Digitaler Flipped Classroom Psychologie
Dr. Dana Schneider (ehemals Lehrstuhl für Sozialpsychologie)
Im Bachelorstudiengang Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde das Sozialpsychologiemodul "B-PSY-106" digital-didaktisch neugestaltet, in der Form, dass ein umgedrehtes Klassenzimmer oder auch flipped classroom - Konzept durchgeführt werden konnte (Abeysekera & Dawson, 2015).
Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Konzept? Typischerweise treffen im bisher üblichen Vorlesungsformat Studierende auf Dozierende und Personen mit Expertise (beispielsweise Fachleute und Fachkräfte). Diese arbeiten Wissen didaktisch ansprechend auf, um es so zu vermitteln. Dabei werden Studierende oft aufgefordert, bis zu 90 Minuten einem Vortrag zu folgen und schließlich Aufgaben zu diesen Inhalten zur eigenständigen Vertiefung zu bearbeiten. Die Schwierigkeit bei diesem Format ist, dass lerntheoretisch gesprochen die Wissensvermittlung die einfachere Lernaufgabe ist. Es geht darum, Inhalte zu verstehen und zu erinnern (Bloom, 1956) und nachzuvollziehen, was gesprochen, gelesen beziehungsweise vorgetragen wird. Die lerntheoretisch anspruchsvollere Aufgabe ist der Teil, in dem die Studierenden typischerweise allein gelassen werden. In der eigenständigen Vertiefung sollen Wissensinhalte oft analysiert, angewendet und evaluiert werden (Bloom, 1956) - eine große Herausforderung für Studierende, da die Inhalte häufig sehr neu sind. An dieser Problematik greift das flipped classroom – Konzept an. Es dreht im Grunde die Verfügbarkeit der Expertinnen und Experten für den Austausch und die Interaktion um.
So haben ca. 300 Studierende der Sozialpsychologie im SoSe 2021 mit Hilfe des flipped classroom- Lehrformats studiert. Sie haben sich jede Woche voraufgenommene Vorlesungsvideos angeschaut, zwischendurch kurze Wissensabfragen beantwortet und weitere offene Unklarheiten notiert. In einer Präsenzphase trafen Sie dann auf Professor Thomas Kessler. Der Professor hat mit allen Studierenden die beantworteten Wissensabfragen durchgesprochen, eine Anwendungsaufgabe (z.B. Fallbeispiele) durchgeführt und weitere offene Fragen diskutiert. So hatten Studierende die Gelegenheit, aus der passiven Konsumentenrolle bezüglich des neuen Wissens in die aktive Anwenderrolle zu kommen (Renkl, 2015) – ein wichtiger Aspekt, da er Wissensinhalte erfahrbar macht.
Wie reagieren Studierende auf dieses neue Format? Viele sehr positiv. So haben wir beispielsweise folgende Kurzrückmeldungen erhalten:
„Ich finde dieses Lernformat echt innovativ und gut durchdacht und glaube, dass es vor allem Studenten helfen kann, die den normalen Frontalunterricht ermüdend finden.“
„Die Flipped-Classroom-Idee finde ich wirklich gut, weil es einfach ein bisschen Abwechslung in die Woche bringt.“
„Die Idee vom Flipped Classroom hat mich bisher positiv überrascht, da ich das Gefühl habe, das erneute Auseinandersetzen mit den aus der Vorlesung gelernten Inhalten in einem anderen Kontext sehr förderlich für die Verinnerlichung ist. Dabei habe ich selbst das Meiste mitgenommen in der Sitzung, in der wir auch in die Kleingruppen gegangen sind. Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft diese Break-out Sessions weiterhin auch wirklich durchführen, weil ich in dieser praktischen Diskussion/Anwendung von Prinzipien und Konstrukten das meiste Potential sehe.“
Jede Innovation kommt aber auch mit Herausforderungen. So ist es für Studierende beispielweise ein höherer zeitlicher Aufwand, mit diesem Format zu lernen. Des Weiteren erkennen Studierende womöglich den Mehrwert des interaktiven im Vergleich zum eigenständigen Lernen nicht. Entsprechend wurde eine Evaluation des flipped classroom–Formats mittels Studierendenumfrage durchgeführt. Eine Auswertung und ein Vergleich zum traditionellen Lehrformat bezüglich Kompetenzerwerb, Verhalten und Zufriedenheit sowie allgemeiner Rahmenbedingungen erfolgt in den kommenden Wochen.
Für alle, die das Thema vertiefen möchten:
Abeysekera, L. & Dawson, P. (2015). Motivation and cognitive load in the flipped classroom: Definition, rationale and a call for research. Higher Education Research & Development, 34(1), 1–14.
Bloom, B.S. (1956). Taxonomy of Educational Objectives. Handbook The Cognitive Domain. David McKay, New York.
Renkl, A. (2015). Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind. Psychologische Rundschau, 66(4), 211-220.