidaten im Praxissemester in unsere europäischen Partnerstädte. Bürgerinnen und Bürger kommen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Studierenden in Think Tanks zusammen, um gemeinsam forschend europäische Probleme zu lösen. Ich habe jetzt nur ein paar der Maßnahmen beispielhaft herausgegriffen.

Traditionell hält die Universität Jena viele Verbindungen mit ost- und südosteuropäischen Hochschulen. Wie kann die Zusammenarbeit mit weiteren europäischen Partnern gestaltet werden?

Wir pflegen tatsächlich seit den 1960er Jahren viele Beziehungen zu Universitäten in Ost- und Südosteuropa. Diese Partnerschaften sind solide und lebendig – wir schätzen die Zusammenarbeit sehr.

Die Europäische Universität fordert aber geografische Ausgewogenheit im Konsortium, damit die Vielfalt Europas abgebildet und eingebunden wird, damit mit komplementärer Expertise von Standorten aus ganz Europa Forschungsfragen beantwortet werden können.

Wir bringen die Erfahrung der Zusammenarbeit mit Partnern aus aller Welt ein. Seit den 90er Jahren sind wir Teil der sogenannten COIMBRA Group, einem Netzwerk von 39 europäischen Universitäten. Wir haben außerdem mit 300 europäischen Hochschulen ein breites Spektrum an Erasmus Partnern und weltweit 200 bilaterale Partnerschaften in über 50 Ländern. Mit den EC2U Partnern verbindet uns bereits eine vielfältige Zusammenarbeit.

Angenommen, die Ziele von Horizont 2020 werden erfolgreich umgesetzt. Welcher Mehrwert ist für die Studierenden zu erwarten, welcher Mehrwert für die Universität insgesamt?

Die Europäische Universität wird unsere Stärken international noch sichtbarer machen.  Wir haben einmal nachgeschaut: in den vergangenen zehn Jahren sind bereits über 1.200 gemeinsame Publikationen mit den Konsortialpartnern, viele Arbeiten zu den UN-Nachhaltigkeitszielen eingeschlossen, erschienen. Dort setzen wir an und bauen die gemeinsame Forschung z. B. über virtuelle Institute aus. Darin stellen sich Teams von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemeinsam gesellschaftlichen Herausforderungen in einem multidisziplinären Ansatz.

Unser Angebot an attraktiven Studienangeboten wird mit komplementären Modulen im Ausland ergänzt. Diese sind als Austausch oder mit Abschluss studierbar. Wir stärken damit zum einen unser Profil als Studienstandort, zum anderen aber die interkulturelle Kompetenz der Studierenden. Die Auslandserfahrung, die durch Studium und Praktika bei den Partnern erworben wird, macht unsere Absolventen auf dem nationalen wie internationalen Arbeitsmarkt noch begehrter.

Und nicht zu vergessen: Europa rückt im Konsortium enger zusammen – als überzeugte „Europäische Universität“ arbeiten wir gemeinsam an weiteren Verbesserungen und der Qualitätssicherung im Rahmen der EU. Die europäische Identität und unsere gemeinsamen Werte dabei zu stärken ist für uns bereits ein Wert an sich.