Lehre in Coronazeiten

Lehre NACHGEFRAGT

Newsletter Lehre 03 2021
Lehre in Coronazeiten
Foto: Congerdesign Pixabay

Fünf Fragen an Prof. Dr. Armin Scholl zum Thema Zukunft der Lehre – Wie sieht die universitäre Lehre nach der Pandemie aus?

Prof. Dr. Armin Scholl

Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Prof. Dr. Armin Scholl ist seit 2001 Inhaber der Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre/Management Science an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. 2010 erhielt er den Lehrpreis der Universität und 2021 würdigte die Akademie für Lehrentwicklung sein Engagement für die Umsetzung der Lehre während der Pandemiezeit mit dem einmalig ausgeschriebenen LiP-Award. Doch nicht nur seine eigenen Lehrveranstaltungen waren während der Pandemie auszeichnungswürdig. In seiner Funktion als Studiendekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die er im Übrigen mit kurzer Unterbrechung seit 2007 innehat, war er maßgeblich am Erfolg der ‚Corona-Lehre‘ seiner Fakultät, aber auch der Gesamtuniversität, beteiligt. Für das universitätseigene Konzept zum Digitalen Prüfen haben Professor Scholl und sein Team die Grundlagen gelegt und ihre Erfahrungen mit allen Universitätsangehörigen geteilt. Wie geht es nun weiter mit der Lehre nach der Pandemie? Fünf Fragen an Prof. Dr. Armin Scholl.

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung der Hochschullehre einen Schub versetzt. Im ersten digitalen Semester wurde noch viel experimentiert und ad hoc umgesetzt. Wie erleben und beurteilen Sie die Entwicklungen in der jüngsten Zeit? Wie können die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zur Weiterentwicklung universitärer Lehre beitragen?

Auch wenn die Pandemie dramatische Folgen für die ganze Welt und viele negative Effekte auch für die Hochschullehre hatte und hat, bin ich - trotz aller Erschöpfung - doch froh, dass sie uns gezwungen hat, flächendeckend Konzepte für eine digitale Hochschullehre zu entwickeln. Das war lange überfällig. Während sich die Betrachtungsgegenstände wirtschaftswissenschaftlicher Lehre zunehmend „digitalisieren“ (Stichworte: Industrie 4.0, Smart Factory, E-Commerce, Big Data), haben wir bis Anfang letzten Jahres (wegen der tradierten Kapazitätssituation notgedrungen) weit überwiegend traditionelle Lehrformen eingesetzt. Dies wird in anderen Fachbereichen möglicherweise nicht viel anders (gewesen) sein. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich halte nichts von Reformen um der Reform willen, aber es zeigte sich schon in den letzten Jahren, dass die aktuellen Herausforderungen (Stichworte: Studierfähigkeit, Heterogenität der Studienanfänger, hochdynamische Anforderungen der Arbeitsmärkte) nicht mit klassischen Massenveranstaltungen und den starren Curricula unserer Studiengänge entsprochen werden kann. Als wesentliche Elemente einer zeitgemäßen universitären Lehre, die in zunehmender Konkurrenz zur praxisnahen Lehre der Fachhochschulen und dualen Hochschulen steht, sehe ich – zumindest in den Wirtschaftswissenschaften:

  • kleinere, stärker betreute Studierendengruppen,
  • Möglichkeiten des Ausgleichs unterschiedlicher Vorkenntnisse und Anpassung an die Anforderungen der Arbeitsmärkte sowohl durch flexible Studiengangdesigns mit erheblichen Wahlmöglichkeiten als auch durch Angebot individuell auswählbarer Lehrinhalte,
  • projektbezogene und interdisziplinäre Lehre, die Studierende zum eigenständigen Erarbeiten und Anwenden von Kenntnissen und Methoden ertüchtigt, und
  • eine praxisnähere, wissenschaftliche Ausbildung, ohne die unmittelbare Praxisverwertbarkeit aller Lehrinhalte aus Fachhochschulen und dualen Hochschulen anzustreben (das können diese ohnehin besser). In diesem Wettbewerb müssen wir als Universität unseren Studierenden und potenziellen Studierenden zeigen, warum der (mühsamere) wissenschaftliche Ansatz auch im Hinblick auf die Praxistüchtigkeit unserer Absolventen und Absolventinnen der überlegene ist.

Entschuldigen Sie bitte, dass ich „das Pferd von hinten aufzäume“, aber es erscheint mir wichtig zu erläutern, warum ich die erreichten Fortschritte in der digitalen Hochschullehre für unverzichtbar halte. Es geht nicht darum, alles zu digitalisieren, was „nicht bei drei auf den Bäumen ist“, wie es derzeit an vielen Stellen unserer Gesellschaft das Gebot der Stunde zu sein scheint. Es geht meines Erachtens um nichts anderes als die Zukunftsfähigkeit der universitären Lehre. Die Digitalisierung ist hier nicht Selbstzweck, sondern ein Teil des Werkzeugkastens, um die universitäre Lehre ins 21. Jahrhundert zu bringen. Und das heißt vor allem auch, die nützlichen Aspekte der digitalen Lehre zu finden und zu nutzen.

Ich sehe die „Corona-Semester“ daher alles andere als negativ, sondern als eine wertvolle Möglichkeit, mit neuen Lehrformen zu experimentieren. Solche Feldversuche wären in normalen Semestern gar nicht möglich gewesen. Wir konnten neue, digital gestützte Elemente für Lehrveranstaltungen und Prüfungen (wie Lehrvideos und Screencasts, Blended Learning, Übungen in Videokonferenzen, (teilweise automatisch) bewertete Übungsserien und Online-Klausuren, Projektarbeit, mehrere Teilprüfungen statt einer einzigen Klausur usw.) ausprobieren und dabei auf mehr Verständnis der Studierenden als in normalen Semestern hoffen, wenn etwas nicht gleich funktioniert oder sich ein Format als doch nicht so gut geeignet erwiesen hat. Meine Mitarbeiter/innen und ich haben – ebenso wie viele andere Lehrende – die Gelegenheit ergriffen, unsere Lehre neu zu denken und entsprechend umzugestalten. Die Evaluationen haben gezeigt, dass viele der neuen, digital gestützten Formate von den Studierenden als bereichernd empfunden werden. Es hat sich aber auch deutlich gezeigt, dass eine rein digitale Lehre natürlich nicht die Zukunft der Universität darstellt. Wie schon oft und leidenschaftlich diskutiert, gehen viele Elemente echten wissenschaftlichen Lehrens und Lernens ebenso verloren, wie die unverzichtbare soziale Interaktion zur Formung der Persönlichkeit unserer Studierenden, aber auch Lehrenden.

Sehen Sie bereits Entwicklungen hin zu sich etablierenden digitalen Lehrformaten bzw. findet bereits eine Selektion überlegener Formate statt?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass mich Einsatz und Kreativität vieler Lehrender unter den mehr als schwierigen Bedingungen der letzten Semester sehr beeindruckt haben. Das ging weit über das übliche Maß hinaus und stimmt mich optimistisch für die Zukunft. Daher sind wir nun in der glücklichen Lage, auf einen Fundus an neuen Ideen und Konzepten sowie gemachten Erfahrungen zurückzugreifen.

Wir sollten es dabei wie Aschenbrödel und die Tauben machen: Die guten Elemente der digitalen Lehre kommen zusammen mit den unverzichtbaren und bewährten sowie neuen Elementen der Präsenzlehre ins „Töpfchen“, die weniger guten ins „Kröpfchen“. Welche Lehrformate erscheinen mir vor diesem Hintergrund zukunftsfähig bzw. überlegen? Diese Frage möchte ich zunächst mit „alles kann, nichts muss“ beantworten. Was genau sinnvoll und machbar ist, hängt vom jeweiligen Fach und der Fachkultur ab. Dabei geht es nicht primär um die Frage, ob Lehre digital und/oder in Präsenz stattfindet, sondern darum, für jedes Fach und jedes Modul das ideale Format zu finden, die vorhandenen Studierenden möglichst gut auszubilden und zu fördern und möglichst viele weitere Studierende zu attrahieren. 

Daher sind Erprobungsmöglichkeiten und individuelle Erfahrungen der Lehrenden so wichtig. Aus meinen eigenen Erfahrungen und denjenigen an der gesamten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät möchte ich auf einige „Lessons learned“ eingehen; diese sind vermutlich nicht vollends in andere Fachbereiche zu übertragen, können aber vielleicht ein paar Ansatzpunkte liefern:

  • Es hat sich gezeigt, dass man die Gestaltung und Darbietung der Lehrinhalte auf das gewählte Lehrformat anpassen sollte. Dies klingt wie eine Binsenweisheit. Aber es steckt die Beobachtung dahinter, dass sich mit vielen Lehrformaten gute Lernergebnisse erzielen lassen, wenn man deren Besonderheiten berücksichtigt. Sich beispielsweise in den leeren Hörsaal zu stellen und die wie üblich gehaltene Vorlesung auf Video zu bannen und diese 90-Minuten-Videos den Studierenden zum wöchentlichen Konsum anzubieten, ist eine einfache Möglichkeit, die in der Not der ersten Corona-Semester oft als einzige Möglichkeit gesehen wurde. Sie nutzt aber nur sehr eingeschränkt die Vorteile der digitalen Darbietung des Lehrstoffs. Hier ist eine andere Art der Darbietung und eine stärkere Modularisierung in einzelne, abgegrenzte Lerneinheiten mit begleitenden Online-Tests sowie Rückkopplungsrunden (z.B. Foren, Fragestunden, Diskussionsrunden) sicherlich sinnvoller. Aber sind das nicht auch Anregungen für die „klassische“ Präsenz-Vorlesung?
  • Man sollte in die Produktion von Videos einiges an Mühe stecken. Qualitativ hochwertige und modularisierte Videos mit den aktiv referierenden Dozenten und Dozentinnen im Bild werden von den Studierenden sehr geschätzt (und sind wiederverwendbar). Warum sonst haben „Nachhilfe-Youtuber“ und Anbieter von MOOCs einen solchen Zulauf, dass wir aufpassen müssen, nicht einfach durch virtuelle Online-Universitäten ersetzt zu werden? Mit den mittlerweile verfügbaren Instrumenten des Multi-Media-Zentrums (Open Cast + Moodle) ist das technisch kein so großes Problem mehr. Meines Erachtens sollte man auch das Risiko eingehen, Videos zu den in Präsenz abgedeckten Lehrinhalten zusätzlich anzubieten. Dies hat in unseren Modulen nicht nur zur erwartbar höheren Zufriedenheit der Studierenden, sondern auch zu besseren Prüfungsleistungen geführt, da Videos während der Prüfungsvorbereitung noch einmal angeschaut werden konnten.
  • Periodisch durchgeführte Online-Tests, die das Erlernte abfragen und zu weitergehendem Nachdenken anregen, oder verpflichtende Übungsserien strukturieren das Lernen und geben den Studierenden eine bessere Einschätzung zu ihrem eigenen Wissensstand. Eine Bewertung dieser studentischen Leistungen und eine Möglichkeit zum Erwerb von Punkten für die Klausur (o.ä.) steigern die Attraktivität und Akzeptanz dieser Instrumente und führen zu kontinuierlicherem Lernen während des Semesters.
  • Online-Prüfungen erlauben es in organisatorischer Hinsicht besser als Präsenz-Prüfungen, Modulprüfungen in vorlesungsbegleitende Teilprüfungen aufzuteilen. Dies bewirkt deutlich erkennbar, dass die Studierenden während des Semesters ständig „am Ball bleiben“ statt den gesamten Modulstoff am Semesterende im Sinne des Bulimie-Lernens ins Kurzzeitgedächtnis zu füttern. Die Prüfungsergebnisse sind besser geworden und obwohl der Aufwand für die Studierenden eher höher war, wird von vielen darauf gedrungen, die Teilprüfungen künftig beizubehalten.
  • Gerade in Masterprogrammen erscheint es mir in heutiger Zeit unverzichtbar, Möglichkeiten für externe Studienanfänger oder solche aus unterschiedlichen eigenen Bachelorstudiengängen zu schaffen, fehlende Vorkenntnisse effizient erlangen bzw. wesentliche Inhalte auffrischen zu können. E-Learning-Module und insbesondere geeignet zugeschnittene Videos und Online-Tests scheinen mir ideale Instrumente auch für diesen Zweck zu sein. Ich stelle mir ein modulares System von Lerneinheiten (für einzelne Module oder den gesamten Studiengang) vor, aus dem Studierende, aber auch Studieninteressierte flexibel wählen können. In begrenztem Umfang ECTS-Punkte dafür anzubieten, würde m.E. die Attraktivität unserer Studienprogramme steigern und die Frustration der Lehrenden wegen fehlender Vorkenntnisse reduzieren.
  • Als Servicefunktion erscheint es wichtig, eine Lernplattform wie Moodle durchgängig zu nutzen und deren viele nützliche Elemente zur digitalen Organisation und Durchführung der Lehre einzusetzen. Die Nutzung von Moodle hat durch die Pandemie glücklicherweise stark zugenommen, die Verfügbarmachung von Lehrmaterialien wird zunehmend professionalisiert und standardisiert. Dies haben sich unsere Studierenden schon lange gewünscht.
  • Videokonferenzen oder Livestreams halte ich persönlich nicht für einen vollwertigen Ersatz für Präsenzlehre. Zum einen kennen alle Lehrenden den frustrierenden Blick auf viele schwarze Kacheln, zum anderen haben sie erleben müssen, wie anstrengend und aufwändig es ist, eine Veranstaltung mit Diskursmöglichkeiten zu gestalten, die einer Präsenzveranstaltung halbwegs entspricht. Ohne Hilfe von technischem Unterstützungspersonal bzw. dafür abgestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist dies kaum möglich. Besonders schwierig wird es in einer hybriden Umgebung, wenn man zwei Teilnehmergruppen, anwesenden und online zugeschalteten Studierenden, gerecht werden muss. 
  • In kleinerer Runde können Videokonferenzen jedoch sehr gute Dienste tun und sogar effizienter als Präsenztreffen sein (Frage- und Sprechstunden, Treffen mit Projektgruppen, Beratung bei schriftlichen Arbeiten, Routine-Sitzungen usw.). Auch lassen sich Praxisvorträge oder -fallstudien durch entfallende Reisen aufwandsarm in Lehrveranstaltungen integrieren, wodurch die Schwelle zur notwendigen Praxisnähe sinkt.
  • Reine Screencasts (Folien mit Audio-Spur) sind relativ einfach zu erstellen, aber nicht immer ein geeignetes und hinreichend motivierendes Format. In Befragungen berichten viele unserer Studierenden von der beim stundenlangen Anhören von Screencasts eintretenden Ermüdung und Demotivation. Echte Videos, bei denen die Lehrenden zu sehen sind und lebhaft dozieren, werden in Umfragen deutlich bevorzugt, zumal Lehrende hierbei zumindest in Ansätzen als ein Gegenüber der Studierenden agieren können.

Soweit zu einigen Erkenntnissen, die ich aus den vergangenen Corona-Semestern ziehe –  dass es hierzu auch andere berechtigte Einschätzungen gibt, ist mir bewusst. Zu Ihrer Frage, ob bereits eine Selektion überlegener Lehrformate stattfindet, kann ich nicht viel sagen. Zu unübersichtlich ist die Situation und zu unterschiedlich sind die Erfordernisse der verschiedenen Fächer und Studiengänge. Ich kann aber sagen, dass meine Mitarbeiter/innen und ich wild entschlossen sind, künftig eine Mischung aus Präsenzlehre und zusätzlichen E-Learning-Elementen wie Videos (jeweils kurz und zu abgegrenzten Teilfragen und damit dynamisch zusammenstellbar) und Online-Tests bzw. vorlesungsbegleitenden Teilprüfungen anzubieten.

An welchen Stellen sehen Sie die Gefahr, dass die erreichten Entwicklungen nach Abklingen der Pandemie verschwinden, statt nachhaltig zu wirken? Was kann dagegen getan werden?

Ich sehe erhebliche Gefahren dafür, dass Erreichtes im allseits erschallenden Ruf nach schneller Rückkehr zur gewohnten Präsenzlehre wieder verloren geht. Das wäre sehr schade, da ich überzeugt bin, dass große Chancen mit diesem einmaligen Feldexperiment verbunden sind. Damit dies nicht geschieht, wären meines Erachtens folgende Aspekte zu beachten; hier ist vor allem auch die Politik gefragt:

  • Die Lehrverpflichtungsverordnung sollte endlich den tatsächlichen Aufwand der Lehre berücksichtigen und das Deputat nicht weiterhin völlig undifferenziert über in Präsenz abgehaltene Lehrveranstaltungsstunden abrechnen. Dieses veraltete System fördert eine unambitionierte und unaufwändige Lehre und ist der Lehrqualität in demotivierender Weise abträglich. Innovative Konzepte machen viel mehr Aufwand, bringen aber nicht mehr Deputatsstunden als die recycelte Vorlesung vom letzten Jahr.
  • Möchte man digitale oder hybride Lehre fördern, muss beachtet werden, dass gute digitale Lehre häufig sehr viel aufwändiger ist als reine Präsenzlehre, was viele Lehrende in den letzten Semestern deutlich bemerkt haben. Dies gilt in noch größerem Maße für hybride Lehre. Daher sollte digitale Lehre der Präsenzlehre in der Lehrverpflichtungsverordnung unter Berücksichtigung des damit jeweils verbundenen Aufwands gleichgestellt werden (so sollte etwa auch die 25%-Beschränkung der Anrechenbarkeit digitaler Lehre entfallen).
  • Wenn man davon ausgeht, man könne mit dem bestehenden Personalschlüssel eine den aktuellen Erfordernissen (teils schwache, heterogen vorgebildete Studienanfänger, hohe Anforderungen der Praxis an Selbstständigkeit und Flexibilität der Absolventen und Absolventinnen, Konkurrenz zu politisch stark geförderten Fachhochschulen und dualen Hochschulen sowie zu international agierenden virtuellen Universitätsverbünden) angepasste universitäre Lehre entwickeln, wird dies der Realität nicht gerecht und werden viele gute Ideen und Initiativen im Keim erstickt. Wenn man von Massenveranstaltungen zu hochwertigerer und den aktuellen Erfordernissen entsprechender Lehre in kleineren Gruppen gelangen möchte, muss man auch akzeptieren, dass mehr Personal benötigt wird.
  • Die technischen Gegebenheiten für Videoaufzeichnungen und Videokonferenzen sollten flächendeckend in alle Lehrräume ausgerollt werden. Die Technik sollte dringend auch nach der Pandemie auf dem neuesten Stand gehalten werden. Ebenso sind weiterhin Personalmittel z.B. für technisches Unterstützungspersonal nötig. Daher sind verstetigte Digitalmittel erforderlich. Ich fürchte jedoch, dass die Mittel nach Ende der Pandemie nicht mehr im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen werden.
  • Meiner Meinung nach wird ein Zurück zur gewohnten Präsenzlehre kaum mehr ohne Attraktivitätsverlust der Lehrangebote und Studiengänge möglich sein. Die Pandemie war nach meiner festen Überzeugung kein Intermezzo, sondern ein Strukturbruch. Wie schon eingangs ausgeführt, sind ohnehin notwendige Veränderungen lediglich schneller angestoßen worden. Allerdings sind auch die Erwartungen der Studierenden an die universitäre Lehre gewachsen (z.B. aus der Ferne studieren oder die Zeit freier einteilen zu können). Hier werden wir in Konkurrenz zu großen Universitäten und virtuellen Ausbildungsverbünden treten müssen, die über mehr Mittel verfügen als wir. Daher kommen der Motivation und unterstützenden Begleitung unserer Lehrenden große Bedeutung zu. Auch wenn durch die Akademie für Lehrentwicklung, LehreLernen und andere Initiativen bereits viele, wirklich gute Ansatzpunkte für die zukünftige universitäre Lehre sichtbar geworden und Unterstützungsangebote geschaffen worden sind, halte ich es für notwendig, die Entwicklung der Lehre seitens der Universität noch stärker zu fördern und zentraler auf die Agenda zu setzen. Gute und innovative Lehre muss sich lohnen.

Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach die sich verändernde Struktur in Studium und Lehre auf die Gestaltung der Studiengänge, der Curricula der Zukunft, aus?

Wie zuvor bereits mehrfach angesprochen, erwarte ich erhebliche Veränderungen in der universitären Lehre und halte diese auch für notwendig. Dies sollte bei der Gestaltung/Veränderung der Studiengänge berücksichtigt werden. Ich möchte drei Thesen aufstellen:

  • Um den Erfordernissen der Arbeitsmärkte und der Heterogenität der Studierenden besser Rechnung zu tragen, sollten Studiengänge flexibler und in Teilen interdisziplinärer gestaltet sein. Neben dem notwendigen fachlichen Grundgerüst sollten mehr Wahlmöglichkeiten geschaffen werden, um der zunehmenden Ausdifferenzierung und Flexibilisierung von Berufsbildern auf den Arbeitsmärkten Rechnung zu tragen.
  • Wenigstens einige dafür geeignete Master-Studiengänge sollten hybrid studierbar sein. Dies bedeutet, dass Studierende zumindest zeitweise nicht vor Ort sein müssen, aber auch vollständig in Präsenz studieren können. Dafür müssen zwar Präsenz- und Online-Lehre gleichzeitig und gleichwertig angeboten werden, aber es ist zu erwarten, dass wir mehr und ambitioniertere Studienanfänger attrahieren können. Dabei geht es nicht um eine Transformation hin zur Fernuniversität, sondern es sollte der Tendenz Rechnung getragen werden, dass viele Bachelor-Absolvierende ein Master-Studium nicht als zwingende Voraussetzung für Ihr berufliches Fortkommen, sondern als Ergänzung sehen. Auch können ggf. einige Standortnachteile Jenas (z.B. keine Headquarters von Großunternehmen) durch eine Hybridisierung von Studiengängen ausgeglichen werden.
  • Die Curricula sollten weniger auf die Vermittlung von Faktenwissen und mehr auf die Entwicklung von Abstraktions- und Problemlösungsvermögen ausgerichtet sein. Bei der Gestaltung von Open Book- oder gar Open Web-Prüfungen erkennt man sehr schnell, wie leicht heutzutage Faktenwissen verfügbar ist und entsprechende Fragen gar nicht mehr gestellt werden können. Abfragen von auswendig zu lernenden „Bullet Points“ sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Die wichtigste universitäre Ressource ist das Analysieren, Verknüpfen und Ableiten. Dies sollte – auch in Bachelorstudiengängen – mehr im Mittelpunkt stehen, wobei wir wieder bei den kleineren Gruppengrößen und dem projektbasierenden Studium sind.

Was würden Sie sich für die Lehre der Zukunft wünschen?

Ich wünsche mir grundsätzlich wieder einen deutlich höheren Stellenwert der Lehre innerhalb der Universitäten. Bei Berufungsverfahren sollten gute und engagierte Lehrleistungen mindestens genauso wertgeschätzt werden wie Publikationsleistungen oder Leistungen bei der Drittmittelakquise. Die Realität sieht jedoch häufig genug anders aus.

In einem System, das vor allem von der intrinsischen Motivation seiner Mitglieder lebt, ist die Wertschätzung der Lehre der beste Hebel zur Verbesserung der Lehre. Wenn sich gute und herausragende Lehrleistungen wieder mehr lohnen, wird die Lehrsituation automatisch besser. Denn am Ende aller Überlegungen zu Lehrformen und -formaten sind es doch immer die Qualifikation, Motivation und der Einsatz der Lehrenden, welche über die Qualität und den Erfolg der Lehre entscheiden.