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Meldung vom: | Verfasser/in: Christine Coester
Wenn es wärmer wird, verändern Fische ihr Beutejagd-Verhalten. Modellrechnungen deuten darauf hin, dass diese Verhaltensänderung das Aussterben von Arten wahrscheinlicher macht, so eine neue Studie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“.
Die Forscherinnen und Forschern unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena fanden heraus, dass Fische in der Ostsee auf Temperaturerhöhungen reagieren, indem sie zunehmend die nächstbeste und einfach verfügbare Beute jagen. Das veränderte Jagdverhalten führte dazu, dass die Fische tendenziell kleinere und häufiger vorkommende Tiere fraßen, zum Beispiel kleine Krebstiere, Schlangensterne, Würmer und Weichtiere.
Wie viele andere Tiere brauchen auch Fische mehr Nahrung, wenn die Temperaturen steigen, weil sich ihr Stoffwechsel erhöht. Kleine, häufige Beutetiere sind eine schnell verfügbare Energiequelle. Aber dieses sogenannte „flexible Nahrungsverhalten” kann dazu führen, dass Fische ihren langfristigen Energiebedarf schlechter decken als durch den Verzehr größerer und kalorienreicher Beute.
Anfälliger für den Klimawandel
Diese Diskrepanz zwischen dem Energiebedarf eines Fisches und seiner tatsächlichen Nahrungsaufnahme könnte laut Modellberechnungen zu einem verstärkten Artensterben führen. Die Fische verhungern, weil sie nicht genug Energie aufnehmen. Diese Modellberechnungen lassen sich auch auf andere Tiergruppen anwenden. Sie zeigen, dass insbesondere Arten am oberen Ende der Nahrungsnetzes gefährdet sein könnten. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass das flexible Nahrungsverhalten die Lebensgemeinschaften anfälliger für den Klimawandel machen könnte.
„Man vermutet eigentlich, dass Arten ihre Nahrungssuche so anpassen, dass sie möglichst viel Energie aufnehmen“, erklärt Erstautor Dr. Benoit Gauzens von iDiv und der Universität Jena. „Aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fische – und auch andere Tiere – in unerwarteter und ineffizienter Weise auf den Klimawandel reagieren könnten.“
Daten aus Fischmägen
Die Forschenden analysierten Daten über den Mageninhalt von sechs wirtschaftlich wichtigen Fischarten mit unterschiedlichen Ernährungsstrategien, die alle in der Kieler Bucht gefangen wurden. So sind Plattfische wie die Flunder (Platichthys flesus) eher wartend-passive Raubfische, während der Dorsch (Gadus morhua) eher aktiv auf Nahrungssuche geht.
Die zwischen 1968 und 1978 ganzjährig gesammelten Daten gaben Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten der Fische und darüber, welche Beute sie bei unterschiedlichen Temperaturen in ihrer Nähe fanden. Die Mageninhalte zeigten, dass sich die Fische mit zunehmender Erwärmung allmählich von selteneren auf häufigere Beutetiere umstellten.
„Fischarten in der Ostsee und anderswo sind einer Vielzahl menschlicher Einflüsse ausgesetzt, zum Beispiel Überfischung oder Verschmutzung“, fügt Co-Autor Dr. Gregor Kalinkat vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hinzu. „Die Auswirkung eines ineffizienteren Jagdverhaltens bei Erwärmung könnte ein weiterer, bisher übersehener Faktor sein, der bewirkt, dass sich Fischbestände nicht erholen können, selbst wenn Fangquoten deutlich reduziert werden.“
Mathematische Nahrungsnetz-Modelle
Auf Basis ihrer Erkenntnisse berechneten die Forscherinnen und Forscher, wie sich Veränderungen des Nahrungserwerbs auf andere Arten und das Ökosystem insgesamt auswirken. Dafür nutzten sie mathematische Nahrungsnetz-Modelle. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Änderungen des Jagdverhaltens bei steigenden Temperaturen zu einem vermehrten Aussterben von Fisch- und anderen Tierarten führen könnten, was sich wiederum auf andere Arten im Nahrungsnetz auswirken kann. „Die Anpassung des Nahrungserwerbs an die örtlichen Bedingungen ist normalerweise ein wichtiger Faktor zur Erhaltung einer hohen Artenvielfalt“, sagt Gauzens. „Es ist daher verwunderlich, dass dies in Zusammenhang mit höheren Temperaturen möglicherweise nicht der Fall ist.”
Die neuen Erkenntnisse zu einem möglichem Aussterben von Fischen und anderen Tierarten aufgrund höherer Temperaturen sind bemerkenswert. Allerdings beruhen sie auf Berechnungen theoretischer Nahrungsnetz-Modelle. In Zukunft wollen die Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse durch Beobachtungen in natürlichen Ökosystemen überprüfen.
Original-Publikation:
Benoit Gauzens, Benjamin Rosenbaum, Gregor Kalinkat, Thomas Boy, Malte Jochum, Susanne Kortsch, Eoin J. O’Gorman, Ulrich Brose (2024): Flexible foraging behaviour increases predator vulnerability to climate change. DOI:10.1038/s41558-024-01946-y
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