Benjamin Hinrichs, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Mathematik und Informatik
Im Frühjahr 2020 waren alle Universitätsangehörigen – Studierende wie Lehrende gleichermaßen – mit der Frage beschäftigt, wie sich Lehre unter den besonderen Umständen der Corona-Pandemie effizient und trotzdem wirkungsvoll umsetzen lässt. Die Mathematik stand dabei vor einer besonderen Herausforderung, da hier die klassische Tafelvorlesung, oft begleitet von einem ausformulierten Vorlesungsskript, in weiten Kreisen und meiner Meinung nach berechtigter Weise als optimale Lehrmethode angesehen wird.
In meinem Fall ging es darum, die Vorlesung „Analysis II für Lehramt Gymnasium“ zu gestalten, welche in der Mathematik-Ausbildung der Lehramtsstudierenden einen hohen Stellenwert besitzt und innerhalb der Analysis-Grundausbildung die einzige benotete Prüfungsleistung enthält. Die Veranstaltung umfasst zwei wöchentliche Vorlesungen, eine Übungsveranstaltung pro Woche sowie ein (nicht obligatorisches) Tutorium. Weiterhin bearbeiten die Studierenden selbstständig Übungsaufgaben, welche wöchentlich abzugeben sind und als Klausurzulassungskriterium gelten.
Schnell war klar, dass sich dieses Konzept nicht unverändert auf den digitalen Lehrbetrieb übernehmen lässt. Zum einen ist der „Tafelbetrieb“ nicht ohne weiteres online umzusetzen und zum anderen ist die Gefahr, dass in einer digitalen Übungsveranstaltung die Interaktion mit den Studierenden durch einen zu großen inhaltlichen Umfang zu kurz kommt, deutlich höher als im Präsenzbetrieb. Erschwerend kommt hinzu, dass das autodidaktische Erarbeiten mathematischer Inhalte allein anhand eines Vorlesungsskripts in der Studieneingangsphase (zu der das zweite Semester offensichtlich noch gehört) nur für die wenigsten Studierenden so möglich ist, dass sie das Erlernte ohne weitere Hilfestellung auch anwenden können.
Die Kernpunkte des von mir angewandten Lehrkonzepts lassen sich schnell umreißen: die Vermittlung formal exakter mathematischer Inhalte erfolgte über ein ausführliches Vorlesungsskript mit vielen Motivationen und Beispielen. Alle übrigen Lehrformate dienten dazu, den Studierenden ein möglichst breites Angebot an Hilfestellungen zu geben, um die Inhalte des Skripts einordnen, verinnerlichen und anwenden zu können. Dabei lag das Hauptaugenmerk darauf, den Studierenden ein Lernen mit der von ihnen als ideal empfundenen Herangehensweise zu ermöglichen.
Konkret haben wir folgende Formate umgesetzt:
- Online-Bereitstellung schriftlicher Materialen auf Moodle
- Vorlesungsskript (Ergänzung um ca. 10 Seiten pro Woche)
- Kurzzusammenfassung der hinzugekommenen Skriptinhalte (ca. 1–2 Seiten pro Woche)
- Übungsserie der jeweiligen Woche bestehend aus Beispiel- und Abgabeaufgaben
- ausführliche Musterlösungen der Beispielaufgaben (nach erfolgter Korrektur Ergänzung um Musterlösungen der Abgabeaufgaben)
- eine ca. 90-minütige live Online-Vorlesung (mit Aufzeichnung) pro Woche, in welcher die Kerninhalte motiviert und besprochen wurden
- drei bis vier Übungsvideos pro Woche zur Erläuterung der Lösungen der Beispielaufgaben
- wöchentliche Online-Übungen als Zoom-Meeting in kleinen Gruppen, welche (statt der Lösung und Besprechung von Beispielaufgaben) die Interaktion mit den Studierenden und das Beantworten von Fragen fokussierten
- ein wöchentliches Online-Tutorium für alle (interessierten) Studierenden als Zoom-Meeting
Überraschend schnell gelang es den Studierenden, ihren eigenen Lernstil innerhalb des breiten Lehrangebots zu finden. Insbesondere fiel mir auf, dass es sowohl Studierende gab, welche bereits zum Vorlesungstermin die neuen Inhalte komplett durchgearbeitet hatten und sehr konkrete Fragen stellen konnten, während andere die Vorlesung als Leitfaden nutzten, um im Nachhinein das Skript gründlich durchzuarbeiten. Dass unsere breite Aufstellung der Lehrformate die richtige Wahl war, zeigte sich zu Semesterende auch in den Prüfungsergebnissen. Hier konnten die Studierenden mit überdurchschnittlich guten Klausuren überzeugen.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich natürlich, dass die Umsetzung all dieser Angebote nur auf Grund der engagierten Mitarbeit meiner vier studentischen Hilfskräfte möglich war, welche den breit aufgestellten Übungsbetrieb durch ihre selbstständige Arbeit realisierbar machten.
Als ein Fazit aus der Pandemielehre seit dem Sommersemester 2020 ziehe ich, dass eine große Vielfalt an Lehrangeboten den Lernerfolg durchaus positiv beeinflussen kann. Trotz dessen blicke ich dem Moment mit großer Vorfreude entgegen, an dem die Lehre an der Tafel wieder möglich ist, denn die Interaktivität einer Vorlesung im Hörsaal und einer Übung im Seminarraum ist in digitalen Formaten nicht annähernd erreichbar.